Kapitel 26

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Die Tür aufzubekommen war ein Leichtes, was ein untrügliches Indiz dafür war, dass in Hogwarts die Weihnachtsferien begonnen hatten und fast alle Schüler gestern abgereist waren. Insofern gab es wohl wenig Grund zu der Annahme, sich gegen ungebetene Gäste schützen zu müssen, fuhr es Draco beiläufig durch den Kopf, zumal der Zugang zum Hogwarts-Gelände selbst wie eh und je geschützt war. Diese Sicherheitsvorkehrung war es gewesen, die Draco dazu veranlasst hatte, sich ganz offiziell bei Direktorin McGonagall zu einem Besuch anzumelden. Er hatte eine Anwesenheit in Hogsmeade vorgeschoben, dem nahe Hogwarts gelegenen Zaubererdorf, und vorgegeben, dort von McGonagalls heutigem siebzigsten Geburtstag gehört zu haben.

McGonagall hatte ihn kurz mit dem für sie so typischen, kritischen Blick beäugt, den er noch aus seiner Schulzeit kannte, war aber in Erinnerung an die Zeit, in der er hier ein Jahr lang Professor Slughorn assistiert hatte, wohl zu dem Schluss gekommen, dass an seiner Gratulation nichts Verwerfliches war. Mit einem reservierten Lächeln, das kaum ihre Mundwinkel erreichte, hatte sie seine Glückwünsche entgegengenommen und Draco dann zu der wenig später stattfindenden Feier eingeladen. Die reine Höflichkeit, die dieser Einladung zu Grunde lag, war Draco nicht entgangen, und er hatte daher freundlich abgelehnt. Auf das Gelände der Schule zu gelangen, war alles, was er im Sinn gehabt hatte.

McGonagalls dann erfolgte Spontaneinladung zum Tee war der Tatsache geschuldet, dass die Malfoys weiterhin zu den finanziellen Gönnern der Schule gehörten, auch wenn Draco nicht hätte sagen können, wie hoch der Beitrag, den seine Mutter der Schule zukommen ließ, noch war. Als ehemaligen Schüler hatte McGonagall ihn freundlich nach seinem beruflichen Werdegang befragt, wobei eine gewisse Distanz dennoch die ganze Zeit spürbar gewesen war, was Draco allerdings nicht überrascht hatte.

Er hatte bei McGonagall unter anderem durch seine Sympathie gegenüber dunkler Magie wenig Wohlwollen erfahren, ohne dass es sich jedoch negativ auf seine Leistungsbeurteilung ausgewirkt hatte. Anders als sein eigener Hauslehrer Professor Snape war McGonagall eine ausnahmslos gerechte Professorin gewesen, die niemanden begünstigt hatte, auch nicht Schüler, die wie sie in Opposition zum dunklen Lord gestanden hatten.

Die einzigen Vorfälle vorbehaltloser Parteinnahme, an die sich Draco erinnern konnte, waren die Quidditchspiele gewesen, bei denen McGonagall immer deutlich ihre Begeisterung und Unterstützung für Gryffindor zum Ausdruck gebracht hatte. Sie hatte sich entsetzt über herbe Niederlagen gezeigt oder bei einem Sieg ihres Hausteams geradezu strahlend gelächelt. Es waren die einzigen Momente gewesen, in denen sie mehr von sich preisgegeben hatte als die äußere Fassade einer Professorin, die sich der Aufgabe verschrieben hatte, ihren Schülern die Kunst der Verwandlung beizubringen.

Heute war es nicht anders gewesen und mit innerer Belustigung hatte Draco darüber nachgedacht, dass die vielen Falten in ihrem Gesicht vielleicht die Folge ihres ständigen, strengen Gesichtsausdruckes waren, wenn sie diesen noch nicht einmal in Anwesenheit eines mittlerweile erwachsenen Schülers ablegte. Es kümmerte ihn jedoch wenig, denn ihre Wege kreuzten sich üblicherweise nicht, und mit dem befriedigenden Gefühl, die erste Etappe seines Plans erfolgreich gemeistert zu haben, hatte sich Draco alsbald verabschiedet.

Die verbleibenden zwei Stunden hatte er damit verbracht, unauffällig über das Gelände zu spazieren, wobei er sorgfältig darauf achtete, nicht von Hagrid gesehen zu werden. Der Halbriese war weiterhin Wildhüter auf Hogwarts, und das, fand Draco, passte definitiv besser zu ihm als der misslungene Versuch damals, Pflege magischer Geschöpfe zu unterrichten, wo ein von Hagrid zu Unterrichtszwecken mitgebrachter Hippogreif auf Draco losgegangen war.

Noch genau konnte er sich an das Entsetzen und den Schmerz erinnern, die ihn durchfahren hatten, als der Hippogreif die Krallen so heftig in seinen Arm geschlagen hatte, dass die daraufhin blutende Wunde sofort verarztet werden musste. Und an das Gefühl der Peinlichkeit, das sich gleich darauf eingestellt hatte, weil Potter wieder mal etwas geschafft hatte, was ihm selbst misslungen war. Sein Vater war sofort nach Hogwarts geeilt und hatte noch auf der Krankenstation die Ursache für die Verletzung zu wissen verlangt.

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt