Jeremy #17

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Wie ekelhaft liebevoll er geklungen hatte, als er von seiner Mutter gesprochen hatte. Wut war in mir aufgestiegen. Ich ließ mich neben Marco auf den Baumstamm fallen. Er grinste breit. "Jetzt hast du deine Gitarre nicht dabei." Ich zuckte mit den Schultern und sah ins Feuer. "Schläfst du hier?" Ich nickte und sah ihn an. Seine weißen Zähne blitzten im Schein des Lagerfeuers. "Wo warst du vorher?" Er hatte also bemerkt, dass ich nicht dagewesen war. "Hab mir die Kapelle angesehen.", seufzte ich und strich mir durch dir Haare. "Sucht euch Stöcke, wir haben Marshmallows und Würstchen.", verkündete Frau Schamm. "Ja. Melanie. Auch vegetarische." Gina setzte sich auf Marcos Schoß und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. "Hast du nicht Angst, dass dir Käfer in die Ohren kriechen, wenn du hier schläfst?" Ich unterdrückte ein genervtes Augenverdrehen. "Ich hab Stöcke dabei.", verkündete Pierre, reichte sie rum und ersparte mir damit eine Antwort. Ich schätzte, dass man von hier aus vielleicht noch eine halbe Stunde zur Herberge zurück brauchte und war dankbar dafür, dass Herr Schamm später wieder mit zurück ging. Wenn er da bliebe, würde er Jérôme und mich wahrscheinlich auch noch dazu zwingen uns einen Schlafsack zu teilen. Langsam nervte mich seine Form von Strafen wirklich. Mir drückte jemand einen Ast in die Hand. "Dass du uns nicht noch hier verhungerst.", sagte Allen grinsend und der Schein des Feuers flackerte über sein Gesicht. Jérôme saß gegenüber von mir neben einem Mädchen mit Nickelbrille und Sommersprossen, mit dem ich nicht viel zu tun hatte. Ich fragte mich, woran er dachte, aber ich sah kaum seinen Gesichtsausdruck durch die Flammen hindurch. Mir fiel bloß auf, dass er den Stock im Feier anscheinend völlig vergessen hatte, der gerade Flammen fing. Ich unterdrückte ein Grinsen und wandte mich wieder den anderen zu, die sich über den ganzen Dreck im Wald beschwerten. Wieso hatte ich mich noch einmal zu ihnen gesetzt?"Ich hätte jetzt Lust auf ein Steak, Weißbrot und Salat.", verkündete Kevin mit schwärmender Stimme. Ich sah zu dem Sternenhimmel, der im Schein des Lagerfeuers beinahe verblaste. Von hier aus, sah man die Sterne und die Weite des Universums schien um einiges unermesslicher als sonst. Sollte man an einem knackenden Lagerfeuer, mit den Geräuschen der hungrigen Nacht um einen herum und in Anbetracht einer solchen Unendlichkeit nicht über essentielle Dinge sprechen? Dinge wie den Sinn des Lebens und die Bedeutungslosikeit der Menschen im Universum, statt über die Kleidfarbe für den Winterball (der strenggenommen ein Spätherbstball war) und Steak? Wieder wanderte mein Blick zu ihm. Durch die Flammen hindurch erkannte ich seinen Blick in das Feuer und wie sich die Flammen in seinen Augen spiegelten. Erhoffte ich mir in ihm bloß einen interessanten Gesprächspartner oder ging ich berechtigt von der Annahme aus, dass man mit ihm tierfschürfendere Gespräche führen konnte? Ich seufzte. Wie kam ich darauf, mir überhaupt Hoffnungen wegen dieses Jungen zu machen? Wieso sollte er anders als diese ganzen hohlköpfigen Idioten um mich herum sein? Und wieso interessierte es mich gerade bei ihm? Was war das besondere an ihm, dass ich es so brennend heraus finden wollte?

Ich hörte den Wind durch die Gräser um uns herum streichen. Sie raschelten, als würden sie einander Geschichten zuflüstern und ich fröstelte leicht in meinem T-Shirt, wobei ich mir nicht die Mühe machte meine hinter meinem Kopf verschränkten Arme in den Schlafsack zu verstauen oder näher an das immer noch rötlich glühenden Lagerfeuer zu rustchen. Wenigstens jetzt, wo man sich der Natur so nahe fühlte, wollte ich keine geflüsterten Gespräche über Belanglosigkeiten hören. Die Sterne blinkten verlockend. Etwas in meinem Magen zog sich zusammen. Wie klein und nichtig man sich vorkommen konnte. Leise schlichen sich die Erinnerungen in meinem Hinterkopf, wann ich das letzte Mal so bewusst in den Sternenhimmel gesehen hatte. Damals hatte ich das kühle Glas einer Rotweinflaschen, dem teuersten den ich im Weinkeller meines Vaters gefunden hatte an meinen Fingerspitzen gespürt und war vollkommen glücklich gewesen, während die Versen von Christina Rossetti auf mich eingeriselt waren. Wir weit das alles hinter mir zu liegen schien. Eine Ewigkeit, ein ganzes Leben... Ich blinzelte, als meine Augen begannen unangenehm zu kribbeln und brennen. Ich musste an meine letzten Träume denken, die Leere und das Verlangen, dass sich danach heiß durch alle meine Nerven gefressen hatte. Vielleicht sollte ich lieber wach bleiben, dann würden sie sich nicht hinterrücks anschleichen und mich überfallen. Etwas raschelte neben meinem Kopf und ich saß schneller, als ich überhaupt bemerkte, dass ich mich erschreckt hatte. Ein dunkel, schwarzer Schatten kniete sich neben mich. "Tut mir leid, falls ich dich erschreckt habe.", raunte seine Stimme. Kurz, als alles zu kippen schien, weil ich mich zu schnell aufgerichtet hatte, presste ich meine Handflächen auf die Erde, die immer noch die Wärem des Tages gespeichert hatte und sich kein bisschen bewegte. "Was ist?", fragte ich und hörte zu meiner Erleichterung, wie teilnahmslos meine Stimme klang. Kein Zittern schwang darin mit, nirgends der Anflug von dem Schmerz und der Sehnsucht, die in meiner Brust wüteten. "Mir ist kalt." Ich sah ihn an, erkannte aber bloß graue Schemen seiner Gesichtszüge. "Geh näher ans Lagerfeuer." Er schwieg so lange, dass ich mich fragte, ob er mir überhaupt zugehört hatte. "Ich habe Angst...", sagte er dann leise und unsicher. Ich schwieg. "Die Dunkelheit ist unheimlich.", fuhr er schließlich fort. "Sie ist voller Unbekanntem." Wie könnte dieser Junge langweilig sein, wenn er alleine mit seinen Worten, diese Bilder heraufbeschwören konnte? "Und was erwartest du jetzt von mir?" Er senkte seinen Kopf, ein paar Strähnen fielen in seine Stirn und sein gerader Nasenrücken schimmerte leicht im Zwielicht der Nacht. "Ich hatte fragen wollen, ob du..." Das Schlucken klang laut. "...ob ich mich vielleicht an dich... nahe zu dir legen dürfte." Darum ging es ihm. Die Frage überraschte mich ernsthaft. Niemals hätte ich ihn als jemand eingeschätzt, der über seinen Schatten springen würde, um zu fragen, ob er sich an einen kuscheln durfte. Am liebsten hätte ich ihm rein aus Prinzip vor den Kopf gestoßen und Nein gesagt. Stattdessen unterdrückte ich mein Grinsen, aus Angst er könne in der Dunkelheit meine weiß blitzenden Zähne sehen und seufzte. "Dann komm schon her." Sein Einatmen klang überrascht, bevor noch mehr Rascheln erklang und ich spürte wie er sich in seinem Schlafsack näher an mich drückte. Höchstwahrscheinlich hatte er nicht gleich daran gedacht, aber ich legte einen Arm um ihn und sein Geruch stieg mit in die Nase. Sein Rücken drückte sich gegen meinen Brustkörper und ich schloss meine Augen. Er hatte Angst vor der Realität um uns herum und was in ihr lauern konnte, während ich alleine die Monster, die mein Kopf und mein Verstand produzierten fürchtete. Vielleicht war es reines Wunschdenken, aber ich hatte das Gefühl, dass ich mir von ihm erhoffte die Albträume fernzuhalten, so wie in den letzten Nächten, wo wir gezwungener Weise nebeneinander geschlafen hatten. Dass er die Dunkelheit in mir zurückhalten konnte oder zumindest die Furcht davor veringern, so wie ich seine schrumpfen ließ. "Gute Nacht.", hauchte er unendlich leise und verloren in die Schwärze um uns und ich war mir nicht einmal sicher, ob die Worte tatsächlich mir galten und dennoch flüsterte ich kantig und unpassend zu der von Geräuschen durchbrochene Stille der Natur "Dir auch." zurück.


× Messed & Broken Hearted ×Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt