Kapitel 66

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Es gab vieles auf dieser Welt, dass ich noch nie gesehen hatte und daher auch nicht glauben konnte. Aber noch nie hatte ich das Vergnügen etwas zu sehen und nicht glauben zu können. Oder eher Unglück? Ich wusste nicht genau, wie ich reagieren musste, sollte, daher stand ich einfach da und starrte ihn an. Vielleicht würde er sich dann in Luft auflösen?

Das tat er aber nicht.

Nein, er stand ebenfalls mitten im Gang vor mir mit seinen Händen in den Hosentaschen und schien mich genauso überrascht anzuschauen, wie ich es wohl gerade tat. Es war schon so lange her seit ich ihn gesehen hatte. Das Gefühl das sich beim mir meldete war überwältigend. Verdammt hatte ich ihn vermisst...

Hatte er auf mich gewartet?

Hatte er mich gesucht?

Wieso genau jetzt?!

Wo war er nur die ganze Zeit gewesen?

Ich hatte so viel, was gerade in meinem Kopf schwirrte, dass ich nicht wusste, womit ich anfangen wollte oder ob ich überhaupt anfangen sollte.

Ich hatte so lange an ihn gedacht. Ich hatte ihn so lange vermisst und mich selber gehasst, weil ich ihn gehen gelassen hatte. Dass er einfach weggegangen war, hatte mich so wütend gemacht, dass ich jegliche Gedanken an ihn mir verbieten wollte. Aber wenn er jetzt so vor mir stand...

Ich wusste nicht, wie ich fühlen sollte. Wie ich überhaupt reagieren sollte. Mein ganzer Körper war taub. Reagierte auf keine Befehle. Ich starrte ihn einfach an, konnte nicht genug von ihm aufnehmen.

« Hey Li », sagte er plötzlich leise und so zärtlich, dass ich weinen hätte können. Wieso war er nur wieder zurückgekehrt! Die letzten Monate mussten ihm wohl besser getan haben, als mir. Egal wo er gewesen war, er sah gut aus. Er sah verdammt gut aus. Sein Haar war länger, aber ging nicht unter die Ohren. Auch der leichte Bart gefiel mir. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm reissen. Und ich im Vergleich sah lächerlich aus. Ich war in Jeans und einem dunkelgrauen, übergrossen Hoodie unterwegs. Meine Haare wieder ein Chaos wie sonst auch schon.

Ich wollte gerade meinen Mund aufreissen, wofür, dass wusste ich nicht, da ich immer noch ein leergefegtes Hirn hatte, aber die Tür hinter mir ging auf und Carla guckte hinaus.

« Oh, du bist noch hier? », fragte sie, bis ihr Blick hinüber zu Jan schwenkte. Sie lächelte erfreut auf und mir blieb das Herz stehen, als ich ihren Blick sah.

Wie in Zeitlupe sah ich sie auf Jan zugehen und dann... ich wusste nicht, ob ich mich allmählich in einem Albtraum verloren hatte, aber sie griff nach seiner Hand und er liess es zu. Als sie sich auf die Zehenspitzen stellte um ihn kurz an der Wange zu küssen, hatte ich das Gefühl, als hätte jemand ein Loch durch meine Brust geschossen.

Nein...

Mein ungläubiger Blick wanderte zu Jan, der mich ebenfalls ansah. War das Mitleid in seinem Blick?

Ich war so weggetreten, dass ich absolut nichts tun konnte, ausser auf den Horror vor mir zu starren. Es war zu schmerzhaft um wegzuschauen.

« Li, schau nicht so schockiert. Wir beide haben unsere Geheimnisse », hörte ich Carla wie durch einen Nebel zu mir sprechen. Sie lachte leicht und hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich annehmen können sie mache es um mich umzubringen.

Denn genauso fühlte es sich an.

« Ich muss los... », hörte ich mich sagen, was eine ziemliche Meisterleistung war, bedenke man, wie ich mich gerade fühlte. Immer noch halb weg, lief ich an ihnen vorbei, den Blick stur auf den Boden geheftet.

Hell Yes!!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt