Lektion #4

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Aus dem Verbindungshaus von Lambda Lambda Iota dringt laute Musik bis nach draußen. Ich gehe die Treppen zu Außentür hinauf und werde prompt von einem Muskelprotz aufgehalten.
„Passwort!", schnauzt er. Ich tue so, als würde ich überlegen und sage dann: „Lambda Lambda Iota?"
Er hebt argwöhnisch eine Augenbraue und öffnet mir dann widerwillig die Tür. Ich versuche, mir meine Verblüffung nicht anmerken zu lassen und gehe schnell hindurch. Meine Vermutung, wofür ihre Buchstaben stehen, scheint sich soeben bestätigt zu haben.

Das ganze Haus stinkt nach Bier. Überall liegen leere Pappbecher herum, im Wohnzimmer spielen Leute Bierpong, irgendwo grölt jemand die Nationalhymne. Ich gehe in die Küche und sehe Andy auf dem Boden. Auf dem Tisch über ihm kippt ein Typ Bier in einen Trichter, dessen Schlauchende sich in Andys Mund befindet. Um ihn herum stehen vier andere Typen, die ihn lautstark anfeuern, während ihm der Schaum aus den Mundwinkeln quillt.

Ich beobachte das Szenario mit verschränkten Armen und muss ein bisschen grinsen, als Andy schließlich aufsteht und so laut rülpst, dass im Wohnheim vermutlich die Wände wackeln.
„Das waren vier Liter, Alter!", grölt einer der Typen. „Das ist Verbindungsrekord!"
Andy lacht selbstgefällig. „Warte mal bis ich Durst habe."
Die Typen lachen und grölen noch lauter und endlich sieht mein bester Freund mich an der Theke lehnen.

„Hey Lou!", ruft er freudig. „Wie cool, dass du auch mal da bist! Moment, wie bist du reingekommen?"
Ich hebe eine Augenbraue. „Euer Passwort ist nicht gerade ... einfallsreich."
„Naja", sagt er und kratzt sich am Hinterkopf. „Es müssen sich ja auch alle merken können. Willst du was trinken?"
„Habt ihr denn noch was, nachdem du fertig bist?", frage ich lachend.
„Bier könnte knapp sein, aber es gibt noch Tequila."
„Nehm ich."

Er sieht mich mit großen Augen an. „Dein Ernst? Ist was passiert?"
„Wieso? Du willst doch immer, dass ich mitfeiere", widerspreche ich.
„Ja, schon. Aber du sagst immer nein."
„Ach, nur mein blöder Literaturkurs", winke ich ab und lasse mir von ihm ein großes Glas mit der klaren Flüssigkeit füllen.

Drei Stunden später frage ich mich, ob ich vielleicht doch zu viel getrunken habe. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass ich schiele, aber ich habe keine Kontrolle über meine Augen. Die Typen in Andy Verbindung sind natürlich alle straight, wobei ich mir bei mindestens drei von ihnen sicher bin, dass das nur Fassade ist. Nichtsdestotrotz ist keiner von ihnen mein Typ und mir ist es hier ohnehin zu testosteron- und anabolikageladen.

„'schau ab, Mann", lalle ich und will Andy auf die Schulter klopfen. Witzig, sie ist nicht da, wo ich sie vermute und ich schlage ins Leere.
„Alter, Lou", lacht er. „Alles gut bei dir?"
Wie er mit mehr als vier Litern Bier und wer weiß, was noch alles, einen zusammenhängenden Satz zustande bekommt, ist mir schleierhaft. Aber er ist auch im Training.
„Jo", sage ich grinsend und rülpse leise. Darüber muss ich kichern. Ich rülpse sonst nicht.
„Soll ich dich nach Hause bringen?", bietet Andy an. Ich schüttele meinen Kopf und lache schon wieder. Das Drehen des Raumes beschleunigt sich noch und mein Kopf will gar nicht mehr aufhören mit dem Schütteln.

„Schaffichschon", nuschle ich. Ich winke unbeholfen und torkele zur Tür, die nun auch keinen Türsteher mehr hat. „La La Idioten", rufe ich lachend das Passwort, bevor ich in die kühle Nachtluft hinaustrete.

Irgendwie ist der Weg zum Wohnheim viel länger als vorhin. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich vielleicht im Kreis laufe. Oder viele Leute besitzen nun weiße Mini Cabrios, denn ich bin schon an mindestens dreien von der Sorte vorbeigekommen.
Vielleicht setze ich mich einfach kurz auf den Bordstein und versuche, meine Navigationsapp zu öffnen.
Nach etwa fünf Minuten fällt mir auf, dass es nicht geht. Der Bildschirm meines Handys bleibt schwarz. Oh, vielleicht ist der Akku leer. Ich kichere leise vor mich hin.

„Mr. Patterson?", fragt mich auf einmal eine Stimme. Verwirrt sehe ich mich um. Mein Dad ist hier? Doch ich sehe ihn nicht. Ich sehe nur Professor Holt, der mich argwöhnisch mustert.
„Sorry, Professor. Mein Vater ist nicht hier", kichere ich und versuche wieder, meine App zu öffnen. Ach richtig, der Akku.
„Ihr Vater?"
„Mr. Patterson, mein Vater", wiederhole ich. Ist er dumm? Weiß er nicht, wer Mr. Patterson ist? „Ist sicherlich zu Hause. Oder im Büro."

„Sind Sie betrunken?", fragt mich der Professor und kommt langsam näher.
„Nö", grinse ich. „Ich bin rotzevoll." Ein leises Kichern entkommt mir.
„Sie gehören ins Bett."
„Hmm", mache ich und sehe mich um. „Ich kann es nur nicht finden."
Professor Holt seufzt laut und hält mir seine Hand entgegen. Ich sehe sie fragend an.
„Kommen Sie, ich bringe Sie zum Wohnheim. Sie wohnen doch dort, oder?", bietet er an. Ich starre noch immer auf seine Hand. Er hat schöne Finger.
„Ja", sage ich langgezogen.
„Also, kommen Sie?"

Zögerlich nehme ich die von ihm angebotene Hand und er zieht mich mit einem Ruck nach oben. Mein Gleichgewichtssinn ist ohnehin noch gestört und so taumele ich direkt gegen ihn. Wow, er riecht gut.
Verlegen mache ich einen Schritt zurück und fahre mir durch meine Haare.

Professor Holt setzt sich in Bewegung und ich versuche, mit ihm Schritt zu halten. Er geht recht schnell und ich stolpere ständig über nicht vorhandene Steine oder Löcher.
„Sind Sie immer so unentspannt?", frage ich genervt. Er bleibt stehen und sieht mich an. „Wie kommen Sie darauf, dass ich unentspannt bin?"
„Sie rennen so, als hätten Sie gleich noch einen wichtigen Termin", stelle ich fest.
„Nun, Mr. Patterson", sagt er langsam und geht weiter. „Ich hatte in der Tat nicht vor, betrunkene Studenten nach Hause zu begleiten und würde es vorziehen, bald zu Hause zu sein."

„Werden Sie erwartet?", frage ich und bin erschrocken über meine Direktheit.
„Ich wüsste nicht, warum das von Interesse für Sie sein sollte", erwidert er kühl.
„Also nein", schlussfolgere ich.
„Und Sie? Werden Sie erwartet? Vermutlich nicht. Oder haben Sie bei der Veranstaltung, auf der Sie sich befanden, keine passende Gespielin gefunden?", fragt er abschätzig.
Ich pruste los. „Gespielin?", lache ich. „Nein, ganz bestimmt keine Gespielin."

Kurz darauf stehen wir vor dem Wohnheim und Professor Holt zeigt auf die Eingangstür.
„Darf ich davon ausgehen, dass Sie den Weg hinein selbst finden und auch einen Schlüssel dabei haben?", fragt er.
„Schlüssel ja. Weg?", überlege ich. „Ich bin nicht sicher. Wollen Sie mich vielleicht begleiten?", frage ich mit rauer Stimme. Ich will ihn eigentlich nur necken, aber seine Augen weiten sich für einen kurzen Moment und er holt tief Luft.

„Ich denke, Sie schaffen das", sagt er distanziert und dreht sich von mir weg. „Gute Nacht, Mr. Patterson."
„Was denn? Keinen Abschiedskuss?", rufe ich ihm lachend nach. Er dreht sich nicht mal um.

Notenspiegel | ✓Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz