Lektion #22

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Mein Wecker reißt mich aus meinen Tiefschlaf und ich reibe mir müde die Augen. Zum Glück ist Andy nicht hier, denn er würde mir die Hölle heiß machen, warum ich mir bitte in den Ferien den Wecker stelle.

Ich springe schon fast aus dem Bett und eile in die Gemeinschaftsdusche. Während ich mich einseife, stelle ich fest, dass ich ein Dauergrinsen auf meinem Gesicht trage. Nur schweren Herzens habe ich gestern Marshalls Loft verlassen, aber letztlich war es die richtige Entscheidung gewesen, besonders im Hinblick auf unsere ‚Lektionen'.

Marshalls Wunsch, es langsam anzugehen, ist für mich gleichermaßen erregend und frustrierend. Erregend, weil ich alles mit ihm erfahren kann, was ich mir wünsche. Frustrierend, weil wir immer nur eine Lektion machen und ich am liebsten alles sofort machen will. Ich fühle mich wie ein Kind mit einem Adventskalender, bei dem man jeden Tag immer nur ein Türchen öffnen darf, obwohl man weiß, dass hinter den anderen Türchen auch noch ganz fantastische Geschenke auf einen warten.

Nur ganz knapp widerstehe ich dem Drang, mich mit meiner Erektion zu befassen, die sich zwangsläufig mit den Gedanken über meine und Marshalls Möglichkeiten bemerkbar macht.
Als ich zurück in mein Zimmer komme, sehe ich, dass ich eine E-Mail von meinem Lieblingsprofessor habe.

Von: m.holt@nyuprofessors.com
An: l.patterson@nyustudents.com
Betreff: Lektionen

Sehr geehrter Mr. Patterson,

ich darf Sie bitten, für Ihre heutige Lektion spätestens um 11:00 Uhr vor meinem Büro zu erscheinen. Ich hoffe, Sie haben sich bereits Gedanken zum Thema gemacht, damit wir direkt beginnen können.

Herzlichst,

Ihr

Marshall Holt

Thema. Thema? Was für ein Thema? Und warum vor seinem Büro? Ich bin verwirrt. Verwirrt und schon wieder hart. Oder immer noch? Dieser Mann macht mich fertig. Ich sehe auf die Uhr und stelle fest, dass es gerade einmal Viertel vor neun ist. Nun, er schrieb ‚spätestens'. Heißt das, ich darf auch schon früher kommen? Oh, früher kommen. Schlechtes Wortspiel, Lou. Wieder bin ich verunsichert und unentschlossen und noch immer habe ich seine Nummer nicht, also bleibt mir nur, eine weitere E-Mail zu schreiben.

Von: l.patterson@nyustudents.com
An: m.holt@nyuprofessors.com
Betreff: AW: Lektionen

Sehr geehrter Professor Holt,

vielen Dank für Ihre E-Mail.

Ich wäre schon jetzt bereit, zu Ihnen zu kommen, bin jedoch nicht sicher, ob es noch zu früh ist und ich bis 11:00 Uhr warten sollte. Mir ist bewusst, dass Sie ‚spätestens' geschrieben haben, der Höflichkeit halber wollte ich dennoch nachfragen.

Mit überaus freundlichen Grüßen

Louis Patterson

PS: Auf ein Thema konnte ich mich noch nicht festlegen.

Grinsend schicke ich die E-Mail an meinen Professor ab. Ich habe mit meinem vollständigen Vornamen unterschrieben, denn ich weiß, dass er mich lieber mit Louis anspricht als mit Lou. Und ich liebe es, wie er meinen Namen ausspricht. Noch während ich darüber sinniere, piept mein Handy erneut.

Von: m.holt@nyuprofessors.com
An: l.patterson@nyustudents.com
Betreff: AW: AW: Lektionen

Sehr geehrter Mr. Patterson,

meine Tür steht Ihnen jederzeit offen. Ich freue mich sehr über Ihre Höflichkeit. Wie Sie bereits korrekt erfasst haben, setzt das Wort ‚spätestens' lediglich den spätmöglichsten Zeitpunkt voraus, nicht jedoch den frühesten. Sie hätten demnach auch bereits um 6:00 Uhr vor meiner Tür stehen können.

Herzlichst,

Ihr

Professor Holt

Post Scriptum: Benötigen Sie Unterstützung bei der Themenwahl? Wäre ein optisches Thema eventuell von Interesse?

Mit gerunzelter Stirn lese ich seine Antwort. Optisch? Was soll das bedeuten? Will er sich einen Film mit mir angucken? Einen ... Film? Oh Gott. Ich komme ja fast schon allein von seinem Anblick, wenn er mit mir einen Porno schauen will, schaffe ich keine zehn Sekunden.

Schnell ziehe ich mir eine Mütze über meine zerzausten Haare und meine Jacke an und mache mich auf den Weg zu Professor Holts Büro. Unterwegs überlege ich, wie ich ihm beibringe, dass ich mit dem gemeinsamen Pornoabend lieber noch etwas warten würde, bis ich meine Hormone ein wenig besser im Griff habe.

Gerade bin ich mir zwar überhaupt nicht sicher, ob das mit ihm jemals der Fall sein wird, aber in meinem derzeitigen Zustand bin ich dazu keinesfalls in der Lage.

Gleichzeitig muss ich mir eine ansprechende Alternative überlegen. Mir ist klar, dass Marshall deutlich mehr Erfahrungen hat als ich und dass er mir angeboten hat, alles auszuprobieren und zu lernen, was ich möchte. Dennoch will ich, dass er dabei ebenso viel Vergnügen hat wie ich.

Eigentlich will ich sogar, dass er noch mehr Vergnügen hat als ich. Fuck, allein der Gedanke daran, wie ich ihn gestern zum Höhepunkt gebracht habe, lässt mich wieder erschaudern. Dieses Gesicht, diese Ekstase, möchte ich am liebsten jeden Tag sehen. Gern noch öfter.

Was also, wenn Marshall es ansprechend findet, mit mir einen Porno zu sehen? Kann ich ihm diesen Wunsch dann abschlagen? Warum ist das alles plötzlich so kompliziert?

Schließlich finde ich mich zappelnd vor seiner Bürotür wieder. Nur wenige Sekunden nach meinem Klopfen wird sie geöffnet und Marshall steht, nur in einer seidenen, schwarzen Pyjamahose vor mir. Ich starre gebannt auf seinen wohldefinierten Oberkörper und vergesse dabei vollkommen, warum ich gerade noch so nervös war.
„H-Hast du hier geschlafen?", stottere ich und muss mir über die trockenen Lippen lecken.

„Guten Morgen, Louis", begrüßt mich Marshalls samtige Stimme und er hält mir die Tür etwas weiter auf, damit ich eintreten kann.
„Guten Morgen", sage ich nur und stapfe in sein Büro. Kaum ist die Tür hinter uns geschlossen, zieht Marshall mich an sich und presst seine weichen Lippen auf meine. Ich seufze leise auf, als seine Zunge in meinen Mund dringt und lege meine Hände auf seine Hüften.

Zischend zieht er die Luft ein und tritt urplötzlich einen Schritt zurück von mir.
„Habe ich dir wehgetan?", frage ich besorgt. Marshall schüttelt nur den Kopf und mir entgeht nicht, dass seine Brustwarzen nun ganz hart sind und seine Haut von einer Gänsehaut übersät ist.
„Deine Hände sind eiskalt", bibbert er.
„Oh", mache ich überrascht und stopfe sie sogleich in meine Jackentaschen. „Tut mir leid."

„Schon gut, Louis", lächelt Marshall. „Wollen wir nach oben gehen? Ich mache uns einen Tee und während deine Hände auftauen, können wir über die heutige Lektion sprechen."
Ich schlucke schwer und trete nervös von einem Fuß auf den anderen. Marshall entgeht meine Anspannung natürlich nicht.
„Was ist los, Louis?", fragt er.

„Naja, das Thema", druckse ich.
„Ja?"
„Wegen dem Optischen ..."
„Ja?"
„Also, ich ..."
Marshall nimmt mein kaltes Gesicht in seine warmen Hände und sieht mir liebevoll in die Augen. „Es war nur ein Vorschlag, Louis. Wir können auch etwas anderes tun."
„Ich weiß halt nur nicht ...", stammle ich.
Fragend sieht er mich an.
„ ... ob ich mir wirklich schon einen Porno mit dir ansehen sollte, weil ich vermutlich sofort komme", brabble ich ganz schnell hervor.

Marshall sieht mich mit riesigen Augen an und ich erkenne, dass er sich ein Lachen verkneifen muss.
„Tut mir leid, ich bin eben nicht so erfahren", zicke ich und ziehe mich von ihm zurück.
„Nein, Louis", lacht Marshall nun und verfolgt mich regelrecht durch sein Büro. „Das ist es gar nicht."
„Und was dann?"
„Ich wollte mir ganz bestimmt keinen Porno mit dir ansehen", erklärt er lächelnd. „Ich hatte eher etwas anderes im Sinn."

Notenspiegel | ✓Where stories live. Discover now