Kapitel 45

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„Und dir macht das nichts aus?“

„Wieso sollte es das?“, fragte ich Enrico zurück, der nur mit den Schultern zuckte und weiter an seiner Konsole zockte. Für einen 25 Jährigen benahm er sich manchmal immer noch wie ein Kind. Das Jessi mit seinem Zocker-Wahnsinn zurechtkam, war erstaunlich. Der ganze Hype der im Moment aufblühte, ging sowieso an mir vorbei. Ich hatte keine Geduld für solche Spiele.

„Naja, wenn mein Mitbewohner und bester Freund sich an meine beste Freundin ran machen würde, dann wäre ich nicht so locker wie du. Wie ich die beiden kenne, sind sie im Moment in ihrer Liebesseifenblase. Du wirst also wenig von ihnen abhaben“, erklärte er und fluchte augenblicklich, als ihn jemand nicht genügend deckte. Wie schon gesagt, nicht mein Ding.

Wir hatten es uns in Enricos Wohnzimmer gemütlich gemacht und unterhielten uns ein wenig, während er versuchte andere Mitspieler abzuknallen. Ich hatte meinen Bruder schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen und war ihm nach der Geschichte mit Lance und seinem Vater sowie Lukas ein wenig aus dem Weg gegangen. Ich liebte meinen Bruder, aber er war ein aufbrausender Mensch und meine Sicherheit war ihm manchmal einen Tick zu wichtig, aber darüber wollte ich mich nicht beschweren. Er war das einzige Stück Familie, das ich noch besass und wenn er aufbrausend sein wollte, dann konnte er das für mich sein. Ich nickte, als ich über seine Worte nachdachte. Die beiden waren wirklich schlimm ineinander verknallt. Ich hatte nichts gegen ihre Freude, aber es war manchmal zum Kotzen, wie süss sie sich verhielten. Dass ich ein wenig ausgeschlossen und vernachlässigt wurde, war abzusehen gewesen. Sie wollte nun mal jede Sekunde, die sie zusammen hatten, auskosten und ich musste nicht unbedingt dabei sein, wenn sie sich mit ihren närrischen Blicken anhimmelten und einen Knutschmarathon auf dem Sofa hinlegten…es war ja nicht so, als hätte ich nichts Besseres zu tun. Ich hatte ja selber einen solchen Fall an der Backe. Ich musste ungewollt grinsen, als ich an Matini J. dachte. Gott sei Dank war Enrico auf das Spiel vor ihm konzentriert, hätte er diesen Blick aufgefangen, wäre er schnell dahinter gekommen was Sache war. Der Typ war in solchen Angelegenheiten unheimlich gut, oder ich war einfach unheimlich furchtbar, wenn es ums Verbergen ging. Ich konnte mich noch an die Zeit mit Lukas erinnern, da hatte ich dieses dumme Grinsen aufgehabt. Enrico wollte mich zwar glücklich sehen, aber sobald er mich liebestrunken von einem Abend mit Lukas nach Hause kommen sah, verzog er das Gesicht in diese hässliche Fratze, die mir nur zeigte, wie unangenehm ihm das im Magen sass. Er hatte schon immer etwas gegen Lukas gehabt und ich vermutete, dass der andere Matini auch nicht sein Liebling werden würde. Enrico war allergisch gegen Matinis.

Zum guten Glück musste ich ihm diesen Matini nicht präsentieren, da die Sache zwischen uns keine Definition benötigte, und somit auch nicht erwähnenswert war.

„Ach, damit kann ich leben. Solange ich Gabi in guten Händen weiss und Kevin hat verdammt gute Hände, sollen sie von mir aus noch ewig lang in ihrem Verliebtheitswahn stecken. Ich hatte nur eine Bitte an sie und das war die Privatsphäre. Ich wollte keinen von beiden nackt in der Wohnung sehen und auch nicht zufällig einem Quicki beiwohnen. Damit waren wir alle einverstanden und bis jetzt haben sie sich immer in Kevins Zimmer zurückgezogen.“  Enrico lachte und verzog nach einer Sekunde das Gesicht, als hätte er es sich bildlich vorgestellt. Ich grinste und griff nach den Chips, die er auf den Tisch hingestellt hatte.

„Du bist genau wie ich. Wir können mit diesen Schnulzen nicht viel anfangen. Wir sorgen uns um Leute und wir lieben unsere engsten Mitmenschen, aber wir sind verdammt schlecht in der zur Schaustellung. Kevin ist mein bester Freund, versteh mich nicht falsch, aber der Typ ist ein riesiges Mädchen.“ Wir mussten beide lachen, denn dem war so.

Enrico und ich hatten wirklich die mühsame Art nicht mit Gefühlen umgehen zu können. Vielleicht lag es an der Erziehung unserer Mutter. Sie selbst hatte nicht gewusst wie man Liebe weiter gibt. Die Leute, die es verdient hatte, bekamen keine und die denen man nicht nachweinen sollte, überhäufte sie mit Liebe. Ich hatte es nie verstehen mögen und auch Enrico war deshalb mehr als konfus im Bereich Liebe zurück geblieben. Es hatte eine verständnisvolle Person wie Jessi gebraucht, die auch ohne grosse Gesten verstanden hatte, dass Enrico zum Lieben fähig war, es nur nicht immer zeigen konnte.

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