Lektion #19

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Eine Stunde später stehe ich mit zwei riesigen Einkaufstüten vor Marshalls Loft. Da ich nicht sicher war, wie spärlich seine Küche tatsächlich bestückt ist, habe ich neben einem Topf auch noch ein Pfannenwenderset, Gewürze und Olivenöl geholt. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass jemand kein Öl im Haus hat, aber da Marshall nicht mal einen Topf zu besitzen scheint ...

Ich klopfe leise und kurz darauf öffnet mir der Professor die Tür. Noch immer trägt er seine dunkle Hose vom Vormittag, allerdings hat er die Weste, die er zuvor über seinem Hemd trug, aufgeknöpft und hält bereits zwei Gläser mit klarer Flüssigkeit, in der Gurkenscheiben schwimmen, in den Händen.
„Hallo, Louis", säuselt er und gibt mir einen sanften Kuss auf meine Lippen.

Ich lächle schief. „Wieviel hast du davon schon getrunken?", frage ich und betrachte ihn von oben bis unten. Ich finde ihn atemberaubend und muss plötzlich an unsere Interaktion auf seinem Sofa denken.
„Du warst lange weg", erklärt er und hält mir eins der Gläser hin. Entschuldigend halte ich die vollen Tüten hoch und er lacht verlegen. „Ich habe auch nicht viel gegessen heute."

Ich schiebe mich an ihm vorbei und trage die Einkäufe in die Küche. „Ich auch nicht, also werde ich vermutlich auf dem gleichen Pegel sein wie du, sobald ich dieses Glas da geleert habe", gebe ich zu.
„Na dann", grinst er und hält mir das Glas hin. „Trink aus."
Verblüfft lache ich. „Wollen Sie mich betrunken machen, Professor Holt?", frage ich gespielt entsetzt.
„Hmm", macht er. „Kommt darauf an. Sind Sie dann hemmungsloser?"

Ich reiße überrascht meine Augen auf und schlucke schwer. Marshall sieht meinen Gesichtsausdruck und scheint seine Aussage sofort zu bereuen.
„Bitte entschuldige, so war das nicht gemeint", faselt er. „Ich wollte damit nicht den Eindruck vermitteln, dass ich nur mit dir ... also ich würde schon, aber nicht nur deshalb ..."
Abrupt stellt er das Glas auf der Anrichte ab und verschränkt die Arme vor der Brust. „Kein Gin mehr für mich", sagt er entschlossen.

Ich schüttle lachend den Kopf. „Vielleicht essen wir erst einmal", lenke ich vom Thema ab und beginne, die Tüten zu leeren. Marshall steht etwas hilflos herum und ich weise ihn an, den Topf abzuwaschen, während ich den Kürbis zerkleinere und Zwiebeln schneide.

Eine Dreiviertelstunde später sitzen wir auf dem Sofa und essen an seinem Couchtisch. Ja, das Loft ist so klein, dass er nicht mal einen Esstisch hat, aber ich finde es so noch charmanter.
„Hmm", macht Marshall genüsslich, als er den letzten Bissen vertilgt. „Das war unglaublich köstlich."
Ich lächle verlegen, bin aber auch etwas stolz, dass es ihm geschmeckt hat. „Das freut mich."
„Du solltest öfter für mich kochen, Louis. Oder noch besser: du zeigst es mir."
„Sehr gern", antworte ich und bringe die Teller in seine kleine Küche zurück.

Ich lasse Wasser in das Spülbecken und beginne, die Teller und den Topf abzuwaschen. Marshall schnappt sich ein Geschirrhandtuch und trocknet die Sachen, die ich ihm reiche, ab.
„Also, Louis", beginnt er in entspanntem Plauderton. Kommt jetzt wohl das Kennenlernen? Ich bin gespannt, was er mich fragen wird.
„Wie erfahren bist du?"

Meine Hände erstarren und ich sehe ihn mit großen Augen an. „Was?"
„Naja", plappert Marshall weiter. „Du warst noch nie verliebt, aber hast doch sicherlich schon körperliche Erfahrungen gemacht."
„Ähm, natürlich", stottere ich und reiche ihm einen weiteren Teller. „Warum fragst du?"
„Nun, ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich dich nicht ausgenommen attraktiv finde und es mich unfassbar viel Überwindung kostet, dich nicht direkt in mein Schlafzimmer zu zerren und über dich herzufallen", gibt Marshall zu und stellt den Teller in den Küchenschrank.

„Oh"; mache ich nur und beschäftige mich ausgiebig damit, den Topf zu säubern.
Marshall sieht mich fragend von der Seite an. „Also?"
„Naja ... ich habe schon mal jemanden geküsst," murmle ich verlegen.
„Das dachte ich mir, so weit waren wir ja auch schon."
„Und ich habe mich schon mal an jemandem gerieben", flüstere ich.
„Willst du jetzt jeden einzelnen Schritt aufzählen?", fragt Marshall lachend, während er mir den Topf abnimmt und ich starre verlegen in das schaumige Wasser in der Spüle.

„Das war's", wispere ich kaum hörbar. Das laute KLONK! des Topfes, der auf dem Boden landet, lässt mich zusammenzucken. Marshall ist sichtlich durcheinander und hebt hektisch den Topf vom Boden auf. „Ist mir aus den Händen gerutscht", entschuldigt er sich.
„Aber ich hab Filme geguckt und weiß wie es geht", versuche ich, die Situation weniger unangenehm zu machen, was natürlich genau das Gegenteil bewirkt, als ich meine eigenen Worte höre. Oh Gott, ich klinge echt erbärmlich.

Schnell trockne ich meine Hände ab und greife nach meinem noch unangerührten Glas. In zwei langen Zügen habe ich den mittlerweile lauwarmen Gin heruntergespült.
„Louis", sagt Marshall und kommt vorsichtig auf mich zu. „Es ist nicht schlimm, dass–"
Ich hebe meine Hand, damit er nichts weiter sagt, hole die angefangene Flasche aus dem Kühlschrank und schenke mir nach.

Sprachlos beobachtet Marshall mich und hält meine Hand dann fest. „Trinkst du dir jetzt Mut an?", fragt er zweifelnd.
„Ja", sage ich entschlossen. „Ich finde dich unfassbar heiß, Marshall Holt. Ich will dich am liebsten überall anfassen und schmecken, aber immer, wenn ich dich ansehe, schmelze ich förmlich dahin wie ein Groupie vor ihrer Lieblingsband und das nervt mich ungemein."

Nun reißt Marshall entsetzt die Augen auf. „Okay", sagt er verblüfft.
„Okay?", frage ich. Marshall sagt nicht okay.
„Ich denke, du brauchst keinen Alkohol, Louis", grinst er. „Du kannst auch gern weiter so reden und ich bin mehr als bereit, dir den ein oder anderen Wunsch zu erfüllen. Du musst es nur sagen."
Ich schlucke schwer und lasse mich ohne Gegenwehr von Marshall aus der Küche ins Wohnzimmer ziehen.

Fragend sehe ich ihn an, denn ich hatte erwartet, dass wir in sein Schlafzimmer gehen.
„Immer mit der Ruhe, Louis", säuselt Marshall und schubst mich rücklings auf seinen Sessel. „Wir haben noch den Rest der Ferien, um deine Erfahrungen nach deinem Belieben zu erweitern. Und ich denke, es macht viel mehr Spaß, wenn wir das ganz langsam tun."

Notenspiegel | ✓Where stories live. Discover now