Kapitel 45

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-Hallo, Leseratten!
Wie geht's euch? Ich bin momentan in Frankreich (Auch der Grund, warum ich nicht so viel zum Schreiben komme, wie im Rest der Ferien)! Das Wetter war in den letzten Tagen zumindest einfach nur traumhaft und die bretonische Nordküste ist toll! Wo seid oder wart ihr in den Ferien? Viel Spaß beim Lesen!

Euer readerbunny01-

„Thomas, ich kann das nicht. Nicht jetzt. Ich glaube, ich werde die Operation noch mal verschieben." Wir sitzen am Küchentisch und trinken Kaffee. Die unterschriebenen und ausgefüllten Papiere für Dr. Krause liegen auf dem Tisch.
„Das ist nicht dein Ernst, oder?"
„Doch, Alice braucht mich jetzt und ihr auch, vor allem Ciaran. Wenn ich jetzt auch noch von der Bildfläche verschwinde..." Ich nehme einen Schluck. Die warme Flüssigkeit läuft meine Kehle hinunter und wärmt von innen.
„Es geht hier um deine Gesundheit!", ruft Thomas entrüstet. „Ich bin mir sicher, der Arzt wird mir zustimmen, dass das keine gute Idee ist."
„Aber ich will das momentan einfach nicht. Ich will etwas tun, und wenn ich wegen dieser dummen Operation ans Bett gefesselt bin, geht das nicht."
Thomas seufzt. „Nur weil du deine Kontrolle nicht abgeben willst? Wenn du entscheidest, die Operation nicht zu machen, hast du zwar entschieden, aber die Kontrolle über den Tumor hast du so noch lange nicht. Sabine, ich liebe dich. Vertraue mir. Ich bin doch auch für Alice da. Und für dich auch. Ich will nicht, dass du deine Gesundheit riskierst oder gar dein Leben. Oder willst du sterben?"
„Nein, natürlich nicht", erwidert sie.
„Siehst du. Vertrau mir. Um mehr kann ich dich nicht bitten. Aber ich werde nicht einfach nur zusehen. Ganz sicher auch nicht tatenlos. Meine Meinung ist je eher desto besser."
Den restlichen Kaffee trinken wir schweigend. Als Marie fertig ist, fahren wir wieder ins Krankenhaus. Im Wartezimmer ist schon mehr los, als um drei Uhr morgens. Als wir die Gänge entlang zu Alice' Zimmer gehen, begegnen wir meinem Arzt Frau Dr. Jacobs.
„Hallo? Was macht ihr denn schon wieder hier?", fragt sie und reicht uns ihre Hand. „Gibt es ein Problem mit dem Tumor?" Sie ist noch jung und hat ihr braunes langes Haar wie immer zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden.
„Nein, wir sind wegen unserer Tochter hier, sie hatte einen Autounfall", erkläre ich. „Aber wir wollten sowieso noch einmal mit dir sprechen wegen der Operation."
„Okay." Sie schiebt sich einen Stift in ihre Kitteltasche. „Ich habe heute Nachmittag noch Zeit, wenn ihr dann vorbeikommen wollt?"
Ja, danke", sage ich.
Frau Dr. Jakobs geht weiter, während wir Alice' Zimmer betreten. Ciaran und Grace sind ebenfalls schon da.
Es war zwar wahrscheinlich, dass sie noch nicht wach sein würde, aber traurig ist es trotzdem. Sie liegt da wie gestern. Am schlimmsten ist, dass sie so unnahbar ist. Wir reden zwar mit ihr, aber es gibt kein Zeichen, dass sie uns überhaupt hört. Man fühlt sich so hilflos. Zwischendurch gehe ich, um Dr. Krause die Unterlagen vorbeizubringen. Um die Mittagszeit fahren wir in eine Pizzeria. Am Nachmittag geht's dann ins Krankenhaus zurück. Marie setzt sich noch einmal zu Alice, während Thomas und ich zu meiner Ärztin gehen. Sie ist derselben Meinung wie Thomas und ich mittlerweile auch. Ich muss meinem Mann vertrauen. Und Ole, dass er sich um Ciaran kümmert.
„Außerdem", versichert Frau Dr. Jakobs, „wirst du gar nicht so lange außer Gefecht gesetzt sein."
„Okay, okay. Die Operation findet wie geplant in dreizehn Tagen statt." Ich hebe ergebend die Hände.
„Zitterst du?", fragt auf einmal Thomas.
„Nein?"
Er deutet auf meine Hand. Tatsächlich zuckt sie unkontrolliert hin und her. Ich versuche sie mit der anderen festzuhalten, aber sie zuckt weiter. Ich schaue auf.
„Das sind ebenfalls mögliche Auswirkungen des Tumors", bestätigt Dr. Jakobs.
Ich seufze und fahre mir mit der zitternden Hand durch die Haare. Es ist zum Verrücktwerden.

Ich telefoniere oft mit Ole, manchmal mit Grace. Ciaran lässt mich nicht mehr an sich heran, und Grace auch nicht. Auch Ole gegenüber ist er meist sehr verschlossen, aber dieser ist der Meinung, dass es ihm auch hilft, über ganz andere Dinge zu reden. Manchmal hat er dann auch Tage, an denen sich alles freie Bahn sucht. Das gibt mir wiederum Hoffnung. Wir fahren fast jeden Tag nach der Schule ins Krankenhaus und ich bin sicher, dass Ciaran noch viel öfter da ist. Es tut mir leid, ihn so leiden zu sehen. Manchmal bringt er ihr auch Musik mit oder liest ihr etwas vor, aber oft schüttet er ihr sein Herz aus. Er sagt es nicht, aber dass sie nie reagiert zehrt an seinen Kräften.
Manchmal sind die Kopfschmerzen ganz weg, aber oft habe ich mindestens einen leichten Schmerz im Hinterkopf, der mich Tag aus Tag ein begleitet. Des öfteren wird mir schwindelig oder ich bekomme Zuckungen. Mittlerweile bin ich so weit, dass ich mich regelrecht auf die Operation freue.

„Schön, dass du da bist, komm rein", begrüße ich sie lächelnd und trete von der Tür zur Seite. Grace hat ebenfalls ein Lächeln auf den Lippen, als sie den Flur betritt, aber es erreicht ihre Augen nicht.
„Danke", sagt sie und geht vor mir ins Esszimmer. Ich dirigiere sie in den Garten.
„Möchtest du Eistee?", frage ich sie. „Ich hab gestern welchen gemacht."
Sie nickt und setzt sich auf einen der Gartenstühle an den Tisch. Wenig später sitze ich ihr gegenüber und wir trinken den Eistee. Irgendwie fällt es mir schwer, sie als Ciarans Schwester zu sehen, denn sie ist eine erwachsene Frau. Das wird besonders dadurch betont, dass sie eine Bluse und einen Rock trägt und die Haare mit einer Klammer hochgesteckt hat. Und muss ich zwangsläufig daran denken, dass auch Ciaran nicht mehr so jung ist, was mir wiederum bewusst macht, dass Alice nicht mehr mein kleines Mädchen ist, sondern ebenfalls schon siebzehn Jahre alt und zwölf Jahre bei uns ist.
„Entschuldigung, dass ich mich nicht vorher gemeldet habe, bevor ich gekommen bin", beginnt Grace.
„Ach, das ist doch überhaupt kein Problem", erwidere ich. Dennoch werden sie immer meine kleinen Kinder bleiben. „Was liegt dir auf dem Herzen."
Sie zuckt mit den Achseln. „Ich weiß nicht. Ich schätze, ich wollte nicht alleine sein. Seit Alice im Krankenhaus ist, geht Ciaran früh morgens aus dem Haus und kommt erst spät abends wieder. Ich hoffe, dass er auch noch in die Schule geht." Sie lacht freudlos.
„Ich glaube schon. Ich war öfter vormittags da, da war er nicht da. Wahrscheinlich geht er direkt danach zu ihr."
Grace nickt. Eine Zeit lang sagt keiner von uns beiden etwas. Ich kenne Grace kaum und habe sie nur bei Alice' Geburtstagsfeier gesehen. Deshalb weiß ich nicht, wie ich mich verhalten soll, vor allem, da sie selbst nicht ganz zu wissen scheint, was sie will.
„Ich wollte mich auch bei Ihnen bedanken", ergreift sie irgendwann wieder das Wort.
„Du kannst mich duzen", sage ich, als sie nicht weiterspricht. „Und bedanken wofür?"
„Dass Sie, ich meine du dich so um Ciaran kümmerst. Er braucht das. Er vertraut dir. Vielleicht weiß er es selbst nicht, aber ich denke, dass du für ihn sozusagen die Mutterrolle übernommen hast."
„Ja", gebe ich zu, „er ist auch für mich wie ein Sohn inzwischen. Und ich mache das gerne."
Grace nickt nur. „Ich mache mir Sorgen um ihn", sagt sie schließlich und ich denke, dass das endlich der Grund ist, weshalb sie hergekommen ist. „Ich habe mir gedacht, dass ich ihn nicht verlieren will. Aber dann ist mir aufgefallen, dass ich ihn schon längst verloren habe." Nun laufen Tränen über ihre Wangen. „Ich kann nicht mehr mit ihm reden. Ich habe es wirklich versucht, aber... es geht einfach nicht. Ich hab ihn verloren. An Alice. Und an dich. An diese Familie. Ich glaube nicht, dass ich ihm noch viel bedeute. Alice sieht das zwar anders, aber sie trägt auch eine rosarote Brille. Sie weiß nicht, wie es zuhause ist. Wenn wir beide in einem Raum sind, ist es, als ständen wir auf einer Bühne. Als wären wir Bruder und Schwester in einem Szenenstück. Da ist keine Verbindung mehr. Und um ehrlich zu sein, ist sie das schon lange nicht mehr."
Ich weiß nicht was ich sagen soll. Zum ersten Mal in meinem Mutterdasein weiß ich nicht, wie ich reagieren soll. Grace konfrontiert mich mit einem Problem, für das ich absolut keine Lösung weiß.
„Na, wie dem auch sei." Sie steht auf. „Ich muss los, meine Schicht fängt gleich an."
„Warte", beeile ich mich, gehe um den Tisch herum zu ihr und umarme sie.
„Danke", sagt sie noch einmal, diesmal für sich selbst. „Ich gehe durch den Garten."
Auch wenn sie sich bloß umdreht und geht, glaube ich dennoch, dass ich ihr was Gutes tun konnte. Ich packe den Eistee und die Gläser zusammen und räume sie ins Haus. Grace und die Kopfschmerzen werden mir wohl eine schlaflose Nacht bescheren.

Gehandicapt - Eine besondere LiebesgeschichteWhere stories live. Discover now