Jérôme #24

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Das Haus war überwältigend. Ich hatte mich ja noch nicht einmal an den Gedanken gewohnt, dass er ein eigenes Auto und eine Wohnung hatte. Und jetzt erfuhr ich auch noch, dass er in dieser Villa aufgewachsen war?

Beinahe war ich erleichtert, als ich sah dass ihr Dachboden genauso krustelig und staubig war, wie der jedes anderen Hauses. Das ließ ihn wieder etwas erreichbarere wirken. Es schien ihm nicht zu gefallen sich wieder in dem Haus zu befinden, in dem er aufgewachsen war und ich fragte mich weshalb.

Aber sobald ich die in Schutzüberzüge gehüllte, sauber nebeneinander aufgehängten Anzüge sah, sank mir das Herz. Es war eine sehr lange Reihe von Anzügen, denen man das Geld sogar durch den Schutz ansah, das sie gekostet hatten. Sie waren nach Größen sortiert. Manche der Anzüge hatte er vermutlich nicht öfters als einmal getragen und manche hatten die Größe für ein Kind, doch wer brauchte mir fünf einen maßgeschneiderten Anzug? Er drehte sich zu mir um und auch er wirkte hier oben entspannter, als zuvor. "Mein Anzug ist grau. Also müssen wir uns keine Gedanken machen, welche Farbe deiner hat.", erklärte er und drückte mir drei von den eingepackten Anzügen in die Arme. "Hast du Hemden?" "Ich... Ich habe nicht oft Anlass mich so schick zu machen." Er nickte und drückte mir aus einem Karton ein weißes und ein blaues in die Arme. "Um Krawatte oder Fliege und Accessoires kümmern wir uns, wenn wir wissen, was für ein Anzug dir passt." Ich bekam nur ein Nicken zu Stande.

Langsam stieg Panik in mir auf, bei dem Gedanken auf ein Gartenfest zu gehen, auf das er eingeladen war, seine Kleider zu tragen und in seine Welt einzutauchen. Es fühlte sich an als würde ich mich in etwas hineinschleichen, in das ich nicht gehörte und wo mich vermutlich auch niemand wollte.

"Da drüben steht ein ausgemustertes Bett. Ich lese und du ziehst dich hier um." Er zog eine zerlesene Taschenbuch Ausgabe von The great Gatsby aus der hinteren Hosentasche seiner Jeans und verschwand hinter dem Kleiderständen. Das Bett quietschte leise, als er sich darauf setzte, während ich mein T-Shirt über meinen Kopf zog und das nervöse Flattern in meiner Brust ignorierte.

Als ich hinter den vielen Anzügen hervortrat, sah er sofort von den Worten vor ihm auf. Unter den drei Anzügen war ein schwarzer, ein dunkelblauer und ein weißer gewesen. Ich hatte den schwarzen mit dem weißen Hemd angezogen. Es war so ungewohnt, den teuren Stoff auf der Haut zu spüren und zu wissen, dass einem all das nicht gehörte.

Er stand auf, ging auf mich zu und meine Handflächen begannen zu kribbeln, als er meinen Hemdkragen zurechtzupfte. "Du bist wirklich...schmal." Es klang als hätte er ein unfreundlicher klingendes Wort im Kopf gehabt. Er ging vor mir in die Knie und zog am Saum der Hose herum, bevor er ein wenig Stoff nahm und ihn nach hinten zog. Dann schüttelte er den Kopf.
"Du solltest einen probieren, den ich getragen habe, als ich fünfzehn war. Da war ich schmaler und seither bin ich nicht mehr sonderlich gewachsen."

Mit zielsicheren Händen zog er einen anderen Anzug aus dem Sammelsurium und drückte ihn mir in die Hand. "Behalte am besten das weiße Hemd an und gebe mir die anderen Anzüge."

Er hängte sie mit geübten Handgriffen auf, Anscheinend hatte er wenigstens keinen Kammerdiener, der ihn anzog. Erneut quietschte das Bett leise, als er sich setzte. Das Rascheln des Stoffes und die Vorstellung, dass uns nur ein paar Anzüge an einer Stange trennten ließen meine Wangen brennen.

Der nächste Anzug bestand aus drei Teilen in einem hellen Ockerton und aus feingewebtem Tweed. Alles daran schien Reichtum und Eleganz auszuströmen.

Ich trat hervor ohne das Jackett übergezogen zu haben. Er nickte. "Jetzt stimmt es von der Länge.", stellte er fest. "Aurelius müsste an der Taille und an den Schultern etwas ändern. Vielleicht auch an den Waden."
Lernte man es so etwas zu erkennen, wenn man oft genug maßgeschneiderte Anzüge trug und genug Leute in gut sitzenden sah?
Stattdessen fragte ich bloß, nach dem Wichtigsten: "Wer ist Aurelius?"
"Unser Schneider. Er hat auch die ganzen Anzüge, die du hier siehst angefertigt.", sagte er nüchtern.
Ich wollte gar nicht wissen wieviel auch nur einer dieser Anzüge wert war, denn dann würde ich es vermutlich abschlagen auch nur einen erneut anzufassen, geschweige denn zu tragen.

× Messed & Broken Hearted ×Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt