Kapitel 54

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Frustriert warf Harry den Tagespropheten auf den Couchtisch. Entweder schwieg sich dieses Blatt zu wichtigen Themen aus oder es zog mit polemischen Artikeln die Aufmerksamkeit auf sich. Er wusste wirklich nicht, warum er ihn überhaupt noch bezog. Hermine las ihn trotzdem regelmäßig, um, wie sie sagte, zu wissen, was die meisten Magier gerade bewegte. Sie hatte sich schon in Nachrichten vertieft, als Ron und ihn in Hogwarts gerade mal die Quidditch-Ergebnisse interessiert hatten.

Aber Hermine war sowieso nicht ganz normal gewesen, fuhr es Harry schmunzelnd durch den Kopf, mit ihrem frühen Wissensdurst, der sie jedes Schulbuch lesen ließ, noch bevor es im Unterricht verlangt worden war. Andererseits hatte sie jetzt natürlich auch ein berufliches Interesse an dieser Zeitung. „Auch wenn ich nie für so ein Revolverblatt schreiben würde", wie Hermine nicht müde wurde zu betonen.

Ron, Hermine und Harry hatten nicht vergessen, mit welcher Verve der Tagesprophet damals Berichte darüber verbreitet hatte, wie verlogen und mental instabil Harry in seinem fünften Schuljahr gewesen war. Nur um dann zwei Jahre später einen Helden aus ihn zu machen.

Harry schüttelte genervt den Kopf. Was er auch tat, Normalität gab es für ihn irgendwie nicht. Entweder hassten ihn die Menschen für seine Ansichten oder seine Verfehlungen – und er selbst sich bisweilen am allermeisten – oder sie sahen in ihm eine Art Superzauberer, der sie mit seinen Fähigkeiten vor allem Unheil bewahren würde. Es war ein bisschen wie bei Dumbledore, mit dem Unterschied natürlich, dass dieser sich den Respekt der magischen Welt absolut verdient hatte.

Die Ehrfurcht, mit der einige im Ministerium Harry behandelten, war ihm so unangenehm, dass er sich oft am liebsten allein in seinem Büro aufhielt, so winzig es auch war, um den um Aufmerksamkeit heischenden Blicken vieler Hexen zu entgehen oder nicht ständig um seine Meinung zu dieser und jener Nichtigkeit gefragt zu werden. Auch das Arbeiten in der Projektgruppe empfand Harry als anstrengend, weil es aussah, als wenn viele Teilnehmer erst ihre Meinung äußerten, wenn er seine eigene Ansicht kundgetan hatte.

Nichts lag Harry ferner als ständig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch was er auch tat oder nicht tat, alles schien irgendwo eine Nachricht oder einen Kommentar wert zu sein. Selbst Amber war bisweilen in den Genuss einer Erwähnung gekommen, obwohl sie beide keine Interviews gaben. Zu Harrys Erleichterung hatten sich die Medien allerdings meist darauf beschränkt, sie als schöne und intelligente Hexe an seiner Seite zu charakterisieren, ohne tief in ihrem Leben herumzustochern.

Was faszinierte die Menschen bloß an ihm? Die beiden Ereignisse, die ihn so berühmt gemacht hatten, bestanden weniger aus seinen eigenen bewussten Entscheidungen als mehr aus den Fehlern von Voldemort, der nicht erkannt hatte, dass er Harry durch sein Handeln ja gerade erst zum Auserwählten beziehungsweise zum Gegner gemacht hatte.

Harry stand auf und ging auf das Bücherregal zu, auf dem Amber zu seinem Missfallen einige der Bücher gestellt hatte, die sich mit seinem Leben befassten, während sich der Rest davon zum Glück im Schlafzimmer befand. Wahllos griff er nach einem von ihnen, Harry Potter: Ein Leben im ständigen Kampf gegen Voldemort, und blätterte es ziellos durch, während aus der Küche das Klappern von Tassen zu vernehmen war. Der intensive Duft nach Kaffee drang ihm in die Nase und verriet ihm, dass sich Amber gerade ein frisches Getränk aufbrühte.

Das Kapitel Horkruxe war ziemlich umfangreich – Harry vermutete, dass Ron die Einzelheiten seinerzeit ausführlich jedem erzählt hatte, der nach ihrem Kampf gegen Voldemort gefragt hatte – aber den Überschriften nach zu urteilen gab es glücklicherweise kein Kapitel, dass sich mit dem Elderstab befasste. Hermine, Ron und er waren damals zu dem Entschluss gekommen, dass es besser wäre, diesen Teil der Geschichte unerwähnt zu lassen. Nicht einmal Amber wusste davon. Der Elderstab war längst tief im dunklen See versunken, wo ihn kein Magier je finden würde, und das war gut so.

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt