Lektion #15

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Marshalls Hände vergraben sich fest in meinen Haaren als hätte er Angst, ich würde die Flucht ergreifen, wenn er mich loslässt. Aber Flucht ist gerade das Letzte, woran ich denke.

Ich kann ihm nicht nah genug sein. Seine Lippen fühlen sich genau so an, wie ich sie mir schon unzählige Male vorgestellt habe. Er schmeckt süß und männlich und ich atme ihn förmlich ein. Seine warme Zunge umspielt meine zärtlich und wohlige Schauer fließen durch meinen Körper. Meine Hände liegen an beiden Seiten seines Gesichts, denn ich möchte ihn genauso wenig loslassen wie er mich.

Nach einer gefühlten Ewigkeit löse ich mich langsam von ihm, doch Marshall schnappt erneut nach meinen Lippen und wieder bin ich in seinen Bann gezogen. Oh Gott, ich werde nie wieder aufhören können ihn zu küssen.

Atemlos lehne ich meine Stirn an seine und sehe in seine schönen, braunen Augen. Ich bin sprachlos und auch Marshall scheinen die Worte zu fehlen. Also sehen wir uns einfach nur an, während seine Finger sanft über mein Gesicht und meinen Hals fahren.

Ich weiß, ich habe eine Grenze übertreten. Eine Grenze, die er bewusst zwischen uns gezogen hat und ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. Ich habe Angst, dass jetzt alles anders wird, dass ich das dünne Band, das zwischen uns entstanden ist, mit meiner unüberlegten Handlung zerstört habe.

Plötzlich tut es mir leid und ich möchte das, was eben geschehen ist, am liebsten rückgängig machen. Marshall scheint mein Gesicht wie ein offenes Buch lesen zu können, denn er streicht durch meine wirren Haare und lässt seine Hand an meiner Wange ruhen.
„Nicht", flüstert er heiser. Fragend sehe ich ihn an, noch immer kann ich nicht sprechen.
„Sag nicht, dass es dir leid tut", wispert er kaum hörbar.

„Tut es nicht", murmle ich, doch es ist eine halbe Lüge. Ich bereue nicht, ihn geküsst zu haben. Nur, dass ich vermutlich alles damit zerstört habe.
„Küss mich nochmal", bittet Marshall und wie könnte ich ihm diesen Wunsch abschlagen?

Wieder vereine ich unsere Lippen und er umschlingt mich mit seinen langen Armen. Sein Duft umhüllt mich und ich schwelge in der Wärme, die sein Körper ausstrahlt. Ich will ihn nie wieder loslassen, nie wieder von seinem Schoß klettern, doch ich weiß, dass wir nicht ewig so verharren können. Also sauge ich jeden noch so winzigen Eindruck in mich auf, denn es könnte das erste und einzige Mal sein, dass ich Marshall so nah sein darf.

Irgendwann löst er seine Lippen von meinen und lächelt mich an. Ich versuche, zurück zu lächeln, doch es fühlt sich unecht an.
„Danke", haucht Marshall und ich runzle die Stirn. „Für deinen Mut", beantwortet er meine stille Frage.
Ich verziehe zweifelnd mein Gesicht und versuche, von seinem Schoß zu klettern. „Oder meine Dummheit", murmle ich verlegen.

Er packt mein Handgelenk und sieht mich ernst an. „Warum sagst du das?"
„Weil ich die Grenze übertreten habe, die du festgelegt hast", erkläre ich.
„Und jetzt bereust du es."
„Ja ... nein ...", fasele ich und fahre mir nervös durch meine Haare. Wie soll ich ihm begreiflich machen, dass es mir lieber ist, ihn nur ein wenig zu haben als gar nicht?
„Ja oder nein, Louis?", fragt er deutlich und sieht verlegen auf seine Hände.

Ich seufze. „Ich bereue es nicht, dich geküsst zu haben", beginne ich. „Ich könnte das ewig tun. Immer und immer wieder."
„Aber?"
„Du wirst dir etwas dabei gedacht haben, als du mich abgewiesen hast. Als du mir gesagt hast, dass du nie mehr als nur mein Lehrer sein wirst. Und jetzt habe ich mit einer unüberlegten Handlung alles verkompliziert." Ich tigere nun durch sein Büro und Flucht erscheint mir auf einmal doch überaus reizvoll.

Langsam steht Marshall auf und stellt sich mir in den Weg.
„Louis", seufzt er. „Ich bereue es nicht."
Abrupt bleibe ich stehen und starre ihn an.
„Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll", sagt er ehrlich. „Aber vielleicht sollten wir die Sache einfach Schritt für Schritt angehen. Du zerbrichst dir schon jetzt den Kopf über Dinge, die du nicht wissen kannst."

„Aber ...", widerspreche ich. „Du bist mein Lehrer. Du könntest deine Zulassung verlieren. Ich könnte vom College fliegen ..."
Marshall legt seine warme Hand an meine Wange und nickt. „Wenn du jetzt gleich den Dekan anrufst und ihm davon erzählst, wird das wohl so sein."
Entsetzt starre ich ihn an. „Das würde ich nie tun!"
Wieder lächelt er. „Das hatte ich gehofft. Und im Moment sind Ferien. Du bist einfach nur Louis Patterson und ich bin einfach nur Marshall Holt."

Ich nicke und sehe einfach nur in sein hübsches Gesicht.
„Und Marshall Holt würde gerade nichts lieber tun, als Louis Patterson noch einmal zu küssen und sich einmal keine Gedanken darüber machen zu müssen, was in zwei Wochen sein könnte", spricht er ruhig.
„Okay", sage ich zögerlich.
„Okay was?"
„Okay zum Küssen," antworte ich und muss grinsen.
„Und der Rest?"
„Ich gebe mir Mühe."
Marshall seufzt und legt seine Hand wieder in meinen Nacken. „Gut, das reicht mir vorerst."

Ich beuge mich vor und sauge seine Unterlippe vorsichtig in meinen Mund. Er zieht mich noch näher an sich und für diesen Moment gelingt es mir tatsächlich, nur daran zu denken, dass er Marshall Holt ist und ich Louis Patterson und wir einfach nur zwei Menschen sind, die sich unbedingt küssen möchten.

•••

Später am Nachmittag knurrt mein Magen verdächtig laut. Marshall, dessen Kopf an meiner Brust ruht, schaut amüsiert zu mir auf. „Hunger?", fragt er lächelnd.
„Oh, sind Sie auch Professor für Biologie?", witzele ich und er macht ein entsetztes Gesicht.
„Nur, weil Sie unglaublich gut küssen können, müssen Sie nicht gleich frech werden, Mr. Patterson", sagt er ernst.

„Entschuldigung", murmle ich verlegen und er gibt mir einen Schmatzer.
„Das war ein Scherz, Louis. Wollen wir uns vielleicht etwas zu essen bestellen?", schlägt er vor. Ich nicke und streichle über seine Wange, denn ich kann es noch immer nicht glauben, dass wir uns gerade so nah sind.

„Sushi?", fragt er und ich grinse. „Was ist so lustig an Sushi?"
Ich zucke mit den Schultern. „Irgendwie war mir fast klar, dass du nicht der einfache Pizza-von-Giovanni-Typ bist", lache ich und er runzelt seine Stirn.
„Spießiger Spießer?", fragt er skeptisch.
„Vielleicht ein bisschen", kichere ich. „Aber ich steh auf Sushi."

Notenspiegel | ✓Donde viven las historias. Descúbrelo ahora