Lektion #34

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„Du löschst meine E-Mail?", fragt Marshall zwischen zusammengepressten Zähnen. Ich schaue beschämt auf den Boden und weiß auf einmal nicht, was ich sagen soll. Ich komme mir unsagbar dumm vor, weil ich so bockig war und seine E-Mail gelöscht habe.

„Ich war sauer", murmle ich, denn etwas anderes fällt mir nicht ein.
„Aha", macht Marshall. "Ich auch."
Ich hebe den Kopf und sehe ihn an. „Ich bin zu spät gekommen. Tut mir leid", patze ich. „Aber musst du mich deshalb gleich vor dem ganzen Kurs so bloßstellen?"
„Wenn du meinst, ich behandle dich anders oder sogar besser als meine anderen Studenten, nur weil du mein Freund bist, bin ich mehr als enttäuscht, Louis", sagt er bitter.

Ich schnaube wütend.
„Was?", fragt Marshall. „Passt dir das etwa nicht? Hattest du gehofft, jetzt bevorzugt behandelt zu werden?"
„Nein!", widerspreche ich. „Aber mir war auch nicht klar, dass ich dadurch einen Nachteil habe."
Marshall schnappt entsetzt nach Luft. „Ist das gerade dein Ernst? Es ist gerade einmal der erste Schultag nach den Ferien und du unterstellst mir bereits Befangenheit?"

„Nein", versuche ich ihn zu besänftigen. Ich will seine Hände nehmen, doch er hält sie hoch und weicht meinem Blick aus.
„Doch, Louis. Genau das tust du." Marshalls Stimme klingt tief verletzt.
„Marshall", flehe ich. „So meinte ich das nicht. Ich war zu spät dran und dann blamierst du mich so und ich war einfach wütend."
„Ich blamiere dich? Das hast du ganz gut allein geschafft! Genau so hätte ich bei jedem anderen Studenten auch reagiert."

Verzweifelt fahre ich mit meinen Händen durch meine Haare. „Ich weiß. Und es tut mir leid, dass ich so wütend war und deine E-Mail gelöscht habe. Ich war einfach sauer und es geschah im Affekt!" Inzwischen bin ich richtig aufgebracht, weil ich nicht weiß, wie ich ihm klarmachen soll, dass es mir leid tut und dass ich weiß, dass ich ein Idiot war, aber keine Ahnung habe, wie ich es wieder gut machen soll.

„Und genau das bereitet mir Sorgen, Louis. Was, wenn du im Affekt irgendetwas anderes tust, was uns beide in Schwierigkeiten bringen könnte?", fragt er mich.
Entrüstet starre ich ihn an. „Du weißt, dass ich nie–"
„Ja", seufzt Marshall. „Ich weiß. Es tut mir leid. Ich habe keine Lust, mich schon am ersten Schultag mit dir zu streiten."
„Geht mir genauso", murmle ich. „Es tut mir leid, dass ich mich wie ein bockiges Kind verhalten habe."

Marshall nimmt meine Hand und zieht mich schwungvoll an sich. Seine Hand legt sich an meine Wange, seine Lippen nur Millimeter von meinen entfernt. „Warum bist du überhaupt zu spät gekommen? Ich hatte mich den ganzen Morgen darauf gefreut, dich wiederzusehen."
„Wir haben neue Programmiertechniken angefangen und ich war total vertieft, da habe ich einfach die Zeit vergessen", gebe ich zu und versuche, nach Marshalls Lippen zu schnappen, doch er weicht mir gekonnt aus.

„Soll das heißen, dir war Informatik wichtiger als Literatur?", fragt er gespielt entsetzt.
„Naja", überlege ich. „Immerhin ist Informatik mein Hauptfach und ich habe zudem den Vorteil, dass mein Freund sehr viel Ahnung von Literatur hat."
„Hat dein Freund nur Ahnung von Literatur?", fragt Marshall leise und lässt seine Lippen hauchzart über meine streifen.

Ich seufze leise, denn es ist wie ein Kuss, aber auch irgendwie nicht. Doch sobald ich versuche, ihn zu vertiefen, zieht er sich von mir zurück.
„Nicht nur", wispere ich und halte meine Augen geschlossen in der Hoffnung, dass er mich endlich richtig küsst. Marshalls Hand legt sich in meinen Nacken und er flüstert: „Was kann er denn noch?"
„Hmm", murmle ich und fahre mit meiner Zunge über meine Lippen. „Er kann unfassbar gut küssen."

Marshall seufzt leise und nun kann man die Bewegungen seiner Lippen auf meinen als Kuss interpretieren. Es ist noch lange nicht das, was ich will, aber ich passe mich ihm an. Als er sich wieder von mir löst, hauche ich: „Und wenn er erregt ist, redet er so schmutzig, dass ich allein von seinen Worten schon fast komme."

Marshalls Lippen fahren an meinem Hals entlang und er hinterlässt feuchte Küsse dort. „Ist das so?" Seine Worte sind heiß auf meiner Haut. „Und redest du auch schmutzig mit ihm?"
Mein Kopf legt sich langsam nach hinten und in meiner Hose ist es bedrohlich eng. Ich beiße mir erregt auf die Unterlippe und seufze leise. „Manchmal", entkommt es mir. „Ich muss noch lernen, meine Erregung in Worte zu fassen. Schon allein der Gedanke an seine Lippen und seine Hände macht meinen Schwanz so hart. Und dann liege ich in meinem Bett und will mich anfassen und mir dabei vorstellen, wie er mich endlich komplett erfüllt–"

Marshall hebt seinen Kopf und blickt mir tief in die Augen. „Ihr habt noch nicht–?"
Ich schüttle den Kopf und beiße mir wieder auf die Lippe. Natürlich starrt er darauf, ich weiß, wie sehr ihn das erregt.
„Er will es langsam angehen, aber er weiß nicht, wie sehr ich ihn will. Wie weit ich mit ihm gehen will. Wie bereit ich für ihn bin. Ich kann an nichts anderes denken, als endlich eins mit ihm zu sein", flüstere ich heiser.

Marshall entkommt ein kehliges Wimmern und er packt mein Gesicht mit seinen Händen.
„Louis", keucht er, seine Stirn lehnt an meiner. „Bist du dir sicher?"
Ich streiche über seine Wange, immer und immer wieder. „Ja, Marshall. Bitte", flehe ich. „Bitte schlaf mit mir."
Marshalls Lippen prallen so hart auf meine, dass es mir buchstäblich den Atem verschlägt. Seine Zunge drängt sich in meinen Mund und ich umklammere seinen Nacken mit meinen Händen. Ich will ihn nie wieder loslassen. Gott, wie lange habe ich darauf gewartet, dass er endlich nachgibt.

„Lass uns nach oben gehen", haucht Marshall an meinen Lippen. „Ich denke, wir kommen zur–"
Ein Klopfen an der Tür, an der wir lehnen, lässt uns beide zusammenzucken. Augenblicklich trete ich zwei Schritte zurück und versuche, meine Haare in Ordnung zu bringen. Als würde das einen Unterschied machen – auf meinem Kopf herrscht immer das Chaos.
Marshall strafft einmal seine Schultern, bedeutet mir, mich zu setzen und öffnet dann seine Tür.

„Ja?", fragt er.
„Hey Professor Holt", höre ich die nervige Stimme von Melanie Collins. „Ich glaube, ich habe mein Buch hier vergessen."
Ich sehe, dass sie an ihm vorbeilinst und mich misstrauisch betrachtet. Geistesgegenwärtig greife ich nach dem Buch, das auf dem kleinen Tisch liegt und trage es zur Tür.
„Dieses hier eventuell?", frage ich höflich.
Marshall nimmt es mir ab und nickt. „Danke, Mr. Patterson." Er reicht Melanie, die argwöhnisch zwischen uns hin und her sieht, das Buch und fragt: „Wäre das dann alles, Miss Collins?"

Melanie scheint sich kurz zu fangen und lächelt ihn dann gekünstelt an. „Ja", sagt sie. „Danke, Professor Holt. Adieu." Sie dreht sich um und verschwindet wie zuvor mit einem deutlichen Hüftschwung.
Ich lasse mich tief durchatmend auf Marshalls Sessel fallen, nachdem er die Tür wieder geschlossen hat.

„Das war knapp", seufze ich.
„In der Tat", pflichtet Marshall mir bei. „Allerdings verstehe ich nicht, warum du Platz nimmst."
Fragend sehe ich ihn an.
„Wir gehen nach oben. Es steht noch eine weitere Lektion an, Mr. Patterson."

Notenspiegel | ✓Where stories live. Discover now