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Lektion #39

Als ich zurück an den Tisch komme, klebt Andys Gesicht fest an Sallys und ich räuspere mich auffällig.
„Oh, das Essen ist ja schon da", sage ich enthusiastisch, während Sally ihre Haare richtet und Andy selbstgefällig grinst. Kurz darauf kommt Billy ebenfalls von den Toiletten zurück und Andys Grinsen wird noch breiter, als er zwischen uns hin und her sieht.
Fuck, er denkt doch nicht etwa ...?

„Alles gut bei euch?", fragt Andy und ich nicke stumm. Eigentlich ist gerade gar nichts gut. Ich sitze hier neben einem Typen, der mir viel zu aufdringlich ist und es nicht versteht, dass ich nicht auf ihn stehe und außerdem habe ich gerade mit ansehen müssen wie mein Freund ein Date mit einer mir unbekannten Frau hatte, die zudem auch noch sehr hübsch war, soweit ich das beurteilen kann.

„Lou macht den Eindruck, als wäre ihm nicht ganz wohl, oder?", sagt Billy besorgt und legt unter dem Tisch seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich zucke erschrocken zusammen und frage schon fast schreiend: „Was?"
„Du bist wirklich ein bisschen blass", stellt auch Sally fest.
„Ja, vielleicht sollte ich mich lieber hinlegen", stimme ich zu. Vielleicht kann ich so der Situation entkommen.

Andy sieht mich eindringlich und mit großen Augen an, sein Kopf bewegt sich leicht hin und her. Auch das noch. Er hat andere Pläne und die sehen nicht vor, dass ich mich heute Abend in unserem Zimmer befinde.
„Du kannst gern mit zu mir kommen, mein Zimmer ist gleich vorn am Campus", schlägt Billy vor und verstärkt seinen Griff an meinem Oberschenkel.
Sally nickt nun eifrig und pflichtet Billy bei: „Das ist wirklich sehr lieb von dir, Billy. Dann kann Lou sich bei dir ausruhen."

„Vielleicht sollte ich doch erst etwas essen", versuche ich zurückzurudern, aber Billy packt bereits meine Hand und zieht mich hoch.
„Besser nicht, Lou", weist er mich zurecht. „Diese Sahnesauce wird dir nur unglaublich auf den Magen schlagen."
Bevor ich mich weiter wehren kann, zieht Billy mich mit sich und Andy und Sally winken uns süffisant hinterher. Andy zwinkert sogar und macht eine obszöne Geste mit seiner Zunge und ich will ihm am liebsten meine Faust als Antwort präsentieren.

Draußen reiße ich meine Hand aus Billys Griff und bleibe stehen.
„Was ist los, Lou? Musst du dich übergeben?", fragt Billy besorgt und kommt erneut auf mich zu.
„Nein, ich ...", beginne ich und fahre mit meinen Händen durch meine Haare.
„Bist du nervös?", fragt er sanft und legt seine Hände wieder an meine Wangen. „Das musst du nicht sein."
„Was?"
„Andy hat mir erzählt, dass du noch nicht besonders ... erfahren bist und etwas zurückhaltend", säuselt er und kommt mit seinem Gesicht immer näher. „Mich stört das nicht. Ich finde das sogar ganz ... niedlich."

„Nein!", rufe ich und stoße ihn von mir. Entsetzt starrt Billy mich an. „Ich bin nicht interessiert, okay?"
„Aber auf der Party ...", beginnt er.
„Das ist Monate her", antworte ich. „Und ich war betrunken. Tut mir leid, Billy. Ich bin wirklich sehr geschmeichelt, aber nein."
„Aber Andy hat gesagt ..."
„Andy hat aber keine Ahnung", erwidere ich erschöpft und drehe mich um. Wieder gehe ich einfach weg und wieder lasse ich ihn einfach so stehen. Ich bin ein Arschloch, aber das ist mir gerade egal.

Ich gehe auf direktem Weg zu dem Gebäude, in dem sich Marshalls Büro und seine Wohnung befinden. Unterwegs sehe ich auf mein Handy, in der Hoffnung, eine E-Mail mit einer Erklärung von ihm zu finden, aber dem ist leider nicht so.

Vor seinem Büro atme ich tief durch und klopfe dann fest gegen das Holz. Nichts geschieht. Ich horche angestrengt, doch kann aus dem Inneren keine Geräusche wahrnehmen. Erleichterung macht sich in mir breit, denn offenbar hat er die Frau, wer auch immer sie ist, nicht mit in sein Büro genommen.

Allerdings holt mich mein Verstand schneller ein als mir lieb ist und ich schlucke trocken. Langsam und wie in Zeitlupe gehe ich zu der Tür, hinter der sich die Treppe zu Marshalls Loft befindet und öffne sie leise. Schon von hier unten höre ich ihr Lachen und ein harter, heißer Klumpen bildet sich in meiner Brust. Meine Hände zittern unkontrolliert und ich starre nach oben auf seine Wohnungstür.

„Oh, Marshall", höre ich ihre Stimme lachen und zu meinem Unglück öffnet sich die Tür auch noch. Sein Arm ist um ihre Taille gelegt und er zieht sie dicht an sich.
„Das müssen wir unbedingt bald wieder tun", sagt er schmeichelnd und sie lacht erneut. „Auf jeden Fall, ich schreibe dir eine E-Mail."

All das geschieht für mich wie in Zeitlupe, genau wie der Moment, in dem beide nach unten sehen und mich dort stehen sehen.
Scham, Wut und Enttäuschung brodeln gleichzeitig in mir und alles, was ich tun kann, ist dastehen und Marshall und die mir fremde Frau anstarren.

Nach einer gefühlten Ewigkeit durchbricht sie die Stille und gibt Marshall einen Kuss auf seine Wange. „Bis bald", haucht sie, doch ich höre es ganz genau. Sein Blick trifft mich, doch er ist nicht entschuldigend oder reuevoll, sondern kühl und distanziert und ich glaube, in diesem Moment das Brechen meines dummen Teenagerherzens hören zu können.

Ich lasse die Tür, die ich bis eben noch immer gehalten habe, los und sie fällt mit einem Klicken vor mir ins Schloss. Wie betäubt gehe ich den Gang entlang nach draußen und habe keine Ahnung, wo ich hin soll.
Andy ist mit Sally in unserem Zimmer beschäftigt. Marshall ist ... offenbar nicht mehr mein Literaturprofessorfreund.

Ich gehe langsam zum Wohnheim und lasse mich neben unserer Zimmertür an der Wand auf den Boden rutschen. Ich starre einfach nur gerade vor mich hin, ohne wirklich etwas zu sehen. Aus dem Zimmer höre ich Sallys leises Lachen und irgendwann eindeutige andere Geräusche von Andy und ihr, doch ich kann nicht einmal Ekel empfinden. Ich sitze da und starre vor mich hin und frage mich, was geschehen ist. Noch vor vierundzwanzig Stunden hatte ich vor, jetzt mit meinem hübschen Freund in seinem Bett zu liegen und nun?

Plötzlich habe ich keinen hübschen Freund mehr. Mein hübscher Freund hat eine hübsche Freundin und ist nur noch mein Literaturprofessor. Und ich sitze vor meinem Zimmer und starre die Wand an.