Kapitel 12

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Ich bin schon wach, als Sabine ins Zimmer kommt, um mich zu wecken. Mein Herz beginnt ständig schneller zu schlagen, wenn ich daran denke, dass Ciaran nachher kommt. Es ist Vorfreude, sicher, aber es ist auch Nervosität. Es wird das erste Mal sein, dass Sabine und Thomas Ciaran begegnen. Dieser Moment wird von allem anderen abhängen. Von was, weiß ich auch nicht genau, es ist mehr ein Gefühl, als Gewissheit. Ständig sehe ich auf die Uhr. Auf der einen Seite schreitet der Zeiger viel zu schnell, auf der anderen Seite viel zu langsam voran. Es ist auf jeden Fall nervenzehrend. Wir essen. Es herrscht eine angespannte Stimmung. Sabine und Thomas werfen sich immer wieder Blicke zu, die ich nicht zu deuten weiß, während wir schweigend essen. Schließlich sind wir fertig und Sabine und Thomas räumen den Tisch ab. Ich bleibe am Tisch sitzen, während die beiden noch die letzten Sachen für die Reise vorbereiten. Wieder wandert mein Blick zur Uhr. Dann klingelt es an der Tür. Ich erstarre.

„Fünf vor acht. Viel zu pünktlich. Will der uns in den Arsch kriechen?“ Das ist Thomas Kommentar. Na toll, das kann ja was werden. Ich rolle auf den Flur, auf den auch Thomas und Sabine kommen. Maries Vater geht zur Tür und macht sie auf. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Dort steht er auf der Türschwelle und hat sein strahlendstes Lächeln aufgesetzt. Er streckt meinem Ziehvater seine Hand entgegen und sagt: „Hallo, ich bin Ciaran. Freut mich, Sie kennen zu lernen.“

Ciaran hat keine Jacke, sondern nur ein schwarzes T-Shirt an. Missbilligend wandert Thomas Blick zu seinem Unterarm, auf dem das Tatoo prangt. Er sieht aus, als wolle er Ciaran sofort wieder wegschicken, aber er überwindet sich und nimmt die dargebotene Hand. Mir fällt ein Kieselstein vom Herzen. Ein Schritt ist geschafft, doch es liegen noch viele vor uns. Zum Glück greift nun Sabine ein. Sie reicht ihm ebenfalls die Hand und stellt sich vor: „Hallo, ich bin Sabine und das ist mein Mann Thomas. Komm doch erst mal rein.“

Sie geht einen Schritt zur Seite und lässt ihn vorbei. Als er mich erblickt, fangen seine Augen wie auf Knopfdruck noch mehr an, zu leuchten. „Hi, Alice. Wie geht's dir?“, fragt er.

„Hallo“, erwidere ich, „gut und dir?“ Ich bin mir vollauf bewusst, dass Sabine und Thomas uns beobachten. Ciaran offensichtlich auch, denn er deutet ein kurzes Augenverdrehen an, was mich das Lachen nur schwer unterdrücken lässt, bevor er antwortet: „Es könnte mir nicht besser gehen.“ Seine Augen sagen das gleiche.

„Dann lasst uns doch in die Küche gehen, damit wir noch letzte Dinge besprechen können“, schlägt Sabine vor. Ciaran tritt wie selbstverständlich hinter mich und schiebt mich Sabine hinterher. Sie bietet ihm einen Stuhl an und er setzt sich, ebenso wie Sabine und Thomas.

„Also“, beginnt sie, „ihr könnt im Prinzip alles machen, was ihr wollt, nur Sachen, die gefährlich sind und die dem Haus oder der Einrichtung schaden nicht, aber ich denke, um das zu wissen seid ihr alt genug.“ Sowohl Ciaran als auch ich nicken. „Um elf fahrt ihr dann Marie holen, Alice hat die Adresse, und dann machst du den beiden irgendwas zu essen“, fährt sie fort, „ab da kümmerst du dich auch um Marie und machst gegebenenfalls Abendessen. Wenn wir erst sehr spät zu Hause sein sollten, schickst du sie bitte um half elf ins Bett. Verstanden?“ Ciaran nickt. „Gut, dann wäre ja alles geklärt. Alice kann dir zeigen, wo alles ist. Zimmer wie zum Beispiel unser Schalfzimmer oder Büro sind selbstverständlich tabu und auch in Maries und Alices Zimmer darfst du nur mit Erlaubnis. Hab ich was vergessen?“, fragt sie an Thomas gewandt, doch bevor er irgendwas sagen kann, redet sie schon weiter: „Über Verhütung müssen wir, hoffe ich, nicht mehr sprechen?“ Mir fällt fast die Kinnlade herunter und ich reiße die Augen auf, doch Ciaran nickt ganz cool. Sabine muss sich ein Schmunzeln verkneifen. „Gut, dann hast du hier den Haustürschlüssel. Mach keinen Ärger und enttäusch uns nicht“, meint sie und schon sind sie so gut wie aus dem Haus. Sabine gibt mir noch einen Kuss auf die Wange, während Thomas für Ciaran nur einen strengen Blick übrig hat. Dann schlägt die Tür ins Schloss und sie sind weg. Im Haus ist es still. Nun sind wir alleine im Flur.

Gehandicapt - Eine besondere LiebesgeschichteWhere stories live. Discover now