Jeremy #14

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Ich musste den Drang unterdrücken meine Kopfhörer heraus zu nehmen und Musik anzumachen. Aber die Gefahr, dass ich erwischt wurde und mein Handy dann weg wäre war zu groß. Ich seufzte und lehnte meinen Kopf gegen die kühlen Steine der Mauer in meinem Rücken. Seitdem Jérôme nicht mehr so nervös war und anscheinend nicht mehr fürchtete, dass ich ihn gleich hinterrücks abstechen würde, plapperte er ununterbrochen. Ich warf Quinn einen Blick zu. Seine Augen sahen im Schatten des Daches der Bushaltestelle dunkler, beinahe schwarz aus, wohingegen seine rötlichen Haare zu glühen schienen. Er hatte seine Hände in dehnen Hosentaschen vergraben und schenkte mir einen flüchtigen Blick in dem er kurz die Augen verdrehte. Ihm ging das Gerede von Jérôme genauso sehr auf die Nerven wie mir. Ich sah wieder die Straße herunter und entdeckte den Bus, der uns in die Stadt bringen sollte. Es hatten gerade einmal sieben Leute in die Stadt wollen. Aber es sollte mir recht sein. So hatten wir wenigstens ein wenig Ruhe in der Herberge gehabt, als die andere Gruppe schon eine halbe Stunde früher losgefahren waren. Ich stieg ein und suchte mir einen Platz. Bevor Quinn sich neben mich setzten konnte, zwischen uns herrschte einvernehmliches Schweigen, schwang Jérôme schon seinen Rucksack von der Schulter und ließ sich auf den Platz neben mir fallen. "Kennst du den Film Kill your darlings?" Abgesehen von der Tatsache, dass er nicht mein Darling war könnte ich ihn gerade auch killen. Ich sah aus dem Fenster und ignorierte ihn. Ich hätte niemals gedacht, dass er noch mehr nerven könnte, aber er toppte sich gerade selbst. Ich sah irgendwann überrascht auf. Irgendetwas irritierte mich. Und da fiel es mir auf. Er hielt endlich die Klappe! Ich drehte meinen Kopf und sah ihn an. Seine Lippen waren leicht geöffnet, seine Wimpern schimmerten im Licht und das erste Mal seit den wir hier waren und ich ihn mehr beachtet, als ihn bloß mit einem flüchtigen Blick auf dem Gang zu belegen, fiel mir auf, dass er schön war. Seine Gesichtszüge waren weder klassisch noch besonders außergewöhnlich. aber irgendwie wirkten sie so jung und zerbrechlich wie von einem kleinen Kind. Ich wandte seufzend meinen Blick ab. Er war eingeschlafen. Ich sah auf die Bäume des Waldes die Schatten auf die Fenster malten und sich geheimnisvoll im Wind wogen. Es sah aus wie ein Tanz, dessen Bedeutung allein die Natur zu deuten wusste. Wieso konnte ich nicht dort draußen sein und dem Lied der Blätter lauschen? Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich etwas Schweres auf meiner Schulter spürte. Seine Haare kitzelten an meinem Hals, meinem Kinn, meinem Ohr und meinen Lippen. Sie rochen nach ihm, dieser unvergleichliche Dürft, der mir schon aufgefallen war, als er mich umarmt hatte. Er roch gut und sie fühlten sich sanft und weich an. Wie die Berührung einer Elfe. Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich versuchte mir nicht zu viele Gedanken darüber zu machen. Über die Tatsache, dass ich nur meinen Kopf drehen müsste, um ihn küssen zu können, über die Reaktion meines Körpers auf ihn, über die Wärme die seine Haut ausstrahlte. Ich sah wieder aus dem Fenster. Langsam kamen wir aus dem Wald heraus, die Bäume wurden von Feldern abgelöst und diese von vereinzelten Häusern, aber ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Ich spürte seine Haut durch mein Oberteil, hörte seinen Atem zu nah an meinem Hals. Wieso machte es mich so nervös? Er war schließlich bloß irgendein Junge. Ich atmete tief durch und versuchte mich zusammenzureißen. Der Bus hielt auf einer kleinen Anhöhe auf dem man die Ruinen einer alten Kirche erkannte. Frau Schamm stand auf. "Wir treffen uns um 17 Uhr wieder am Bus vor dem Rathaus und wer will kam entweder hier an der Kirche noch zuerst bleiben oder gleich in die Stadt." Sie lächelte. "Ihr müsst zusammen bleiben.", sagte sie leiser zu Quinn, Jérôme und mir. Kurz zog sie überrascht eine Augenbraue hoch, als sie Jérôme auf meiner Schulter schlafen sah, aber fasste sich sofort wieder. "Aber ich werde es nicht so streng nehmen.", fügte sie bloß noch hinzu und lächelte wieder. Ich beugte mich vor, um den Rucksack, den ich zwischen meine Füße gestellt hatte zu nehmen. Jérômes Kopf rutschte einen Moment von meiner Schulter, dann legte er sein Kinn, direkt auf die kleine Wölbung in die das Schlüsselbein endete und klammerte sich mit seinen Fingern fest. "Mein Kissen...", murmelte er immer noch schlafend. "Bleib da." Es klang wie das Babbeln eines kleinen Jungen. Ich seufzte und fuhr ihm kurzerhand durch die abstehenden Haare. Sie waren so weich wie sie aussahen. Ich sah das Augenbrauenhochziehen von Quinn, doch ich konnte es nicht deuten. Es schien eine Mischung aus Überraschung, Missbilligung und Spott zu sein. Dann stand er auf und der Ausdruck verschwand von seinem Gesicht. Ich rüttelte Jérôme an den Schultern. Sein Kopf kippte zur Seite und er murmelte etwas von Erdbeben. Schnell sah ich mich um. Außer Quinn der uns mit dunklen Augen beobachtete, beachtete uns niemand. Vorsichtig schlug ich ihm auf die Wange. Er regte sich nicht. Atmete mir immer noch gleichmäßig seinen nach Pfefferminze riechenden Atem ins Gesicht. "Helf mir doch mal!", zischte ich zu Quinn. Er schüttelte den Kopf und ein spöttisches Lächeln spielte im seine Lippen. Am liebsten hätte ich ihn auch angeschrien. Stattdessen schüttelte ich Jérôme mit einer Hand und tätschelte mit der andren Hand weiter seine Wange. Anscheinend etwas stärker als ich gedacht hatte, denn sie wurde langsam rot. Endlich schlug er mir flatternden Lidern die Augen auf. Quinn verschwand nach unten aus dem Bus. Wahrscheinlich war es jetzt langweilig für ihn. Ich wusste nicht, ob ich ihn mochte. Jérôme blinzelte verwirrt, aber sah mir unverwandt und die Augen. Dann wich er mit einem Mal schnell zurück und starrte mich erschrocken an. Seine Wangen sahen verräterisch rot aus. "Hab ich...? Also bin ich...?" "Du bist auf meiner Schulter eingeschlafen." In Anbetracht der jetzigen Kälte in meiner Stimme konnte ich die vorherige Aufregung und Nervosität in meiner Brust, als er mich an der Schulter berührt hatte nicht mehr nachvollziehen. Er ließ seine Hände, die immer noch in meinen Oberteil am Oberarm hingen sinken und starrte mich weiter perplex an. Stattdessen krallte er sich am Sitz fest, als bräuchte er etwas, an dem er sich festhalten konnte, um nicht umzukippen. Seine Lippen waren leicht geöffnet, erschrocken und sinnlich glänzend, seine Augen weit aufgerissen, das Licht von draußen spiegelte sich weiß darin und seine Wimpern umrahmten sie, wie hundert, feine, dunkelbraune Pinzelstriche. "Was ist los?" Aber er starrte mich bloß weiter an.

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Endlich ein neues Kapitel. Vielleicht nicht das Längste oder Beste, aber ich mag ein paar Formulierungen, also denke ich kann man es so lassen.

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