Jérôme #7

4K 306 6
                                    

Der Tag war zu warm zum Wandern. Alle saßen im Schatten auf der Bank und warteten auf die paar Nachzügler. Jeremy war einer von ihnen. Leise fluchend unterhielt sich Herr Rieber mit Frau Schamm, die nur nachsichtig lächelte. Wieso hatte ihm auch zwei Minuten bevor wir los mussten einfallen, dass er seine Piercings noch in sein Gesicht verhaken musste? Lachend und dumm vor sich hin grinsend kamen zwei Jungs von irgendwo hinter der Herberge und ignorierten die bösen Blicke der Lehrer. Jetzt fehlte bloß noch Jeremy. Langsam wollte ich wirklich in den kühlen angenehmen Schatten der Bäume und laufen. Denn wenn man stand war das Gewicht des Rucksacks auf meinen Schultern noch schwerer. Die Türe schwang auf und er kam heraus. Ich ließ meinen Blick kurz über sein Gesicht wandern und zählte die Piercings. Alleine an seinem linken Ohr waren mindestens zehn Stück, einer an der Lippe und einer an der Nasenscheidewand. Schnell wandte ich meinen Blick ab, als ich merkte, dass ich ihn auffällig lange angesehen hatte. "Jetzt wo alle da sind, können wir ja losgehen.", begann Herr Riber. "Herr Schamm bleibt in der Herberge. Aber zwei Lehrer müssten ja genügen. Jeremy und Jêróme ihr bildet die Schlusslichter. Frau Schamm und ich gehen voran." Jeremy stellte sich neben mich und wartete neben mir bis die anderen sich in Bewegung setzten. Dann folgte er, ohne abzuwarten, dass ich ebenfalls mitkam. Ihn würde es wahrscheinlich nicht einmal jucken, wenn ich stürzen und mir den Arm brechen würde. Der Weg war ein schmaler Trampelpfad, gesäumt von kniehohem Gras, Kletten und Brombeerbüschen, deren Dornen sich in den Hosenbeinen festhakten. Er war so schmal, dass man nur im Gänsemarsch laufen konnte. Wie kam Herr Rieber auf die Idee uns als Nachhut einzustellen? Ich war der lahmste. Außerdem waren es zwei Lehrer. Einer für vorne, einer für hinten. Also wieso konnte er es nicht so handhaben? Ich kickte gegen einen Stein, der auf dem Weg lag. Er sprang gegen Jeremys Bein, der mich über seine Schulter hinweg böse ansah. Na, super. Das konnte ja nur spaßig werden, mit der Wanderung heute. Und so wie es aussah würde ich auch noch einen Sonnenstich bekommen, wenn wir nicht schnell in Schatten kamen und die Sonne noch vor dem Mittag schon so stark war. Sie schien auf meine Haare und heizte sie auf. Wie musste es da erst Jeremy mit seiner Haarfarbe gehen? Vielleicht hätte er eine Capy aufziehen sollen. Aber wieso machte ich mir eiegntlich Sorgen? Er war scheiße zu mir und ich war nicht seine Mutter. Also sollte es mir verdammt nochmal egal sein. Als mich die Kühle der schatten des Waldes umfing mussten sich meine Augen erst nach der grellen Sonne an das dämmerige Licht im Wald gewöhnen. Vereinzelte Sonnenstrahlen hatten es hinbekommen durch das Blätterdach zu gelangen und zeigten wie Finger aus Licht in die Büsche, die sich links und rechts neben den Baumstämmen kauerten. Als der Pfad auf einem asphaltierten Weg endete, war ich schon beinahe enttäuscht. Ich war endlich in einen Takt herein gekommen, mit dem ich Stunden und Tage hätte weiter laufen können. Und jetzt waren wir wieder auf einer befestigten Straße und der Zauber, des Waldes schien wieder etwas weiter weggerückt zu sein. Ich holte schnell zu Jeremy auf, damit ich neben ihm laufen konnte. Ich wollte nicht hinter allen anderen als lahme Ente hertrotten. Da wollte ich schon lieber neben einem Jungen herlaufen, der mich keines Blickes würdigte und wenn dann war es einer dieser "Geh doch zur Hölle".Blicke, auf die ich gerne verzichten konnte. Die Schatten fielen auf sein Geischt und malten Muster. Seine Augen huschten unruhig hin und her, als habe er Angst, dass jeder Zeit irgendwelche Leute hinter den Bäumen hervorstürzen könnten und uns angreifen könnten. Als der Weg wieder etwas anstieg und ich außer Atem hinter den anderen herkeuchte sah er mich an, mit einem dieser belustigten Blicke, mit denen man ungeschickte und tollpatschige junge Kätzchen beäugt. Was kann ich dafür, dass ich so kurze Beine habe?! Mit düsterem Blick folgte ich ihnen. Mittlerweile lief auch er vor mir. Ganz tolles Schlusslicht dieser Junge. Wirklich. Ich starrte verärgert gegen seinen Rücken und stolperte prompt. Ich fiel nach vorne und versuchte mich noch festzuhalten. Ich bekam seinen Rucksack zu fassen und zog ihn mit mir auf den Boden, der mit kleinen pieksigen Steinen übersäht war, die in meine Knie und Handflächen stachen. "Pass doch auf!", fuhr er mich immer noch auf dem Boden sitzend an. Er sah zu mir hoch. "Außerdem solltest du dir vielleicht mal deine Schuhe gescheit binden." Ich sah an mir herunter auf meine Füße. Und tatsächlich. Bei einem hatten sich die Bändel gelöst. Ich ging in die Knie und band sie schnell. Ich sah am oberen Rand meines Blickfeldes eine schnelle Bewegung. Als mein Schuh wieder fest zugebunden war, richtete ich mich auf. Jeremy hatte sich mittlerweile auch dazu herunter gelassen aufzustehen. Mein Blick fiel auf etwas, das bis gerade eben definitiv noch nicht dort gewesen war. Es sah aus wie ein Griff..eines Messers. "Wieso hast du ein Messer dabei?" Ich hörte selbst, dass meine Stimme leicht hysterisch klang und sich beinahe überschlug. War er vielleicht doch der Menschen hassende Psycho, für den man ihn leicht halten konnte? Er drückte mir schnell eine Hand auf den Mund. "Pscccchht! Halt doch die Fresse!!" Ich schlug aber bloß seine Hand weg und versuchte das Messer in die Finger zu bekommen. Ich verlor mein Gleichgewicht und stürzte auf ihn. Und nochmal fielen wir zusammen zu Boden. Während ich noch auf ihm drauf lag, zu beschäftigt damit mich zu orientieren, als auf meine Umwelt zu achten, zog er schnell sein T-Shirt über den Griff. "Das geht dich gar nichts an.", zischte er, sah mich böse an und stand auf. Ich erhob mich auch. "Nur weil du so ein Depp bist, haben wir den Anschluss verloren. Super!" Ich hörte die Wut in seiner Stimme. Aber statt klein bei zu geben, kam der Trotz in mir hoch. "Bist irgendein perverser Serienkiller?" Er grinste mich an. "Als ob jetzt. Sonst wärst du die erste Person, die schon tot wär." "Ach, halt die Fresse." Ich schenkte ihm einen wütenden Blick und stapfte voraus. Er folgte mir mit in den Hosentaschen versenkten Hände. Ich verlangsamte meine Schritte als ich an eine Kreuzung kam. Wo war die Klasse? Hatte ich jetzt ernsthaft wegen diesem Arschloch den Anschluss verloren? Er sah die drei Wege entlang und wippte auf den Zehenspitzen vor und zurück. "Und? Was schlägst du vor?" Er sah mich mit einem Anflug eines höhnischen Grinsens an. Mir fiel auf dass ich wie ein kleines Kind mit dem Fuß aufgestampft hatte. Jetzt grinste er wirklich. Ich bekam Lust ihm ins Gesicht zu schlagen oder wenigstens rein zu spuken. "Ich weiß es nicht." "Aber du bist doch dran schuld, dass wir jetzt hier sind." "Bin ich nicht!" Jetzt schrie ich wirklich. Er lachte. "Das sehe ich zwar anders, aber mit Dummen soll man schließlich nicht diskutieren." Ich kochte innerlich. Was bildete sich dieser Wixer ein? "Was machen wir jetzt?", fragte ich stattdessen und sah ihn mit einem hoffentlich tödlichen Blick an. Er zuckte mit den Schultern. Super. Jetzt war ich mit einem idiotischen Psycho im Wald verloren.

× Messed & Broken Hearted ×Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt