Gehandicapt - Eine besondere...

By readerbunny01

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1. Platz beim Galaxy-Award in der Kategorie Jugendliteratur, vielen Dank dafür! Auch wenn Alice wegen eines U... More

Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Epilog
Nachwort

Kapitel 9

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By readerbunny01

„Du lächelst ja so“, meint Sabine, während sie mir den Teller voll Nudeln und Soße schöpft. „War der erste Tag doch nicht so schlecht?“ Wir sitzen alle in der Küche am Mittagstisch und essen.

Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich lächele und wenn ich an den Tag im einzelnen zurückdenke, ist er eigentlich ganz okay verlaufen, außer, dass ich zu spät kam und meine Französischlehrerin nicht mag. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass ich die ganze Zeit lächele, dass ich Ciaran nicht aus dem Kopf bekomme.

„Es war okay“, sage ich. „Und bei dir, Marie?“ Ich lenke schnell vom Thema ab, bevor es auffällt, dass mir das Blut in den Kopf schießt und meine Gesichtsfarbe etwas mehr ins rötliche geht.

„Cool, das Mädchen, das neben mir sitzt ist richtig nett“, erzählt sie mit vollem Mund, sodass man kaum etwas versteht.

„Wie heißt sie denn?“, frage ich und beginne ebenfalls zu essen.

„Chiara.“

„Schön. Offensichtlich hast du schon eine Freundin“, meint Sabine, „und du, Alice?“

„Na ja, in Bio sitze ich neben Finnie, die ist eigentlich sehr nett, aber im Klassenraum sitze ich neben Sina und die wird wohl nie meine Feundin werden“, sage ich. Ich weiß nicht, warum, aber von Ciaran erzähle ich nichts.

„Vielleicht könnt ihr eure neuen Freundinnen mal zu uns nach Hause einladen“, schlägt Thomas und Sabine nickt bestätigend.

Die Küche ist schon vollständig eingeräumt. Die Wände sind in einem warmen Orange gestrichen und eine große, doppelflügelige Glastür führt auf die Terrasse, die das Haus umschließt. Außerdem führt sowohl eine Tür in den Flur, als auch eine in das Wohnzimmer. An den Wänden hängen Familienfotos. Mal sind Marie und ich zu sehen, mal Thomas und Sabine, mal alle zusammen und mal einzelnd. Ein großes Fenster über der Spüle führt nach vorne. Von außen ist es das erste und einzige links neben der Eingangstür. Das gesamte Haus ist sehr geräumig, was es für mich einfach macht, überall ranzukommen und mich zurecht zu finden.

Den Nachmittag verbringe ich mit Hausaufgaben und Zimmer einräumen. Ich stelle viele Bilderrahmen mit Fotos von Elli, Laura, Markus und Simon auf mein Fensterbrett, auch wenn ich jetzt schon weiß, dass mich ihr Anblick immer traurig machen wird. Hoffentlich schließt Thomas bald den Computer an, damit ich mit den anderen skypen kann. Am meisten macht es mir Spaß, die vielen Bücher in das Regal einzusortieren.

Als ich schließlich fertig bin, gehe ich mit meinem Zeichenblock hinten auf die Terrasse, wo noch Sonne ist. Dabei werde ich Zeuge eines wunderschönen Sonnenuntergangs. Der Himmel leuchtet in roten, orangen und blauen Farben und der Feuerball glüht förmlich.

Ich zeichne einfach drauf los, ohne mir vorher darüber Gedanken zu machen, was. Irgendwann schaue ich genauer hin und sehe, was, oder besser gesagt wen, ich gezeichnet habe. Allerdings gefällt mir das Bild noch nicht. Entweder die Augenbrauen oder Lippen. Oder ist es die Nase, die nicht getroffen ist? Ich komme zu dem Schluss, dass es der Ausdruck in seinen Augen ist, den ich nicht getroffen habe, aber ich weiß auch, dass man diesen nicht aus dem Gedächtnis in das Bild zaubern kann. Ich muss also bis morgen warten. Wenn ich ihn dann wiedersehe, heißt das. Mein Herz schlägt schneller, als mir in den Sinn kommt, dass das gar nicht unbedingt der Fall sein muss. Ich nehme mir fest vor, ihn morgen nach seiner Handynummer zu fragen, oder ob er einen Skypenamen hat.

„Willst du mit uns einen Film gucken?“ Ich zucke zusammen, als Sabine plötzlich hinter mir steht und presse meinen Block an meine Brust, damit sie nicht sehen kann, was ich gezeichnet habe.

„Ähm, nein, ich würde lieber noch ein bisschen den Sonnenuntergang genießen“, sage ich wahrheitsgemäß.

„Okay“, meint sie und geht wieder rein.

Ich sitze noch lange auf der Terrasse und denke an dies und das und jemand ganz bestimmten. Als es schließlich doch zu frisch wird, fahre ich wieder rein, frage Sabine, ob sie mir beim Fertigmachen hilft und gehe dann schlafen.

Ich wundere mich am nächsten Morgen nicht, als mir klar wird, von was ich geträumt habe: Von Ciarans Lächeln und seinen strahlenden Augen. Was ist das nur, dass er mich sogar bis in die Träume verfolgt? Aber schlecht geschlafen habe ich nicht.

Thomas bringt uns zur Bushaltestelle. Mein Bus fährt früher als Maries, aber sie kommt trotzdem schon mit. Der Busfahrer ist alt. Schwerfällig steigt er aus dem Bus aus und humpelt zur hinteren Tür, die er zuvor aufgemacht hat. Mit hochgezogener Augenbraue sehe ich ihm dabei zu, wie er im Schneckentempo die Rampe für den Rollstuhl aufbaut. Aus dem Inneren des Busses hört man Stöhnen und den Ausruf: „Oh Mann, jetzt dauert das so lange und das nur wegen der Neuen!“ Bin ich schon so populär? Wahrscheinlich, denn es kommt ja nicht alle Tage eine Querschnittsgelähmte an die Schule. Thomas schiebt mich die Rampe hoch. Ich bin ihm sehr verbunden, dass er mich nicht zum Abschied auf die Stirn küsst, denn dann wäre ich ganz sicher als das kleine, hilfsbedürftige Mädchen abgestempelt.

Als der Busfahrer wieder sitzt und die Türen schließt, ist allgemeines endlich! zu hören, was den Fahrer offensichtlich ganz schön aufzuregen scheint. Er steht noch einmal auf und dreht sich zu den Fahrgästen um.

„Wenn es jemandem in diesem Bus zu lange dauert, bis wir losfahren, kann dieser jemand auch gerne aussteigen“, ruft er mit sehr eindringlicher Stimme. Wut brodelt in seinen Augen. „Keiner? Gut, aber sollte ich noch ein Mal ein Stöhnen oder sonst etwas in dieser Art hören, darf diese Person diesen Bus verlassen, auch unfreiwillig. Und glaubt mir, ich kriege heraus, wer es war!“ Das ist eindeutig eine Warnung. Irgendwie ist mir dieser Mann sympathisch.

Mir schleicht sich sofort ein Lächeln auf die Lippen, als wir in der Schule ankommen, denn da steht er, lässig an den Laternenpfahl gelehnt, seine Hände in den Hosentaschen und mit ernstem Gesichtsausdruck die Menschen beobachtend.

Der Busfahrer macht die Türen nicht sofort auf, auch wenn schon alle aufgestanden sind, um möglichst schnell aus dem Bus zu kommen. Diesmal spricht er durch das Mikrofon: „So, und jetzt setzt ihr euch alle noch einmal auf eure Plätze. Das junge Mädchen darf zuerst aussteigen.“

Meint er mit dem jungen Mädchen etwa mich? Offensichtlich, denn viele der Schüler werfen mir giftige Blicke zu, während sie sich zurück auf ihre Plätze begeben. Sie wissen alle, mit diesem Busfahrer ist nicht zu spaßen. Nun öffnet er die Türen, wobei es mich wundert, dass nicht wenigstens einer herausspringt, während der Weißhaarige nach hinten humpelt. Wir fallen vielen Leuten auf, die uns beobachten, so auch Ciaran. Er kommt näher und fragt ganz höflich: „Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Der Fahrer dreht sich überrascht um. „Ja, gerne“, sagt er. „Hier, diese Platte musst du so aufstellen, dass sie eine Rampe bildet. Ist eigentlich nicht sehr schwer“, erklärt er und tritt einen Schritt zurück.

Ich beobachte die Mädchen in meinem Bus. Die meisten lehnen sich so weit vor wie möglich, um gut sehen zu können, manche tuscheln auch. Andere bedenken Ciaran mit kritischem Blick. Offensichtlich gibt es zwei Gruppen: Die einen stehen total auf Ciaran, weil er gut aussieht, die anderen verachten ihn, weil sie ihn wirklich für einen Drogenhändler halten. Ich selbst kann mich in keine Gruppe einordnen. Vielleicht liegt es daran, dass ich ihn kennen gelernt habe und weiß, dass er ein nettes Wesen hat.

Schließlich ist die Rampe aufgebaut und ich rolle sie hinunter. Ciaran baut sie wieder ab, der Fahrer bedankt sich herzlich und dann können wir endlich in richtung Schule gehen, beziehungsweise fahren. Ich krieg das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Wieso freue ich mich so, in der Schule zu sein?

Ich will gerade meinen Stundenplan rauskramen, als Ciaran mir zuvorkommt. „Du hast zwei Stunden Sport“, informiert er mich.

„Woher weißt du das?“, frage ich überrascht.

„Ich hab deinen Stundenplan studiert, sodass ich immer weiß, was du gerade hast und ich dich immer abholen kann. Finnie wird sich damit zufrieden geben müssen“, meint er schulterzuckend.

Ich muss noch mehr lächeln und habe noch immer keine Ahnung, warum. Er schiebt mich vor eine Bank und setzt sich auf diese, sodass wir uns gegenüber sitzen. Jetzt habe ich Gelegenheit, mir sein Gesicht für die Zeichnung genau einzuprägen. Und seine Augen. Ich sehe tief hinein. Ihn scheint es überhaupt nicht zu stören, dass ich ihn so intensiv mustere. Seine Mundwinkel wandern nach oben.

„Was?“, frage ich.

„Nichts“, meint er, was ich ihm definitiv nicht abkaufe.

„Ach ja“, sage ich, „weißt du etwas mit dem Begriff Skype anzufangen?“

„Ja, aber ich habe keinen Namen und kenne mich damit kein bisschen aus.“ Er lächelt. Seine Zähne sind perfekt. Ich muss zurückzulächeln, wenn ich das nicht schon die ganze Zeit getan habe.

„Schade. Hast du ein Handy?“

„Ja.“

„Dann hast du auch eine Handynummer“, stelle ich fest.

„Das ist nur logisch“, meint er.

Ich stöhne auf. „Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase herausziehen! Willst du sie mir geben?“

„Ja, gib du mir dein Handy, dann speicher ich sie dir ein“, schlägt er vor und ich bin einverstanden.

Es klingelt, als ich es ihm gerade gegeben habe. Blitzschnell gibt er seine Nummer ein, während er aufsteht und sich seine Tasche über die Schultern wirft.

„Hast du eine Klasse, in die du gehst, wenn die anderen Sport haben?“, fragt er nebenbei.

„Nein.“

„Dann bekommst du bestimmt noch eine“, meint er und gibt mir das Handy zurück.

„Ja, wahrscheinlich.“

„Ich bring dich erst mal zur Sporthalle.“

„Aber du musst doch auch in den Unterricht“, widerspreche ich.

„Nein, ich habe jetzt eine Freistunde. Ich hab erst in der zweiten Unterricht“, informiert er mich.

„Ah.“ Wieso ist er dann so früh in die Schule gekommen? Er hätte mit dem Auto ja beliebig spät losfahren können.

Es ist interessant, den anderen beim Sportunterricht zuzuschauen. Sie spielen ein Spiel, dessen Regeln ich noch nicht ganz durchschaut habe, aber das macht nichts. Etwa nach zehn Minuten kommt Finnie in die Halle und japst um Entschuldigung. Sie ist einiges zu spät gekommen. Die Lehrerin spricht mit ihr, aber aus der Entfernung kann ich nicht verstehen, was sie sagt. Während die anderen spielen, kommt die Sportlehrerin zu mir.

„Es würde dir nichts bringen, wenn du jede Sportstunde hier sitzen würdest und nichts tun würdest“, sagt sie, „deshalb würde ich dich bitten, dich im Sekretariat zu erkundigen, in welche Klasse du dann immer kurzzeitig gehen kannst.“

„Ja, das war in meiner alten Schule auch so“, sage ich.

„Dann ist ja gut. Vielleicht kannst du in eine Klasse, die zu der Zeit ein Fach hat, das du nicht so gut kannst, oder eines, das dir Spaß macht“, meint sie und wendet sich wieder dem Spiel zu.

Ciaran macht sein Versprechen wahr und weicht mir in der Pause nicht von der Seite, genau wie Finnie, denn sie will mich nicht mit ihm alleine lassen. Jetzt sind wir zu dritt. Unser Grüppchen wird immer größer. Ciaran und Finnie streiten sich nun, ob wir lieber raus auf den Schulhof gehen oder drinnen bleiben sollen. Die beiden erinnern mich an ein altes Ehepaar, wobei Ciaran die Sache nicht wirklich ernst zu nehmen scheint, was Finnie natürlich noch mehr auf die Palme bringt. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es Ciaran eigentlich völlig egal ist, ob wir raus oder rein gehen und er nur für drinnen stimmt, weil Finnie raus will.

„Leute, wieso können wir nicht in der einen Pause raus und in der anderen Pause rein gehen?“, mische ich mich schließlich ein, als mir die Diskussion doch zu nervig wird. Finnie gibt sich mit diesem Vorschlag zufrieden, während Ciaran weiter vor sich hingrinst. Wir gehen also raus, was ich unlogisch finde, weil es in der zweiten Pause sicher wärmer ist, als in der ersten. In der zweiten gehen wir rein und dann ist nach der sechsten Stunde für mich und Finnie heute Schluss. Von Ciaran erfahre ich, dass er bis zur neunten hat und deshalb noch nicht nach Hause kann. Finnie muss wieder schnell zum Bus, um möglichst noch einen Sitzplatz zu ergattern. Das Problem habe ich nicht.

Ciaran kann mich trotzdem zum Bus bringen, weil er Mittagspause hat.

„Und, wie findest du die Schule?“, fragt er.

„Ach, eigentlich ganz schön. Mittlerweile weiß ich auch schon ungefähr, wo was ist“, sage ich. „Bist du seit der fünften Klasse hier?“

„Ja, und vorher war ich nebenan auf der Grundschule“, erzählt er. Er schiebt mich an der großen Wiese vorbei, die sich vor dem Schulgebäude befindet und die oft zum Fußballspielen genutzt wird. Sogar zwei Tore stehen darauf.

„Das heißt, du wohnst hier schon seit du klein bist?“, frage ich weiter.

„Ja, ich bin noch nie umgezogen und ich will es auch nicht. Zumindest nicht, bevor ich mit der Schule fertig bin und ausziehe.“

„Ich hab mir nie Gedanken darüber gemacht, aber als Thomas und Sabine mir und meiner Schwester mitteilten, dass sie das geplant haben, wollte ich es nicht, aber da war's dann schon zu spät.“

„Welcher Bussteig?“, fragt er. Mittlerweile sind wir am Bahnhof angekommen.

„Eins“, informiere ich ihn und er schiebt mich hin. Erfreut stelle ich fest, dass es derselbe Busfahrer wie heute morgen ist.

„Hallo“, begrüße ich ihn. Er nickt freundlich zurück, während er zur hinteren Tür geht. Ciaran hilft wieder, die Rampe aufzubauen und wir können relativ schnell losfahren.

„Man sieht sich“, formen Ciarans Lippen und lächeln. Ich winke zum Abschied, dann kann ich ihn nicht mehr sehen, weil wir um eine Ecke fahren, nach Hause.

-Hallo Leseratten,
Hier habt ihr wieder ein Kapitel. Ich weiß, im Prinzip ist es nicht sehr spannend, aber ich hoffe, es war trotzdem nicht langweilig! Meldet es mir doch zurück. Viel Spaß beim Lesen!

Euer readerbunny01-

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