Kapitel 1

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„Eigentlich ist es ja schon praktisch, mit dir befreundet zu sein", meint Elli, „man muss nie die Treppen laufen, sondern kann immer mit dem Aufzug fahren."
Ich muss lächeln. Elli weiß immer, das Beste aus der Situation rauszuholen. Sie drückt den Knopf für den dritten Stock und die Türen schließen sich. Ich habe sowohl meine grüne als auch Ellis pinke Tasche auf meinem Schoß. Als die Türen wieder aufgehen, schiebt mich Elli aus dem kleinen Aufzug, in den höchstens vier stehende Menschen reinpassen. Markus, Simon und Laura warten bereits auf uns. Sie haben die Treppen genommen.
Markus hat braune, lange Haare, die er sich zu einem Zopf zusammengebunden hat, und überhaupt einen sehr ungewöhnlichen Geschmack, was seine Kleider betrifft. Aber ich kenne ihn von klein auf und fände es merkwürdig, wenn er nicht so aussehen würde.
Simon hat blonde und eher kurze Haare. Er ist im Prinzip genau das Gegenteil von Markus, denn er zieht sich mit blauer Jeans und Hemd sehr ordentlich an. Er ist intelligent und dieser Eindruck wird durch seine Brille noch verstärkt.
Laura ist die stillste von uns. Sie ist sehr introvertiert und hört uns meistens nur zu, wenn wir Unsinn machen. Sie ist allerdings auch die Vernünftige und hat uns schon öfter vor Dummheiten bewahrt. Mit ihren mittellangen, blonden Haaren hat sie auch extra den Look gewählt, der nicht so schnell auffällt.
Anders als Elli, die sich die Haare kurz geschnitten und rot gefärbt hat. Sie ist die lebendigste von uns und, wenn ich das so sagen darf, die schamloseste. Hemmungen kennt sie nicht und wenn sie weiß, was das ist, kümmert sie sich nicht darum. Aber genauso, wie sie ist, mögen wir sie alle.
Und sie geben mir das Gefühl, nicht der Klotz am Bein zu sein. Ich meine, klar, ich sitze seit ich klein bin im Rollstuhl, aber wir haben uns damit abgefunden und ich könnte mir keine besseren Freunde vorstellen, denn sie unterstützen mich, wo sie nur können, ohne jedes Mal mitleidig auf mich runterzuschauen. Bei ihnen bin ich eine vollwertige Person, wie alle anderen auch, und ich bin sehr dankbar dafür.
„Und, wer freut sich auf Mathe?", fragt Markus wie immer und wie immer melden Elli und ich uns, um zu zeigen, wie dämlich diese Frage jedes Mal ist. Das ist mittlerweile schon unser kleines Ritual geworden.
Unseren Mathematiklehrer mag keiner von uns. Es ist nicht so, dass er jeden seiner Schüler anschreien würde, oder schlechte Noten verteilen würde. Wir fünf sind nur alle der Meinung, dass man bei ihm nichts lernt. Der Herr Hohlbein, wie er wirklich heißt, schweift immer zu anderen Themen wie seiner Familie oder Autos ab. In den ersten Stunden war das ja noch ganz lustig, aber mittlerweile würden wir schon gerne auch was lernen.
Elli schiebt mich an meinen Platz und holt sich ihre Tasche. Sie setzt sich neben Markus, und Laura kommt zu mir, denn so ist die Sitzordnung, mit der wir alle zufrieden sind. Auch Simon, denn er sitzt neben Alisa, auf die er heimlich steht. Dass er das immer abstreitet, nehmen wir nicht zur Kenntnis, denn es ist offensichtlich.
Wir kramen unsere Sachen raus und schließlich betritt Herr Hohlbein das Zimmer, doch die Lautstärke lindert sich kein bisschen. Er steht vorne am Pult, winkt mit den Armen und bittet leise um Ruhe, doch er ist so klein, dass die meisten ihn noch gar nicht bemerkt haben. Das läuft jedes Mal so, bis Markus aufsteht und durch den ganzen Raum um Ruhe brüllt. Dann setzen sich die Schüler widerwillig hin und Herr Hohlbein beginnt mit dem Unterricht. Ich kann darüber nur den Kopf schütteln. Unser Lehrer gleicht einfach einer Witzfigur, die nicht ernst zu nehmen ist.
Während er anfängt, über die Hausaufgaben zu sprechen, vom Thema abkommt und heute schließlich bei seiner Tante landet, bohre ich mir aus Langeweile meinen Bleistift ins Bein. Auch wenn ich nur eine inkomplette Lähmung habe, fühle ich rein gar nichts. Als wenn ich eine Betäubung hätte. Meine kleine Schwester hatte mal beim Zahnarzt eine Betäubung bekommen. Sie fand es so lustig, nichts zu spüren, dass sie ununterbrochen auf ihrer Backe rumkaute. Als die Betäubung nachließ, war das Geschrei natürlich groß. Nur, dass meine Betäubung sehr wahrscheinlich nie nachlassen wird. Auch, wenn die Chancen höher stehen, als bei einer kompletten Lähmung. Laura bemerkt, was ich tue und legt ihre Hand auf meinen Arm. Sie schaut mich vorwurfsvoll an und ich lege den Stift wieder in mein Mäppchen. Ich falte meine Hände zusammen und spiele Däumchendrehen, während ich aus dem Fenster starre. Die Zeit zieht sich wie jede Stunde schleppend dahin und als es endlich klingelt, packe ich schnell meine Sachen zusammen, denn in der nächsten Stunde haben wir Chemie. Laura packt ebenfalls ihre Sachen ein, legt ihre Tasche zu meiner auf meinen Schoß, stellt sich hinter mich, löst die Bremsen und schiebt mich aus dem Klassenzimmer. Simon, Markus und Elli warten schon draußen und als wir dazustoßen, setzt sich unsere Gruppe in Bewegung und die allbekannte Lästerei über unseren Mathelehrer kann beginnen.

Gehandicapt - Eine besondere LiebesgeschichteWhere stories live. Discover now