Kapitel 23

109 22 99
                                    


Entschlossen griff Ginny nach dem Fanschal der Chudley Cannons und steckte ihre Handschuhe ein. Es war mittlerweile empfindlich kalt geworden. Heute Morgen hatte Raureif auf dem Dach und den Zäunen um The Burrow gelegen, dem Haus ihrer Eltern, in das sie nach der Trennung von Harry wieder eingezogen war. Denn obwohl ihre Brüder inzwischen alle aus dem Haus waren, reichte das Geld trotzdem nicht, ihr in London eine eigene Bleibe zu ermöglichen. Und anders als Hogwarts unterhielt die Academy bedauerlicherweise keinen Wohnbereich.

Ginny fand es jedoch anstrengend, mit ihren Eltern unter einem Dach zu wohnen, insbesondere mit ihrer Mutter, die es nicht lassen konnte, ihr ständig gute Ratschläge mit auf den Weg zu geben. Dass das letzte ihrer Kinder vor zwei Jahren die Volljährigkeit erreicht hatte, schien ihr irgendwie entgangen zu sein. Ständig wollte sie wissen, wohin Ginny ging und wann sie zurück sein würde. Kopfschüttelnd fragte sich Ginny, wie ihre Mutter es nur ausgehalten hatte, nie genauestens über sie Bescheid zu wissen, als sie noch in Hogwarts zur Schule ging.

Erfüllt von Sorge um ihre Tochter hatte es sich Molly Weasley auch nicht nehmen lassen, die große Wanduhr im Wohnzimmer ein weiteres Mal anzupassen. Statt Hogwarts gab es jetzt die Felder Akademie oder Ausgehen, auf denen der Zeiger der Uhr verweilen konnte. Außerdem gab es noch den Bereich bei Harry, auf dem sich Ginnys Zeiger allerdings schon ein Jahr lang nicht mehr befunden hatte. Ginny zog eine Grimasse und wandte sich ab.

Ihre Mutter hatte ihre Trennung von Harry nicht gut aufgenommen, sie mochte ihn und hatte ihr Möglichstes getan, Harry bei jeder Gelegenheit zu bemuttern, was er im Gegensatz zu Ginny zu schätzen gewusst hatte. Zumindest bis er nach und nach mit Ausreden den Besuchen ferngeblieben war und sie schließlich nach der Trennung ganz eingestellt hatte. Wofür Molly Weasley dann lange ihrer Tochter die Schuld gegeben hatte. Hätte es nicht Hermine schließlich übernommen, ein paar von Mollys falschen Annahmen zurechtzurücken, so wäre die Stimmung zwischen ihr und ihrer Mutter vermutlich noch immer unterkühlt, dachte Ginny und seufzte.

Der Zeitpunkt, an dem sie ihren Entschluss für ihre Mutter nachvollziehbar selbst hätte erklären können, war vermutlich längst vorbei. Aber sie hatte damals einfach keine Neigung verspürt, ihre Mutter einzuweihen, die sie mit ungebetenen Kommentaren zugeschüttet hätte. Stattdessen waren es Ruhe und Einsamkeit gewesen, was sie gebraucht hatte, um mit ihrem Entschluss ins Reine zu kommen.

Der Schritt, sich von Harry zu trennen, war Ginny unermesslich schwergefallen, und oft hatte sie sich seitdem gefragt, ob sie nicht weiter hätte kämpfen sollen... Es gab Tage, an denen sie sich das noch immer fragte.

Doch sich gegen das zur Wehr zu setzen, was Harry befallen hatte, war schwerer gewesen als konkrete Gegner zu bekämpfen. Letztere waren sichtbar und real, ihre Handlungen oft einschätzbar und die Erfolgsquote im Kampf umso höher, je erfahrener sie wurde. Aber gegen den ständigen Rückzug, die Interesselosigkeit, die Schwermütigkeit, die Harry zunehmend an den Tag gelegt hatte, hatte es keine Tricks und keine Zaubersprüche gegeben...

Wie oft hatte sie versucht ihn zu motivieren, hatte auf das Schöne im Leben hingewiesen, hatte mit liebevollen Gesten versucht, das Glück in ihr gemeinsames Leben zurückzuholen – aber es war, als rannte man gegen eine Wand - eine Wand, die einen mit Augen ansah, die so voller Leere und Schmerz waren, dass sie es kaum hatte ertragen können. Mit einer Stimme, die nichts als Trostlosigkeit vermittelte, wo früher Energie und Entschlossenheit geherrscht hatten.

Wie schrecklich musste es für Harry selbst sein!

Deprimiert, wie immer, wenn sie an das letzte mit Harry verbrachte Jahr dachte, trat Ginny zum Fenster hinüber und sah hinaus auf den Hof, dem der Dezember im Moment jede Heimeligkeit des Sommers genommen hatte. Unzählige Male war er Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihren Brüdern gewesen, meist scherzhafter Natur; es war selten, dass wirklich jemand schlimme Blessuren davongetragen hatte. Sie war zwar das einzige Mädchen in der Familie, aber hatte sich früh zu behaupten gewusst.

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWhere stories live. Discover now