Kapitel 2

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Kapitel 2

Kevin war eigentlich der beste Freund meines Bruders, aber durch meinen Bruder Enrico hatte ich Kevin kennengelernt und mich sofort in ihn verliebt. Kevin hatte eine Art, die einfach zu gut für die Welt war. Wir waren vollkommen verschieden. Da wo es bei mir fehlte, das besass er im Übermass. Da wären zum Beispiel sein gutes reines Herz, der Glaube an die Menschheit und an das Gute in ihnen, seine liebevolle Art und wie er sich für alles und jeden einsetzte, denn er liebte. Kevin war kurz gesagt, der beste Mensch, der mir je unter die Augen getreten war. Ich wusste nicht genau weshalb, aber irgendwie wollte er mit mir befreundet sein und die Freundschaft, die zwischen uns entstanden ist, war einer Bruderschaft gleich. Kevin war für mich ein Bruder. Ich unterschied ihn nicht von Enrico. Wir zwei teilten uns eine kleine mickrige Wohnung mit meiner Mutter, aber da diese kaum auftauchte, gehörte sie mir und Kevin. Wir teilten uns die Rechnungen, die Einkäufe, die Hausarbeiten und es war wirklich einfach mit Kevin zusammenzuleben, da er einem nie böse sein konnte, wenn man etwas vermasselt hatte. So konnte ich immer darauf zählen, dass er mir half.

„Li, die Mikrowelle funktioniert nicht mehr!", rief Kevin aus der Küche. Ich eilte zu ihm und machte ein gespieltes erschrockenes Gesicht.

„Kevin du weisst, dass ohne Mikrowelle, wir nicht lange überleben werden! Du kannst nicht kochen, ich kann nicht kochen... wir werden verhungern!" Er schüttelte grinsend den Kopf.

„Ich werde uns Morgen eine neue besorgen. Heute ist dann wohl Pizzaservice angesagt." Ich verdrehte die Augen und schnappte mir das Telefon. Später sassen wir auf dem Sofa, sahen uns irgendeinen Gruselfilm an und stopften uns Ananaspizza in den Mund.

„Das Zeug ist fürchterlich", grinste er und starrte auf sein Stück, „wir entehren die Pizza damit." Ich zuckte mit den Schultern. Mir war es egal, ich mochte es. Wir sahen wieder auf den Fernseher hoch und sahen zu, wie einem gerade auf perfide Art und Weise Körperteile abgehackt wurden. Kevin verzog noch mehr das Gesicht und schob sein Stück weg.

„Wie kannst du nur während so einem Film essen?", fragte er geekelt. Ich schnaubte.

„Das ist nur ein Film. Beruhig dich. Und ich habe Hunger." Er schüttelte den Kopf, musste aber trotzdem grinsen. Ich rutschte noch näher zu ihm und legte meinen Kopf an seine Brust.

„Matini hat mich heute zu sich bestellt", begann ich kauend. Ich spürte beinahe, wie sich Kevins Brust anspannte. Er wusste davon, dass ich mal etwas mit Matini gehabt hatte. Vor langer Zeit, als ich geglaubt hatte, dass es Liebe und all das Zeug gibt.

„Was wollte er?", fragte er vorsichtig. Ich grunzte verärgert.

„Was denn wohl? Mich quälen und Geld!" Kevin seufzte. Ich nahm es ihm nicht übel, dass er sich nicht mit mir aufregte, dass er nicht in die Luft sprang und mir anbot, diesen Typen zu Hackfleisch zu verarbeiten. Kevin war einfach nicht der Typ für Gewalt. Kevin war ein zahmes Kätzchen.

„Du darfst dich nicht mehr erpressen lassen, Li. Das war deine Vergangenheit mit der du Gott sei Dank nichts mehr zu tun hast. Was kann er schon ausrichten."

„Er ist mein Direktor, Kevin? Er kann mich leicht aus der Schule schmeissen! Er kann mir alle Chancen verwehren, die ich bekomme. Du kennst Matini nicht, ich schon. Er wird mir das Leben zur Hölle machen, das ist das Spiel, dass er spielt, an dem er Gefallen gefunden hat." Kevin seufzte wieder, seine Brust hob und senkte sich schwer. Ich sah zu ihm hoch und bemerkte, wie er mich mit seinen bernsteinfarbenen Augen besorgt ansah.

„Mach dir keine Sorgen. Ich regle das schon", versuchte ich es und nahm es mir übel, dass ich ihm davon erzählt hatte. Kevin machte sich schnell und zu viel Sorgen. Um jeden.

„Wieso glaub ich dir das nie? Egal wie oft du mir das sagst?" Ich wuschelte ihm über sein braunes Haar, das durch die leichten Wellen, die er darin hatte, total zerzaust aussah.

„Es ist Matini. Und wenn ich deinen Worten Glauben schenken sollte, dann wird auch er irgendwo einen guten Kern haben. Auch wenn er ganz, ganz tief versteckt ist unter all diesem Schrott von Machtgeilheit und Arroganz."

„Vielleicht solltest du Enrico um Hilfe bitten?" Ich schüttelte schnell den Kopf.

„Ganz bestimmt nicht! Du kennst Enrico. Sein Temperament wird uns nur in ein viel grösseres Chaos stürzen. Und ich will nicht, dass er sich wieder mit meinen Problemen rumschlagen soll. Die letzteren waren schon genug für ihn." Kevin nickte, dann schenkte er mir ein liebevolles Lächeln. Wie ein Vater, seiner Tochter eins schenkte.

„Was?", fragte ich mit gerunzelter Stirn und skeptischem Blick.

„Du gibst es zwar nicht zu, aber eigentlich bist du doch ein echt guter Mensch." Ich stöhnte genervt auf.

„Ach halt die Klappe. Von wegen guter Mensch! Dich ertrage ich nur, weil du mich durchfütterst und ich dein Geld brauche. Enrico ertrage ich nur, weil er mein Bruder ist." Kevin grinste immer noch. Ein Grübchen stahl sich auf seine linke blasse Wange. Kevin war immer blass. Egal ob Sommer oder Winter, was seine unzähligen Muttermale hervorstechen liess, aber ihn doch schön wirken liessen.

„Wer's glaubt." Ich sah ihn warnend an.

„Das hier ist meine Wohnung. Ich kann dich leicht rausschmeissen und du weisst, ich tue das. Also geh mir nicht auf den Sack." Er lachte und zog mich zu sich in eine Umarmung.

„Arrgh! Hör auf", knurrte ich, aber er lachte nur mehr und legte seine Arme um mich sodass ich auf seiner Brust lag.

„Du bist der grösste Idiot, der mir unter die Augen getreten ist, weisst du das?", fauchte ich, kuschelte mich aber an ihn und sah wieder zum Fernseher. Er kicherte.

„Ich hab dich auch Lieb, Li."

Hell Yes!!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt