Also, du wirst abgeholt?

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Verdammt. Ich kann nicht gehen.

Mein Knie pocht, mir ist schwindelig und ich bin irgendwie... geschockt. Ich zerre mein Handy aus der kleinen Tasche meiner Leggings. Zum Glück ist es heil geblieben.
Ich wähle Maries Kontakt aus, breche aber sofort ab, als ich merke, dass jemand neben mir steht.

"Alles okay? Komm, ich helf dir mal runter von der Straße."
Erst jetzt realisiere ich, dass ich noch immer am Rand der Fahrspur stehe. Der Junge stützt mich und hilft meiner humpelnden Gestalt auf die Bank am Rande des Parks.
"Danke", sage ich abwesend und setze mich.

"Brauchst du Hilfe? Soll ich dich irgendwo hinfahren? So eine blöde Tusse..." Er schimpft, und ich verneine seine Frage, aber dann kann ich ihm nicht mehr weiter zuhören.
Ich drücke erneut auf Maries Nummer und warte auf ein Freizeichen.
„Jaaaaa?", trällert sie ins Telefon, und ich kann John im Hintergrund lachen hören. Als ich ihr erzähle, was passiert ist, wird ihr Ton allerdings sehr, sehr ernst. Ich kann all ihre Fragen nicht beantworten. Eine Wolke scheint sich in meinem Hirn breitgemacht zu haben und meine Sinne zu vernebeln.

„Es geht mir gut, aber du musst mich abholen. Ich kann nicht laufen." Das scheint sie allerdings noch nervöser zu machen, aber sie verspricht, sich sofort ins Auto zu setzen und loszufahren. Ich bin noch nicht lange gelaufen, zwei Kilometer vielleicht, sie dürfte also nicht allzu lange brauchen.

„Also, du wirst abgeholt?"

Ich schrecke auf. Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich den Typen neben mir ganz vergessen habe.
„Ja, danke", stammle ich und sehe ihn an. Eigentlich sieht er ziemlich gut aus. Sein Haar ist hellbraun und fällt ihm lässig ins Gesicht, uns sein besorgter Blick ist irgendwie süß. Als mir klar wird, dass er eigentlich verdammt gut aussieht, verfalle ich sofort wieder in mein altes Muster, sehe weg und schweige. Ich merke, dass ich nervös werde. Irgendwie ist mir die ganze Situation plötzlich furchtbar peinlich. Sowas kann auch nur mir passieren.

„Ich hab das Kennzeichen leider nicht mehr gesehen, das ging alles so schnell. Solchen Menschen müsste man eigentlich sofort den Führerschein wegnehmen. Unverantwortlich, so was. Und wie die dich auch noch angemotzt hat - echt Wahnsinn."

Ich nicke bloß und werde rot. „Ja, total", bringe ich gerade noch hervor.

Er streckt mir seine Hand hin. „Ich bin übrigens Chris." Ich starre die Hand etwas zu lange an, bevor ich ihm meine reiche und mich vorstelle. Wir schweigen ziemlich lange. Ich habe keine Ahnung, was ich zu ihm sagen könnte.

„Ich glaube, da kommt dein Taxi. War nett, dich kennengelernt zu haben, Cat."

Tatsächlich, Marie braust mit einem Affenzahn um die Kurve und kann gerade noch so abbremsen, als sie mich sieht. „Bist du wahnsinnig?", fahre ich sie an, als sie aussteigt. „Wenn du so weiterfährst, wird gleich noch der nächste Jogger daran glauben müssen!"

Marie sieht mich verdattert an, Chris neben mir fängt an zu lachen.

„Komm, steig ein, kleine Schwester. Mum macht sich Sorgen."

Oh. Mein. Gott. Meine Mutter, meine überbehütete Mutter, wird wahrscheinlich gerade im Kreis laufen vor Sorge. Ich bin eigentlich verwundert, dass sie nicht gleich mitgefahren ist, aber das hab ich wahrscheinlich meiner Schwester zu verdanken.

Ich danke Chris und winke ihm zum Abschied.

„Keine Ursache", erwidert er nur, steht auf und geht in die andere Richtung davon.

Mums Kopf ist puterrot.
Sie schimpft, während sie mich auf die Couch dirigiert und Eis holt. Mein Knie ist etwas geschwollen, ich denke, sie hat mich irgendwie mit dem Auto an meinem rechten Bein erwischt. Es schmerzt etwas beim Drauftreten, aber ansonsten geht es mir wieder besser, die Übelkeit hat sich in der Zwischenzeit gelegt, und auch der Nebel in meinem Hirn verzieht sich allmählich.

...und im Herzen tausend TöneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt