Absturz

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Ich versuche aufzustehen, schaffe es aber nicht.

Jeder Zentimeter meiner Haut schmerzt. Meine Beine sind tonnenschwer, mein Kopf steht in Flammen.

Wo bin ich?

Ich öffne ein Auge und erkenne die vergilbte Decke unserer Garage. Der Stoff des Sofas fühlt sich seltsam an. Ich fühle mich seltsam an.

Scheiße. Verdammte Scheiße.

Mit großer Mühe schaffe ich es, aufzustehen. Hazel gelangt in mein Blickfeld. Sie stürmt in den Proberaum, fuchtelt hektisch mit den Armen und schreit. Sie schreit mich an.

„Du gottverdammter Idiot!"

Ich höre ihre Worte, verstehe sie aber nicht. Der Schnee hat mein Hirn vernebelt. Jeder noch so winzige Winkel darin befindet sich im Schatten.

Sie zerrt an meiner Hand. Ihr Blick ist panisch.

Mit voller Wucht trifft mich ihre Hand. Erst rechts, dann links. Ich presse die Augen zusammen, dann starre ich sie weiter an. Ihre Bewegungen sind zu langsam, ihr Geschrei zu leise.

Ich sterbe.

Ganz sicher.


Hazels Schluchzen reißt mich aus meiner Trance.

Bin ich eingeschlafen?

Sie kniet an meiner Seite, die Hände ans Gesicht gepresst. Langsam hebe ich den Arm und streiche ihr eine Strähne aus dem Gesicht, nehme ihre Hand in meine.

Sie sieht mich an, neben Sorge erkenne ich Verachtung in ihrem Blick.

„Du Arschloch. Du mieses Arschloch. Seit wann bist du wieder drauf? Du hast es mir versprochen!", schluchzt sie, ihre Worte klingen erstickt und verzweifelt. Sie steht kurz auf, dreht sich um, sinkt dann wieder neben mir auf die Knie.

Ja, seit wann? Wann ist das hier passiert? Als ich Annie besucht habe? Warum bin ich Idiot auch zu ihr gefahren?

„Haze."

Meine Stimme klingt fremd. Ich erschrecke mich kurz vor mir selbst. Die Übelkeit steigt in mir auf, mein Herz beginnt zu rasen. Ich versuche normal weiterzuatmen.

Was soll ich ihr sagen?

Ich hatte es unter Kontrolle. Für so lange Zeit hatte ich es unter Kontrolle. Doch ich kann nicht mehr, Haze. Ich stürze ab.

Das sollte ich sagen. Doch ich bringe kein Wort heraus.

„Ich war bei Annie", sage ich tonlos, den Blick an die gegenüberliegende Wand geheftet.

„Vor ein paar Wochen. Oder Monaten. Ich weiß es nicht mehr."

Hazels Schluchzen durchbricht die Stille. Ich versuche erneut nach ihrer Hand zu greifen, doch sie schlägt sie weg.

„Du verdammter Egoist. Weißt du eigentlich, was du dir da antust?"

Sie schreit nicht mehr. Ihre Stimme ist ein Flüstern, aber das ist eigentlich noch schlimmer.

„Weißt du eigentlich, was du uns damit antust? Was hast du gestern getrieben? Warum, Finn? Wofür?" Ihre Stimme stockt.
"Du brichst mir das Herz."

Ich zucke zusammen, ein Blitz durchfährt meinen Schädel und lähmt mich für einen Moment. Mein Herz. Ihr Herz.

„Wo ist sie?", frage ich plötzlich, mein Blick gleitet suchend durch den Raum, als würde sie plötzlich in einer Ecke zum Vorschein kommen und mich in den Arm nehmen. Als könnte sie mich trösten.

„Annie? Oder Denise?"

Hazels Stimme strotzt vor Verachtung.

„Cat."

Sie lacht auf. Warum lacht sie? Und warum klingt es so falsch?

Einen Moment lang sagt sie gar nichts. Ihre trüben Augen wandern über mein Gesicht, sie schüttelt leicht den Kopf.
„Sie hat die Stadt verlassen, Finn."

Ich stocke, meine Augen verengen sich. Warum? Was... Ist es schon Mittwoch? Habe ich zwei Tage durchgepennt?

„Sie hat dich gesehen. Samt Anhang."

Hazels Blick brennt sich durch mich und hinterlässt eine Narbe in meinem Herzen. Ihre Tränen hinterlassen Scherben in meiner Seele.

Was habe ich getan?

„Ihr Herz hast du auch zerstört", sagt Hazel neben mir, doch ich nehme sie nicht mehr wahr.

Ich hechte zur Seite, falle auf die Knie und kotze mit die Seele aus dem Leib.


...und im Herzen tausend TöneWhere stories live. Discover now