Orangensaft

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Den Mittwoch habe ich damit verbracht, stumm in meinem Zimmer zu hocken und Musik zu hören. „Urlaub" zu machen, wie Chris es genannt hat. Urlaub von dem Chaos in meinem Herzen.

Ich habe seine CD rauf und runter gehört, um mir danach online noch mehr Lieder von der Band runterzuladen. Irgendwann abends konnte ich sie fast alle mitsingen. Tatsächlich habe ich es irgendwie geschafft, das absolute Chaos in meinem Kopf aufs Papier zu bringen. Mit Musik und Bleistift habe ich den Tag irgendwie überlebt.

Aber als ich dann an Thanksgiving aufwache, weiß ich, dass es zwischen Pete und mir nie wieder dasselbe sein wird.

Mein Gesichtsausdruck, als er mich geküsst hat, muss alles gesagt haben, was es zu sagen gab. Pete hat auf dem Nachhauseweg kein Wort mehr von sich gegeben. Ich war ebenso schweigsam. Was hätte ich auch sagen sollen? Was hätte ich sagen können, um die Situation für ihn besser zu machen?

Gar nichts.

Dass Pete mir offenbart hat, was er für mich fühlt, hat mir gewissermaßen den Boden unter den Füßen weggezogen. Und dass ich bei unserem Kuss ausschließlich an Finn denken konnte, hat mir ein ums andere Mal gezeigt, dass ich ihn nicht so schnell vergessen kann.

Doch ich bin immer noch überzeugt davon, dass ich es will.

Meine Überzeugung schwindet allerdings in dem Moment, als meine Mum den Truthahn auf den Tisch stellt und ich mein Handy in der Hosentasche vibrieren spüre.

Ich entschuldige mich kurz und gebe an, noch schnell auf die Toilette zu müssen. Noch bevor ich die Tür hinter mir zugezogen habe, entsperre ich das Smartphone. Übelkeit steigt in mir hoch, als ich Finns Namen darauf lese. Übelkeit gemischt mit... Hoffnung.

Ich vermisse dich.

Mehr nicht. Drei Worte. Und mit diesen drei verfluchten Worten schafft er es, dass sich erneut Tränen in meinen Augen sammeln und ich die Faust gegen meinen Mund pressen muss, um nicht laut zu schluchzen.

Bevor ich es mir anders überlegen kann, schiebe ich das Handy zurück in meine Hosentasche, nur um es kurz danach erneut rauszuholen. Allerdings ist es nicht Finn, dem ich schreibe, sondern Suzy.

An einem Tag wie heute will ich nicht mit meiner besten Freundin zerstritten sein. Eigentlich will ich das auch an keinem anderen Tag, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich ihr das heute sagen muss.

Ich hab dich lieb.

Es tut mir Leid. Du fehlst mir.

Hab ein schönes Thanksgiving.

<3

Ich warte noch ein paar Sekunden, aber Suzy antwortet nicht. Seufzend entsperre ich die Toilettentür, gehe zurück ins Esszimmer und setze mich zu meiner Familie an den Tisch.

John ist gerade dabei, den Truthahn zu schneiden. Mum steht grinsend daneben und schießt ein Foto. Dad ist schweigsam wie immer, aber an seinem Lächeln sehe ich, wie zufrieden er ist.

„Ich hoffe, ihr habt Hunger. Setzt euch, Kinder, und greift zu!"

„Stopp", sagt Dad plötzlich und sieht erwartungsvoll in die Runde. Ich lasse die Hand, die gerade nach dem Gemüse greifen wollte, sinken und starre ihn an.

„Wir sollten uns noch erzählen, wofür wir dankbar sind."

„Dad!" Marie stöhnt auf und greift sich mit der Hand an die Stirn. John scheint nicht ganz zu verstehen, was abgeht, denn er runzelt nur die Stirn und grinst.

„Okay", sagt Mum und macht eine beschwichtigende Geste in die Richtung meiner Schwester, die sich zurücklehnt und ihren Kopf auf Johns Schulter sinken lässt. Er gibt ihr einen Kuss aufs Haar, und ich muss bei dem Anblick lächeln. Es freut mich zu sehen, dass sich zumindest bei der Beziehung meiner Schwester nichts verändert hat.

...und im Herzen tausend TöneWhere stories live. Discover now