Kapitel 68

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Ginny! Ginny! Rons Stimme klang ausgesprochen panisch, aber er war nicht zu sehen. Der feuchtkalte Nebel verhüllte alles um sie herum und ließ ihre Hände ungemein geisterhaft erscheinen. Fest umklammerten sie ihren Zauberstab. Ginny! Erneut hörte sie Ron rufen. Durch die Nebelschwaden spürte sie, wie sich eine Gestalt näherte und bereits ohne dass sie sie erkannte, lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Und dann verschwand der Nebel wie fortgezaubert und vor ihr stand Bellatrix, höhnisch lächelnd, und mit zum Angriff erhobenem Zauberstab. Ginny! Und nun war es die Stimme ihrer Mutter, die sie warnend rief, doch zu spät, Bellatrix öffnete ihren Mund und...

„GINNY!"

Mit einem Angstschrei fuhr Ginny hoch und riss die Augen auf. Helles Sonnenlicht lag auf ihrer Decke, was ihr sofort klarmachte, dass es viel später war als es hätte sein sollen. Ihre Mutter stand in ihrem Zimmer, ein paar Schritte von ihrem Bett entfernt und hatte die Hände entschuldigend gehoben.

„Sorry, Liebes, ich wollte dich nicht erschrecken." Mrs Weasley sah ihre Tochter mitfühlend an. „Aber ich dachte, du hättest verschlafen..."

„Wie spät ist es?", fragte Ginny matt, noch halb im Banne ihres Alptraumes.

„Kurz vor zehn Uhr", erwiderte Mrs. Weasley und sah besorgt zu Ginny hinüber. „Geht es dir nicht gut? Soll ich dir eine Kräuteressenz machen?"

„Nee, brauchst du nicht", würgte Ginny ihre Mutter knapp ab. „Ich mache mich sofort auf den Weg."

Mit der Versicherung, dass Ginny jederzeit kommen könnte, wenn sie etwas brauche, verließ Mrs. Weasley das Zimmer und Ginny ließ sich trotz des Verschlafens noch einmal benommen ins Kissen sinken. Was für ein Traum! Sie spürte, wie der nasse Schweiß ihren Rücken kühlte und begann zu frösteln. Sie hatte seit Jahren nicht mehr von Bellatrix geträumt. Warum jetzt? Weil sie Marc die Frage nach ihrem Tod gestellt hatte?

Schließlich sprang Ginny mit einem Ruck auf ihre Füße und hexte wahllos einige Kleidungsstücke aus ihrem Schrank. Bei jeder Bewegung spürte sie ihre Muskeln protestieren. Das Wochenendseminar war nicht nur der mentalen Abwehr gewidmet gewesen, sondern auch der körperlichen. Zu ihrem Leidwesen hatte Ginny feststellen müssen, dass sie in dieser Hinsicht mehr Defizite besaß als sie vermutet hatte und das, obwohl sie sich früher so oft gegen ihre Brüder hatte verteidigen müssen. Allein der Wille zur Verteidigung sei jedoch nicht ausreichend, die richtige Technik wäre es, auf die es ankam, hatte der Lehrer betont. Ginny seufzte und ihr war klar, dass sie noch ordentlich würde üben müssen, um sich auf mehr als ihre Zauberkraft verlassen zu können.

Das energische Huten von Pigwidgeon, Rons kleiner Zwergohreule, ließ Ginny aufschrecken. Hatte die Eule vorhin ebenfalls geschlafen, weil sie es vorher nicht geschafft hatte, Ginny zu wecken? Und wieso hatte sie überhaupt den Weckzauber überhört? Offenbar hatte sie den langen Schlaf nach dem intensiven Wochenende jedoch einfach gebraucht.

Pigwidgeon flog auf Ginnys Schulter, kniff sie vorwurfsvoll und flog dann zurück auf die Kommode, wo die Eule ihre Nachricht abgelegt hatte. Resigniert zog Ginny das Pergament zu sich heran, obwohl sie eigentlich keine Zeit hatte. Es war von Hermine und in seiner Kürze dennoch eindeutig:

Melde dich nachher! Ich muss dir dringend etwas erzählen. Hermine

P.s. Ich hoffe, dein Wochenende war erfolgreich.

Ginny hatte keine Ahnung, was Hermine so Eiliges von ihr wollen konnte.

Ich melde mich heute Abend, ok? Muss jetzt in die Academy.

Love, Ginny, kritzelte sie zurück auf das Pergament, das die kleine Eule aufgeregt an sich nahm und dann damit aus dem Fenster flog.

Nur wenige Minuten später verließ auch Ginny den Fuchsbau und reiste über das Flohnetzwerk nach Oxford. Nach einem unangenehmen Moment mit ihrem Ausbilder, bei dem sie sich für die Verspätung entschuldigte, betrat sie das betont nüchtern gehaltene Studierzimmer, dessen hervorstechendstes Merkmal die Stühle mit hohen Lehnen waren, die sich vor jedem Tisch befanden. Anders als in gemütlichen Bibliotheken war der ganze Raum jedoch völlig bücherlos, und weder Vorhänge noch Bilder gaben dem Raum eine komfortable Note. Lediglich ein Kamin war in der Lage, für Heimeligkeit zu sorgen, doch aufgrund der milden Temperaturen brannte kein Feuer mehr.

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWhere stories live. Discover now