Kapitel 64

70 15 36
                                    

Freitagabend

Harry spürte sofort, dass etwas geschehen war, ohne dass ihm klar war, woran er es festmachte.

„Amber?", rief er in die Stube hinein, denn weder war sie dort noch in der Küche zu entdecken. Er hörte ihre Schritte auf der Treppe, noch bevor sie von dem gerade noch in den Raum hineinfallenden Tageslicht erfasst wurde. Sie klangen merkwürdig verhalten und ganz und gar nicht nach Amber. Harrys Sinne gerieten in Alarmbereitschaft, und als Amber schließlich in sein Blickfeld geriet, stellte er erleichtert fest, dass sie unversehrt war.

Doch eine ungewohnte Niedergeschlagenheit hatte sie ergriffen. Ihre hängenden Schultern schienen jegliche Energie verloren zu haben, das Gesicht war ausdrucklos und als sie näher kam, erkannte er die verräterischen Spuren von Tränen.

„Was ist passiert, Schatz?", fragte Harry ungemein sanft und konnte sich keinen Reim aus Ambers Verfassung machen. Mitfühlend zog er sie in seine Arme und eine Zeitlang legte Amber den Kopf an seine Brust, ohne mehr zu tun als aufgewühlte Atemzüge von sich zu geben.

Ambers Verhalten machte Harry betroffen, denn so anlehnungsbedürftig und weit von ihrer meist selbstbewussten Art entfernt hatte er sie noch nie erlebt, selbst nicht, als sie in Andeutungen über ihre Kindheit gesprochen hatte. Irgendetwas Gravierendes musste vorgefallen sein!

Schließlich löste Amber sich widerstrebend von ihm, griff jedoch nach seiner Hand und zog ihn zum Sofa. Dann sank sie auf das Polster, zog ihre Beine an sich und umschlang sie mit beiden Händen, so dass sie ihr Kinn auf den Knien ablegen konnte. Ihr Blick glitt unbestimmt von Harry fort in den Raum hinein.

„Amber, sag mir, was los ist!", verlangte Harry energisch und berührte sie sanft an der Schulter. Es fiel ihm schwer mit anzusehen, wie seine Freundin um Fassung rang. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrem Mund und es war deutlich, dass sie damit kämpfte, ihm etwas mitzuteilen. Harry hätte sie schütteln mögen, aber mühsam zwang er sich zur Geduld und fuhr stattdessen mit seinen Finger sanft durch Ambers Haare und über ihren Nacken.

Das schien Amber ein wenig zu entspannen und ein vorsichtiges Lächeln erreichte schließlich ihre Mundwinkel.

„Ich..." sie seufzte vernehmlich und verharrte. Mit allem Anschein von Unschlüssigkeit zwirbelte sie eine Haarsträhne um ihren Finger.

„Amber, nun sag!" Mühsam beherrscht rieb Harry seine Hände aneinander.

Amber holte tief Luft und blickte Harry mit einer Mischung aus Bedauern und Schmerz an.

„Ich habe das Pergament gelesen, dass Hermine dir gestern gegeben hat."

Es handelte sich um den Text für Hermines neuen Artikel, den sie eigentlich heute ihrem Chefredakteur vorlegen wollte. Harry hatte vorgehabt, ihn auf der Arbeit zu lesen und Hermine anschließend eine Rückmeldung zu geben, doch er hatte heute Morgen komplett vergessen, das Pergament mitzunehmen.

„Ja?", wollte er nun leicht beunruhigt wissen. „Was hat sie geschrieben?"

„Harry..." Jegliche Farbe war aus Ambers Gesicht gewichen. „Du hast ihn noch nicht gelesen, oder?", wisperte sie.

Harry schüttelte nervös den Kopf und fragte sich beklommen, was drin stand.

„Accio Flügelschlag-Pergament."

Den Bruchteil einer Sekunde später schwebte das Pergament in Ambers Hände und sie reichte es Harry wortlos und presste dann die Lippen zusammen. Harry entrollte das Papier und überflog die ersten Zeilen, bis die Erwähnung des Ortes Bedford ihn innehalten ließ. Er ließ seine Augen nochmal ein paar Zeilen zurückwandern und las nun mit größerer Sorgfalt.

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWhere stories live. Discover now