Jérôme #21

3.2K 259 6
                                    

Vor dem Haus, an dessen Eingang eine bescheidene Messing 19 schimmerte, glänzte der Maserati in der Sonne und ich wusste wieder, weshalb ich ihn beneidete. Die Form, die Proportionen. Das Auto war ein Traum. Vorsichtig klingelte ich, indem ich meine Finger auf den Messingknopf drückte, der sich neben dem zu großen Tor in der Wand neben einem Briefkasten befand. Es gab keine Reaktion. Aber ein hoher Flügel der Türe schwang auf, als ich klopfte. Ich trat ein und fand mich in einem Raum mit hoher Decke und Betonboden wieder von dem zwei Treppen abgingen. Eine dunkle nach unten und eine geschwungene, aus Holz der man das Knarzen schon ansehen konnte nach oben. Gegenüber von mir führte eine weitere Höhe Türe vermutlich zu einem Innenhof. Ich schritt auf die Treppe zu, die nach oben führte und setzte meinen Fuß auf die erste Stufe. Sie knarrte als könne sie mein Gewicht bloß gerade so tragen. Seufzend ging ich hoch. An ein paar Stellen an der Wand blätterte die Farbe ab, die größtenteils mit Graffitis bedeckt war, was aber nicht schäbig und wie in einem verlassenen Haus, das von Obdachlosen besetzt wurde aussah. Ich kam vor einer Türe an, aus der gedämpft Musik zu hören war. Die Türe war in einem verwaschenen blaugrau gestrichen und befand inmitten eines kleinen, gesprayten Monsters, das darüber hervorlugte. Wieder bekam ich keine Antwort, als ich klingelte, also trat ich behutsam ein. Der Raum war dunkler und meine Augen mussten sich an die schummrigen Lichtverhältnisse gewöhnen, als die Türe sich hinter mir schloss. Es war als würde ich von der Realität in einen Traum treten. In der Luft lagen Rauchschwaden und es roch schwer. Sogar dir Musik klang wie aus einer anderen Welt. Mit der verschwommenen Stimme und den ineinander gehobenen Wegen. Ich erkannte links von mir die Umrisse einer Kücheneinrichtung und rechts waren zwei Kartons aufeinander gestellt, auf denen ein schwarzer Rucksack mit vielen Taschen lag. An ein paar senkrechten Balken vorbei erkannte ich ein quadratisches Bett, an dem eine Leinwand gelehnt stand, auf der man die dunklen Umrisse eines Gesichtes erkennen konnte. In Jeans und oversize T-Shirt mit dem Logo eines Horrorfilms auf der Brust saß darauf ein Junge, der in der einen Hand ein Pendel hoch hielt und in der anderen einen Satz Karten versuchte irgendwie zu halten. "Entschuldigung?", fragte ich sachte. Ich zuckte zusammen, als mir etwas pelziges um die Beine strich und als herunter sah, erkannte ich Lou. Jeremy hatte ich tatsächlich mitgenommen. Der Junge sah auf und drehte die Musik überraschend gelenkig mit einem nackten Fuß runter. "Ihn müsstest du kennen.", sagte er grinsend und nickte zu dem Kater zu meinen Füßen. Seine Haare erinnerten mich von der Farbe entfernt an Pfirsiche. Seine Augen hatten einen beunruhigenden grünen Ton. "Jérôme?", fragte er ruhig. Ich nickte leicht und kam mir inmitten von aufgeschlagenen Büchern und anscheinend mitten in seinem Wohnzimmer etwas fehl am Platz vor. Er zeigte mit der Hand unter der der Pendel hypnotisierend hin und her schwang auf die Türe in seinem Rücken, die mir beinahe nicht aufgefallen wäre. Ich bemerkte ein gelb schwarzes Poster mit einer Warnung vor freilaufenden Dinosauriern daran hängen, als ich auf die Türe zuging und klopfte. "Er hat vermutlich Kopfhörer auf.", stellte der Junge in meinem Rücken fest. "Geh einfach rein." Ich lächelte ihn über meine Schulter hinweg an und befolgte seinem Ratschlag. Als ich die Türe geöffnet hatte huschte Lou rein. Jeremy saß tatsächlich mit Kopfhörern und dem Rücken zu mir an einem Schreibtisch. Das Zimmer war anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Drei Wände davon waren aus Backsteinen, während eine weiß und sauber verputzt war. Ein paar künstlerisch angehauchte Fotografien hingen über einem ungemachten Bett mit weißen Bezügen und schlichten Holzrahmen aus hellem Holz, über dem auf einem Regalbrett eine Pflanze, Bücher und Horrorfilm DVDs standen. In jeder Ecke des Raumes stand ein Lautsprecher, der mir mindestens bis knapp unter die Brust reichen musste und aussah als könne er einem die Ohren wegreißen. Ein hellblauer Schrank stand da, an dessen einer bloß angelehnten Türe ein Anzug hing, indem ich mir Jeremy nicht vorstellen konnte. Leise schloss ich die Türe hinter mir. Eine Schaukel hing gegenüber von einer in der Luft schwebenden Bank, die mit Seilen an der Decke befestigt war und die Kissen auf ihr waren eine der wenigen Farbtupfer in dem sonst schlichten und hauptsächlich in weiß gehaltenem Zimmer. Ich durchquerte das Zimmer und bemerkte erst, als ich stehen blieb, dass ich mich auf Zehenspitzen angeschlichen hatte. Mit dem Rücken zu mir, machte er mich sogar beinahe noch nervöser als sonst. Sachte tippte ich ihm auf die Schulter. In einer einzigen fließenden Bewegung klappte er sein MacBook zu und schob sich seine schwindelerregend teuer aussehenden Kopfhörer von den Ohren. "Du bist gekommen.", stellte er fest und ich fragte mich, ob er nicht damit gerechnet hatte. Ich erwiderte nichts. Irgendetwas an ihm schien anders an ihm zu sein, als in der Schule und sonst so unter Leuten. Ich ließ mich auf die Kante seines Bettes fallen, während er sich zu mir auf dem Drehstuhl umdrehte. "Wer ist das?" Meine Hand zeigte über meine Schulter hinweg auf die Türe in seinem Rücken. "So etwas wie mein Mitbewohner." Er zog seine Beine an und schlang die Arme um das eine aufgestellte Knie. Mir fiel auf, dass seine Haare um einiges zerzauster waren, als sonst. "Wie kann jemand so etwas wie ein Mitbewohner sein?" Er lehnte sein Kinn auf seine Kniescheibe. "Eigentlich haben wir nur halb zusammen gewohnt, weil er in der Wohnung darüber gelebt hat, aber irgendwie hat es sich so ergeben, dass er jetzt hier wohnt." Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. Ich nickte und betrachtete ein Bild eines Baumes in mitten einer Raureif grauen Wiese in dem Mitteln hingen und in dessen Ästen sich Nebel verfangen hatte. "Hast du die Bilder gemacht?" Ich spürte auch so, ohne ihn ansehen zu müssen, dass bloß sein Blick auf mir ruhte. Auf die Frage würde ich keine Antwort bekommen. "Hast du dir schon über ein Thema Gedanken gemacht?", fragte er stattdessen. Ich sah auf meine Schuhspitzen, vielleicht hätte ich wenigstens meine abgetragenen Chucks ausziehen sollen. "Also nicht.", sagte er knapp und es klang leicht genervt. Erst jetzt fiel mir auf, dass er bisher noch auffallend nett gewesen war. "Und du?", antwortete ich mit einer Gegenfrage. "Es gibt einmal das wovon sie begeistert wäre und das, was mich interessieren würde.", sagte er und ich erwiderte seinen Blick. "Dann hau mal raus." "Caravaggio, Robert Frost, Christina Rossetti." Ich nickte. All diese Namen sagten mir etwas, auch wenn es mich überraschte, dass er sich dafür interessierte. "Oder Herakut." "Was ist das?" Ich bemerkte, dass ich begonnen hatte ihn wenig intelligent anzustarren. "Ein Sprayer. Graffitikünstler.", sagte er knapp und betrachtete mich, als sei ich vollkommen bescheuert. "Achso..." Ich zuckte die Schultern und schob mir meine Schuhe von den Füßen. "Wenn du selbst keinen Vorschlag hast, dann solltest du meinen etwas mehr Begeisterung entgegen bringen." Er klang wieder genervt und stand auf. "Komm mit." Verwundert stand ich auf und er schritt vor. Er trug eine lockere helle Jeans und ein blaues, schwarz kariertes Hemd. Er wirkte freundlicher als in der Schule. Nicht bloß von seinem Tonfall her, sondern auch wie er aussah. Die Türe blieb hinter ihm offen stehen. Der Junge auf dem quadratischen Bett hatte mittlerweile von seiner lauten Musik zu Kopfhörer gewechselt und las irgendetwas in einem kleinen Heft nach, wobei der Pendel immer noch um seinen einen Zeigefinger geschlungen vor und zurück schwang. Jeremy zog mit einem Ruck die Rollläden hoch und Licht strömte in den Raum. Der Junge zuckte nicht einmal mit der Wimper. In dem hellen, weichen Herbstlicht sah der Raum um einiges überschaubarer und größer aus. "Alkohol oder Kakao?", fragte Jeremy, aber stellte schon eine Milchflasche raus. Ich lehnte mich an die Arbeitsfläche und während er vor sich hin werkelte fiel mir auf wie früh ich darüber war, dass wir einander zugeteilt worden waren. Ein weiterer Grund ihn öfter zu sehen und zwar nicht bloß von weitem...

~~~~~~~~~
So. Das letzte Kapitel des Jahres. Euch allen einen guten Rutsch und alles erdenklich Gute. ❤

× Messed & Broken Hearted ×Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt