Unnahbar

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Als ich aufwache, bin ich mir einen Moment nicht sicher, wie es mir geht.

Schweigend liege ich im Bett und lausche meinem eigenen Atem. Die Erinnerung an gestern kommt wie eine brennende Woge wieder hoch, in meinem Gesicht breitet sich ein Lächeln aus.

Als Finn mich zuhause abgesetzt hat, haben wir uns noch einmal geküsst. Diesmal ging die Initiative eindeutig von ihm aus. Als ich zur Tür ging, nahm er meine Hand, zog mich ins Dunkel der Hausfassade und küsste mich so heftig, dass mir noch schwindlig war, als ich schon im Bett lag.

Mehr war nicht notwendig, damit ich mich voll und ganz in ihm verlor. Sogar in meinen Träumen habe ich sein Gesicht gesehen.

Die anfängliche Freude wird durch Sorge ersetzt, als ich an Denise denken muss. Eigentlich wird mir bei diesem Gedanken sogar speiübel. Bin ich wirklich so ein Mensch? Möchte ich einer anderen Frau den Freund ausspannen? Um... Was zu tun? Eine Beziehung zu führen?

Ich merke selbst, dass ich mich stoppen muss. Wir haben uns geküsst. Das war alles. Und ich bin mir noch nicht einmal sicher, was das zu bedeuten hatte.

Mich überkommen Zweifel an mir selbst. Wann bin ich zu diesem Menschen geworden?

Das Gedankenkarussell kreist in einem Tempo in meinem Kopf, dass ich mir kurz die Augen zuhalten muss. Am besten, ich denke gar nicht darüber nach.

Sobald sich die Schmetterlinge in meinem Bauch beruhigt haben, kann ich mir immer noch den Kopf über Finn zerbrechen.

Aber egal, wie lange ich mir einrede, dass alles in Ordnung ist – ich weiß, dass es das nicht ist. Erstens ist Finn (wahrscheinlich) vergeben. Zweitens habe ich absolut keine Erfahrung mit Männern (und mit anderen Dingen). Drittens hat sogar Suzy mich bereits vor ihm gewarnt.

Minutenlang überlege ich mir Gründe, warum ich mich von Finn fernhalten muss, auch wenn das schwierig wird. Ich nehme mir fest vor, dass alles bloß ein Ausrutscher gewesen ist – obwohl mir dieser Gedanke in der Brust schmerzt.

Ich will nicht, dass es schon vorbei es.

Es hat doch noch gar nicht angefangen.



Den Nachmittag habe ich in der Bibliothek verbracht, um meine Leseliste für die Kurse aufzustocken.

Mehrere Bücher haben so ihren Weg in mein Zimmer gefunden. Gelesen habe ich bis jetzt kein einziges davon. Ich kann mich einfach nicht konzentrieren.

Schlussendlich gebe ich es auf, werfe ein Buch, dass uns die Professorin in Kunstgeschichte ans Herz gelegt hat, wieder in die Ecke zurück und stehe auf. Ich muss mich bewegen. So hat das keinen Sinn.

Auf dem Weg zu Suzys Wohnung drehen sich meine Gedanken wieder im Kreis. Dieses ständige Hin und Her in meinem Kopf macht mich irre. Ich hoffe nur, dass er nicht dort ist. Aubrey hat erwähnt, dass Finn nicht studiert, sondern arbeitet. Mittlerweile ist es aber bereits sechs, so dass er bestimmt auch schon fertig ist für heute.

Die letzte Biegung zur WG nehme ich etwas zaghafter, fast, als würde ich erwarten, dass Finn jeden Moment um die Ecke kommt. Aber da ist niemand. Der Parkplatz vor dem Haus ist überhaupt ziemlich leer.

Ich drücke auf den Klingelknopf und warte auf den Summer. Als dieser ertönt, hieve ich die schwere Tür auf und nehme die Treppen nach oben.

Suzy steht bereits in der Tür. Sie trägt eine Joggingshose und ein weites T-Shirt, und als ich ihr Gesicht sehe, erschrecke ich.

Ihre Augen sehen aus, als hätte sie stundenlang geheult. Sie sind geschwollen und rot umrandet, und als ich zu ihr gehe, schnieft sie. Sofort nehme ich sie in den Arm und überlege, wann ich Suzy schon einmal so gesehen habe.

...und im Herzen tausend TöneWhere stories live. Discover now