Abseits

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„Er ist wach!"

Suzy fährt sich hektisch mit der Hand übers Haar, während sie auf mich zukommt. Die Zigaretten verschwinden in ihrer Jackentasche. Ich stehe auf und entferne mich langsam von dem Tisch, an welchem wir eben noch gesessen haben, bevor Suzy nach draußen gegangen ist, um eine zu rauchen.

„Hazel hat mich gerade angerufen. Finn ist aufgewacht."

Ich bin einen Moment lang völlig perplex und kann mich darüber nicht mal freuen. Mir blieb noch nicht genug Zeit, um meine Gefühle zu sortieren. Soll ich nach oben gehen? Soll ich hierbleiben? Meine Füße wollen sich nicht bewegen. Suzy legt den Kopf schief, sodass ihre Rastazöpfe über die Schulter fallen, und mustert mich. Ihr besorgter Gesichtsausdruck macht die Situation nicht besser.

„Möchtest du hierbleiben?", fragt sie und kommt die letzten Meter auf mich zu. Sie nimmt meine Hände und sieht mich abwartend an.

Ich schüttle den Kopf und schlucke. „Lass uns hochgehen."

Mein Magen spielt verrückt, genauso wie mein Herz, als wir die letzten Meter zu Finns Zimmer geschafft haben und davor stehen bleiben. Suzy drückt meine Hand noch ein letztes Mal, dann öffnet sie die Tür und betritt als erste das Zimmer.

Ich linse an ihr vorbei und sehe den Rest unserer Gruppe, Finns Vater und Missy. Natürlich auch Denise. Ich seufze, halte mich an Suzy und gehe hinein, achte aber penibel darauf, in der Nähe der Tür zu bleiben.

Du benimmst dich wie ein Kleinkind, schießt es mir durch den Kopf, und ich versuche, meine Gedanken für einen Moment ganz auszuschalten. Das funktioniert so lange, bis mein Blick Finn streift.

Es ist offensichtlich, dass er zwar wach, aber noch nicht ganz bei Sinnen ist. Seine Lider sind noch halb geschlossen, der Mund leicht geöffnet. Er schluckt mehrmals schwer und räuspert sich einige Male, und ich muss daran denken, dass Suzy mir erzählt hat, sie mussten ihm den Magen auspumpen.

Ein Schauer durchfährt mich, und ich kralle mich am Saum meiner Jacke fest. Obwohl ich versuche, ihm nicht zu lange ins Gesicht zu starren, streift mich plötzlich sein Blick, und ich zucke unwillkürlich zurück.

Es ist unfassbar, wie verletzlich er in diesem Moment aussieht. Kraftlos, völlig ausgezehrt. Ich sehe automatisch weg und fixiere die Vorhänge am Fenster.

Die Gespräche und Fragen der anderen dringen an mein Ohr, aber ich verstehe die Bedeutung nicht. Viel zu chaotisch geht es in meinem eigenen Kopf zu. Meine Gedanken sind zu laut.

Ich glaube, dass sie lügt.

Ich vermisse dich.

Es tut mir Leid.

Du bist so schön.

...weil ich glaube, dass ich mich in dich verliebe.

Ich sehe Denise, wie sie auf das Bett zugeht. Ihr Arm ist ausgestreckt, sie legt ihn sachte auf seinem Oberarm ab und streicht mit ihren langen Fingernägeln darüber. Finn lässt es sich gefallen.

Finns Vater hat die Hand um Missys Schulter gelegt. Aubrey, Simon und Hazel sitzen auf den Besucherstühlen, die sie neben das Bett geschoben haben. Suzy ist ebenfalls ans Bett getreten.

Nur ich stehe abseits.

Finns Blick taxiert mich erneut. Er ist verschleiert, sein Gesicht sieht fahl aus, irgendwie grau. Durch seine halb geschlossenen Augen starrt er mich an. Wären wir alleine gewesen, wäre das alles bestimmt anders gelaufen.

Doch in diesem Moment komme ich mir vor wie ein Eindringling.

Als würde ich hier einfach nicht hingehören.

...und im Herzen tausend TöneWhere stories live. Discover now