Es gibt einen Jungen

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Nach gefühlt Stunden hatte er sich endlich wieder einigermaßen gefasst und war aus der Dusche gestiegen. Seine Haut war schrumplig und aufgeweicht doch das war nicht halb so schlimm wie das, das er im Spiegel sehen musste. Seine Augen waren gerötet und verquolen. Eigentlich hatte er erwartet das er weniger schrecklich aussehen würde wenn er unter der Dusche weinen würde, wegen des ganzen Wasser das permanet über sein Gesicht gelaufen war, doch da hatte er sich wohl geirrt. Mit unglaublich schlechter Laune zog er sich an und setzte seine Brille auf was das Ausmaß nicht gerade minimierte. Er verzog das Gesicht und tappte dann in sein Zimmer. Seine Haare tropften noch leicht und hinterließen feuchte Spuren auf seinem frischen T-shirt doch er ignorierte es. Sein Gehirn spulte vor und drängte ihn dazu seine Schulaufgaben fertig zu machen doch er fühlte sich absolut nicht in der Lage dazu. Obwohl es schon 10 Uhr sein musste verspürte er noch nicht einmal Hunger, alles schien zu viel, zu anstrengend, nicht notwendig. Im Grunde sollte er aufstehen, runter gehen, sich etwas zu essen machen oder sich wenigstens vor den Fernseher setzen, doch das alles war nicht möglich. Deshalb legte er sich einfach wieder ins Bett, setzte die Kopfhörer auf und holte seinen Ipod raus.
Die vertrauten Töne die seine Ohren wahrnahmen gaben ihm etwas Halt zurück, aber sie linderten nicht den Schmerz der immer noch in seiner Brust pochte.

Er war wohl eingedöst als er plötzlich ein leichtes Rütteln an seiner Schulter spürte. "Hey Kei, alles ok? Es ist schon Mittag warum liegst du denn im Bett, bist du krank? "
Widerwillig öffnete er seine Augenlieder die tonenschwer zu sein schienen. Sein Bruder war über ihn gebeugt und sofort hatte er eine kühle Hand auf der Stirn.
"Ich bin nicht krank", antwortete er grummelig und schob seine Brille zurecht die er unbequemerweise aufgelassen hatte. "Bist du dir sicher du siehst echt scheiße aus", meinte sein Bruder unsicher.
"Danke Akitero, sehr nett von dir", entgegnete er sarkastisch und richtete sich auf. "Wieviel Uhr ist es"?
"Es ist viertel nach zwei, Mama macht unten Essen".
"Oh Mist, ich hab voll verschlafen". Vollkommen gerädert strich er sich über die brennenden Augen.
"Was ist blos los mit dir in letzter Zeit? Seit dem Trainingslager bist du gar nicht mehr du selbst? Ist da irgendwas passiert? Oder hast du dich mit Tadashi gestritten, soll ich mal mit ihm reden? "
"Nein", antworte Tsuki schnell, konnte aber Akitero nicht ansehen.
"Na gut, dann nicht, aber irgendwas ist doch los. Du liegst tagelang nur in deinem Bett, isst nicht ordentlich und verlässt das Haus nicht. Kei ich mach mir doch nur Sorgen".
"Du brauchst dir keine Sorgen machen, mir gehts gut. Das Trainingslager war nur verdammt anstrengend und ich musste mich ausruhen, das ist alles", versuchte er seinen Bruder abzuwimmeln doch wie bereits geahnt lies er sich nicht so leicht abschütteln.
Der ältere war leider genau das Gegenteil von ihm. Er war offen, warmherzig, freundlich und mitfühlend. Nicht das er selbst ein Teufel wäre, er hatte nur mit manchen Sachen Schwierigkeiten. Er konnte nicht so gut mit Fremnden umgehen und neue Freunde finden war auch nicht gerade seine Stärke. Außerdem konnte er seine Gefühle nicht sehr gut ausdrücken und hielt sie deshalb meist unter Verschluss. Früher als er klein gewesen war, war das anders. Doch nachdem sein Bruder ihn angelogen hatte, hatte sich vieles geändert. (Doch das war eine andere Geschichte) Kei war verschlossener geworden und hatte angefangen den Leuten zu misstrauen.
Seinen Bruder hatte das auch getroffen, doch irgendwann hatte er zurück zu seinem freudigen Gemüt gefunden, im Gegensatz zu ihm. Vielleicht fiel es ihm deswegen so schwer mit ihm zu reden, offen und ehrlich.
Er hatte seinen Blick abgewandt und sah auf seine blaue Bettdecke hinunter. "Hey, sieh mich mal an", verlangte sein Gegenüber und ungern hob er seinen Kopf um ihn anzusehen. Akitero sah ihm direkt in die Augen und für einen Moment hatte er das Gefühl das sein Bruder viel tiefer sehen konnte.
"Ich kenne diesen Blick, ich weiß was mit dir los ist", erklärte er plötzlich und Tsuki wurde heiß und kalt zugleich. Irgendwas musste ihn verraten haben oder sein Bruder bluffte nur, erstmal abstreiten, oder nachfragen, besser beides. "Ach wirklich, kannst du jetzt in den Augen lesen, das ist doch Quatsch, was hab ich denn deiner Meinung nach".
Zu seiner Überraschung lächelte er.
"Ist doch eigentlich ganz eindeutig, wieso bin ich da nicht schon früher drauf gekommen."
"Jetzt protz nicht so rum, sag was du sagen willst", rief er ein wenig zu laut und sah ihn mit aufkeimender Wut an. Es war unmöglich das er wusste wie es ihm ging, oder?
"Du verkriechst dich seit Tagen in deinem Zimmer wie ein Vampir, du hast keinen Appetit und hörst ständig irgendwelche Schnulzen oder totale Aggromusik... " Tsuki wurde rot, ihm war nicht aufgefallen das er seine Musik so laut gehabt hatte das der andere es hören konnte. "Außerdem bist du lange wach, ich sehe immer wenn ich nachts aufstehe Licht in deinem Zimmer. Und sein wir ehrlich Brüderchen, ich weiß wie man aussieht wenn man geheult hat".
Oh kake, er wusste es. Er hatte es gesehen, alles davon war wahr. Scheiße, was sollte er tun. Panisch sah er sich bereits nach einem Fluchtweg um, doch sein Bruder legte ihm eine Hand auf die Schulter und er sah ihn unsicher an.
"Mein kleiner Bruder hat Liebeskummer, wer ist sie? Hast du sie im Trainingslager kennengelernt? Ist sie hübsch? Können wir sie... "
Tsuki schaltete ab. Die Worte kamen nicht mehr bei ihm an. Da war es wieder dieses Ziehen in seiner Brust, dieses unglaublich schmerzhafte Gefühl als wenn jemand auf seinen Lungen sitzen würde und er einfach keine Luft mehr bekam. Ja, wollte er schreien. Ja, er hatte Liebeskummer auch wenn er innerlich die Augen über diesen Ausdruck verdrehte. Aber hierbei ging es nicht um irgendein hübsches dahergelaufenes Mädchen, sondern um einen zwei Jahre älteren draufgängerischen Volleyballcapitän der hunderte Kilometer weg war. Sein Bruder hatte keine Ahnung wie weit er daneben lag. Was sollte er nur tun? Sollte er sich ihm anvertrauen? Sollte er es ignorieren oder gar irgendeine Lüge erfinden? Nein, lügen würde er nicht. Kuro hatte gesagt das er sich entscheiden müsse und egal wie Tsuki sich innerlich dagegen werrte, er hatte sich bereits eingestanden das er eindeutig auf Jungs stand und er würde nicht weiter lügen.
"Hör auf", murmelte er und obgleich er es ziemlich leise gesagt hatte verstummte Akitero sofort.
"Es ist nicht so wie du denkst", begann er langsam und spielte unsicher mit seinen Kopfhörern.
"Wie ist es dann", fragte der andere behutsam.
"Hier geht es nicht um irgendein Mädchen".
"Ist mir klar, sie muss was ganz besonderes sein wenn mein kleiner Bruder deswegen heult", meinte er in einem amüsierten Unterton und er überlegte schon einen Rückzieher zu machen. "Aber ganz egal wie sie ist, ich mag sie jetzt schon".
"Behalt dir das im Hinterkopf", sagte Tsuki und musste ein klein wenig grinsen. Seinen Bruder so zu überumpeln und von seiner Traumvorstellung einer heißen Schwägerin abzubringen machte ja fast schon ein wenig Spaß.
"Wie gesagt, es ist nicht so wie du denkst", fing er erneut an und versuchte das was er innerlich herausschreien wollte irgendwie halbwegs schonend zu verpacken.
"Jetzt spann mich nicht auf die Folter", jammerte Akitero und rutschte unruhig auf seinem Platz herum.
"Also ehrlich gesagt... gibt es kein Mädchen."
"Aber..."
"Lass mich ausreden", fuhr er genervt dazwischen.
"Ok bin schon still", entgegnete er trotzdem und machte dann eine kindische Bewegung in dem er seinen Mund abschloss und den Schlüssel wegwarf.
"Es gib kein Mädchen aber.. "
"Also doch ein aber.. "
"Wirst du wohl jetzt die Klappe halten", herrschte er ihn an.
"Es gibt kein Mädchen weil es einen Jungen gibt, ich hab Liebeskummer wegen ihm, verdammt noch mal. "
Es war raus. Und das nicht gerade behutsam. Tsuki schlug sich eine Hand auf den Mund.
Er sah wie sein Gegenüber die Augen aufriss doch bevor irgendeiner der beiden etwas sagen konnte, sprach jemand anders.
"Es gibt einen Jungen? Du hast Liebeskummer? Ach du meine Güte"?
Seine Mutter stand im Türrahmen und sie beide fixierten sie total erschrocken. Wahrscheinlich sprach ihrer beider Blicke bände und sie fügte hinzu: "Ich wollte euch sagen das das Essen fertig ist, aber ihr habt nicht gehört also bin ich hoch und... "
Sie wirkte ein wenig durch den Wind und leicht peinlich berührt, sie wusste das sie das Gespräch nicht hätte hören sollen, zumindest jetzt noch nicht.
Sie begann damit sich zu entschuldigen und wollte bereits gehen doch Tsuki hielt sie davon ab. "Warte". Seine Mutter blieb wie angewurzelt stehen, ihre Wangen waren leicht gerötet als hätte sie ihn dabei erwischt als er an sich herumgespielt hatte.
(Nicht das das irgendwann einmal passiert wäre)
"Jetzt ist zumindest raus", sagte er und sah in die Gesichter der beiden. Irgendwie fühlte es sich gut an so ehrlich zu sein. Wenigstens zuhause sollte er so sein können wie er war. Auch wenn er jetzt schon wusste das das wochenlang noch Folgen für ihn haben würde. Es war kein Geheimnis das sich seine Mutter ein Mädchen gewünscht hatte und jetzt einen Jungen zu haben mit dem sie über Jungs reden konnte, musste das Hoch ihrer Gefühle sein.
"Wer ist er"? Das war die erste Frage von Akitero.
"Er ist der Capitän einer anderen Volleyballmannschaft und zwei Jahre älter", sagte er ehrlich.
"Und wie heißt er", fragte seine Mutter und kam neugierig näher.
"Er heißt Kuro". Mist er wusste gar nicht wie der andere mit Vornamen hieß, wie peinlich.
Eine Weile herrschte Stille.
Und Tsuki wurde unruhig. So privat hatte er noch nie mit seiner Familie gesprochen und er wusste nicht genau ob es eine gute Idee war. Würden sie ihn doch verurteilen? Wegen seinem Alter? Weil er ein Junge war? Weil?
"Wann lernen wir ihn mal kennen", brach seine Mutter das Eis und als er sie ansah lächelte sie.
Ein gutes Zeichen.
"Kaum zu glauben das mein Bruder auf Jungs steht, aber wenn ich mir es recht überlege wusste ich es schon länger". "Aua".
Kei hatte ihn in die Schulter geboxt. Dieser Klugscheißer.
"Okey Okey, zugegeben dachte ich eher das du was mit Tadashi hast, schließlich gehört er hier fast schon zur Familie".
Seine Stimmung fiel in den Keller. Tadashi.
Sein Gegenüber merkte wie seine Mundwinkel nach unten fielen.
"Du hast dich also doch mit ihm gestritten"?
Er nickte, denn er wusste nicht ob seine Stimme ihm gehorchte. Da war wieder ein Klos in seinem Hals.
"Geh einfach zu ihm und entschuldige dich. Tadashi wird es verstehen, er ist dein Freund. "
"Hoffentlich ist er das noch", flüsterte er leise.
"So schlimm"?
Er nickte wieder. Das mit Tadashi konnte er seinem Bruder nicht sagen, auf gar keine Fall.
"Sei nicht so streng zu dir, zeig ihm einfach das du es ehrlich meinst, dann wird das schon wieder". Der Klos in seinem Hals war immer noch da und so sehr er es auch versuchte, er konnte ihn nicht runterschlucken.
"Jetzt komm, lass den Kopf nicht hängen mein Schatz, wir essen jetzt erstmal was und dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus". Tsuki musste grinsen über diese altbewehrten Worte, doch das reichte schon um ihn ein wenig aufzumuntern. Obwohl er er keinen Hunger hatte ging er trotzdem mit ihnen. Es fühlte sich gut an wieder mit Leuten zu reden, auch wenn es nur belanglose Sachen waren. Aber eins war ihm klar. Er musste unbedingt mit seinem Freund reden, vielleicht noch nicht heute aber spätestens morgen dann konnte er sich zumindest ein paar Worte zurecht legen. Das war der Plan.


Entschuldigt ist etwas lang geworden, aber das musste alles irgendwie in dieses Kapitel. Ich hoffe ich bin immer noch nah am Charakter den ich mit der Zeit lieben gelernt habe. Tsuki ist ein ziemlich eigensinniger Mensch der nach außen hin selten seine Gefühle zeigt und sich so gibt als würde er nie darüber nachdenken was andere von ihm halten aber ich denke das da viel mehr dahinter steckt. Vielen Dank für all den Zuspruch für diese Geschichte und ich hoffe ihr bleibt weiterhin dabei ;)

Kurotsuki Wilde GefühleWhere stories live. Discover now