Da fragst du noch?

1.7K 93 20
                                    

"Wo willst du denn noch hin"? Seine Mutter wusch gerade das Geschirr ab und sah wie Kei in seine Laufschuhe schlupfte. "Ich geh laufen, bisschen den Kopf frei kriegen", antwortete er und verschwieg dabei das er erst heute morgen laufen gewesen war.
Seine Mutter bedachte ihn jedoch nur mit einem verständnisvollem Blick und nickte. Es tat gut das kein Geheimnis mehr zwischen ihnen stand und er war ihr echt dankbar das sie keine große Sache daraus machte. Obwohl sie bestimmt auch für Eiscreme und Schnulzenfilme offen gewesen wäre. Die frische Luft am Vormittag hatte ihm so gut getan das er sich dazu entschlossen hatte noch einmal loszugehen. Er setzte also seine Kopfhörer auf. In seiner Tasche hatte er die neuen gefunden die er in Tokio gekauft hatte und hatte beschlossen ihnen eine Chance zu geben. Zwar fühlte es sich immer noch etwas ungewohnt an, aber vielleicht würde er sich ja daran gewöhnen. Dann zog er die Tür zu. Draußen war es bereits dunkel, die kalte Jahreszeit lies es um vier bereits dämmern, doch das störte ihn nicht. Er besaß Schuhe mit Led und hatte eine Jacke mit Reflektoren angezogen damit er von möglichen Autofahrern auch gesehen wurde. Normalerweise ging er abends nicht laufen, er bevorzugte die Morgenstunden, wobei er sich erhoffte das er nach dem Sport so müde sein würde, das er direkt in einen hoffentlich ruhigen Schlaf fallen würde. Der Tag mit seinen Ereignissen hatte ihn zwar etwas abgelenkt jedoch nichts an seiner miesen Grundstimmung geändert. Er schaltete den ersten Song seiner Playlist ein und begann langsam die Straße herunter zu laufen. Sein Körper kam gleich wieder in seinen Laufrhytmus, jedoch schmerzte es ein wenig, morgen würde das einen schier unbegreiflichen Muskelkater geben doch das war ihm egal. Mit der Musik auf den Ohren war er wie in seiner eigenen Welt. Einige Leute kamen ihm entgegen, Mütter mit ihren Kindern die lachend etwas zum Essen geholt hatten, Väter die nach dem Feierabend erschöpft auf dem Weg nach Hause waren. Ein paar kichernde Mädchen die um ein Handy herum standen und ihm hinterher sahen.
Die Augen verdrehend joggte er an ihnen vorbei bis er in dem Park von heute Vormittag ankam. Hier war weniger los und er konnte etwas freier Atmen. Einer der bekiesten Wege führte tiefer in den hinteren Teil des Parks wo die Bäume immer dichter wurden. Für einen Moment blieb er stehen um auf seinem Handy nach der Uhrzeit zu sehen und stützte sich dabei an einen der Bäume. Fast sofort durchlief ihn ein Schaudern. Baumrinde, rissig, kratzig, wie in seiner Fantasie. Schnell riss er die Hand dort weg. Er wollte nicht mehr daran denken, bzw, er sollte nicht.
Tsuki beschloss eine größere Runde zu laufen und verlies seine gewöhnliche Strecke. Ein schmaler Weg führte in ein kleines Wäldchen hinein und er folgte ihm. Doch nach wenigen hundert Metern bereute er es. Zwar waren seine Gedanken unterdrückt durch die Schmerzen in seinen Knochen und den regelmäßigen kontrollierten Atemzügen aber sein Kopf und sein Herz hatten da eine eigene Meinung.
Vor seinem inneren Auge flammte gerade die Scene mit Kuro im Wald auf. Sein erster Kuss. Diese warmen Lippen und das kribbeln in seinem Bauch das er jetzt wieder bekam. Er griff sich an die Stirn und versuchte die Bilder wegzuwischen. Als das nicht funktionierte beschleunigte er seine Schritte und rannte nun förmlich durch den Wald. In seinen Augen brannten schon wieder die Tränen doch er wollte sie nicht zulassen und drängte sie zurück.
Diese andauernde Verletzlichkeit die er in sich spürte verunsicherte ihn immer mehr. Er war kein Weichei und auch keine Heulsuse, eigentlich war er ziemlich cooler Typ, hatte er zumindest immer gedacht. Wieso war er in letzter Zeit immer mehr zu jemanden geworden den er eigentlich überhaupt nicht kannte?

Eine Weile später merkte er das er im Kreis gelaufen war. Tsuki war nun auf der anderen Seite des Parks herausgekommen und fand sich nun in der Mitte wieder wo ein kleiner Spielplatz war. Genau in diesem Moment traf ihn etwas nasses im Gesicht und irritiert sah er nach oben. Ein Regentropfen?
Innerhalb weniger Minuten fing es an stark zu regnen. Mist, wenn er jetzt nach Hause laufen würde, wäre er bis auf die Knochen durchgeweicht. Also zog er sich unter die wenigen Bäume zurück die noch ein dichtes Blätterwerk hatten, wo er wenigstens ein wenig geschützt sein würde. Der Wind blies jedoch die Regentropfen in sein Gesicht und ein kaltes Schaudern kroch unter seine Klamotten. Ärgerlich zog er seine Kaputze über. Vorsichtshalber steckte er die neuen Kopfhörer in seine Hosentasche. Zum ersten Mal seit Stunden bekam er wieder etwas von seiner Außenwelt mit. Das peifen des Windes und das rascheln der wenigen Blätter in den Bäumen. Die Regentropfen die auf die Straße prasselten und den Asphalt in windes Eile dunkel färbten.
Tsuki lehnte sich an einen Baum um den Regen zu entgehen, was ihm jedoch nicht gut gelang. Seine Sachen nahmen bereits die Feuchtigkeit auf und klebten unangenehm an seiner erhitzten Haut. Er fischte gerade in seiner Jacke nach seinem Handy, um seiner Mutter eine Nachricht zu schreiben als er Schritte hörte. Überrascht das sich bei dem Wetter überhaupt jemand im Park aufhielt sah er nach oben und sein Herz blieb augenblicklich stehen.
Zuerst dachte er die Regentropfen auf seiner Brille hätten ihn vielleicht ein Trugbild erschaffen, doch als er auch noch die Stimme hörte, gab es keinen Zweifel mehr.
"Du bist echt schwer zu finden weißt du das"?
Außerstande auch nur ein Wort aus seiner zugeschnürrten Kehle zu bekommen erwiderte er nichts sondern starrte einfach nur.
"Wieso hast du mich nicht zurückgerufen ich hab dir an die hundert Mal auf die Mailbox gequatscht"?
"Ähm", brachte er heraus doch es klang irgendwie schrill in seinen Ohren. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Was wollte er hier? Wieso? Und wie hatte er ihn gefunden? War das ein Traum, würde er gleich wieder schweißgebadet in seinem Bett aufwachen? Statt über eine Antwort nachzudenken stellte er selbst eine Frage: "Wie hast du mich gefunden"?
"Gleich nachdem du aufgelegt hast bin ich nach Hause und habe eine Zugverbindung rausgesucht. Ein paar Stunden später saß ich im Zug zu dir. Am Bahnhof habe ich dann versucht deinen Capitän Sawamura zu erreichen um deine genaue Adresse rauszubekommen. Hat ne ganze Weile gedauert bis der mich zurückgerufen hat, dann bin ich zu dir nach Hause aber du warst nicht da."
"Du warst bei mir zuhause", fragte Tsuki erschrocken?
"Ja schon, deine Mutter hat mir aufgemacht. Nachdem ich mich vorgestellt hatte ist sie mir um den Hals gefallen als wenn sie wissen würde wer ich bin".
Kei wurde schlagartig rot, seine Mutter konnte wirklich ein bisschen übereifrig sein, sie meinte es zwar nur gut aber jetzt im Moment war sie ihm mehr als peinlich.
"War auf jeden Fall ganz nett. Sie hat mich auf einen Tee eingeladen, dein Bruder scheint auch voll ok zu sein. "
Er hatte seine Familie kennengelernt? Oh Gott konnte es noch schlimmer werden?
"Als du nach einer Stunde nicht zurück warst habe ich deine Mutter gefragt ob ich dich suchen soll. Sie hat mir deine Laufstrecke beschrieben und da bin ich. "
Das Lächeln auf seinen Lippen wirkte etwas aufgesetzt doch es verfehlte nicht seine Wirkung. In seiner Brust war da wieder dieses wohlige Gefühl das er einfach festhalten wollte.
"Was willst du"? Die Frage war tief aus seinem Herzen gekommen und er war selbst überrascht als er sie mit seinen eigenen Ohren hörte.
"Was ich von dir will? Ich bin gerade 5 Stunden in einem Zug gessesn habe mir über eine Stunde deine Familiengeschichte erklären lassen und du fragst dich echt noch was ich von dir will? "
In seiner Stimme schwang Wut mit und Tsuki konnte sie ihm nicht verdenken, er hatte Recht, es war offensichtlich. Sein Blick glitt zu Boden. Er konnte sein Gegenüber nicht weiter in die Augen sehen. Es stimmte, er hatte ihn nie zurückgerufen, er hatte auch nicht seine Nachrichten abgehört. Kei hatte einen Schlussstrich ziehen wollen, wieso sich weiter quälen wenn es doch keine Zukunft für sie gab. Sie konnten nicht zusammen sein, nicht nur wegen der Entfernung, Tsuki war sich nicht sicher ob er je bereit sein würde ihre Beziehung öffentlich zu vertreten. Das konnte einfach nicht funktionieren, es würde ihnen nur beide wehtun und im Augenblick war er schon mehr als ausgelastet mit dem Schmerz der jetzt in seiner Brust tobbte. Plötzlich traten zwei rote Turnschuhe in sein Blickfeld und er sah auf. Kuro stand nun direkt vor ihm. Keine 20 Zentimeter entfernt. Sein Geruch schwabte zu ihm hinüber und ein Schauer lief über seinen Rücken. Viel zu nah. "Hey sieh mich an, du hast mir nie die Gelegenheit gegeben auf das, was du gesagt hast zu antworten. " Zärtlich berührte er sein Kinn und zwang ihn, ihn anzusehen. Seine Augen waren ehrlich und wirkten größer als sonst.
"Du hast mir gesagt das du mich wiederhaben willst."
Bei seinen Worten wurde der blonde Junge rot und obwohl sie wahr waren, schämte er sich dafür.
"Ich weiß das dein Körper mich vermisst, schließlich war ich der erste der dir diese Tür geöffnet hat und das du ein bisschen durchdrehst schmeichelt mir ja aber.. "
"Aber...". Das Wort klang wie verschluckt und er hätte am liebsten weggesehen wenn der andere sein Kinn nicht festgehalten hätte. Jetzt kam der Wiederspruch. Er fand den Sex auch gut und würde ihn auch wiederholen aber weitere Gefühle hegte er für ihn nicht... Es tat weh, und zwar ziemlich. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und in seinen Augen sammelten sich erneut Tränen.
"Aber da ist noch mehr."
Tsuki stutzte. Was sollte das denn heißen?
"Was", fragte er stattdessen etwas plump.
"Mensch ich weiß ja auch nicht, seit dem Trainingslager gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Ständig muss ich an dich denken. An unseren Kuss, an unsere gemeinsame Zeit, an deinen Körper. Mhm". Ein Stöhnen unterbrach seine Aufzählung und das leichte rosa auf seinen Wangen wurde zu kirschrot.
"Dann ist es also nur was körperliches, wenn es das ist was du willst", rief er und befreite sich aus seinem Griff. Er hatte es gewusst. Es war nicht zu leugnen das der Sex mit ihm einmalig gewesen war, aber nur darauf reduziert zu werden tat mehr als weh, es verletzte ihn unheimlich. Er war doch kein Spielzeug. Er hatte auch Gefühle und im Moment schrien sie unentwegt in seinem Herz nach Gerechtigkeit. Mit einem giftigen Blick lies er den schwarzhaarigen stehen und rannte raus in den Regen.

Kurotsuki Wilde Gefühleحيث تعيش القصص. اكتشف الآن