Jeremy #15

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Wir wären schweigend nebeneinander hergelaufen, wenn Jérôme nicht dagewesen wäre. Er redete ununterbrochen. Zeigte uns Häuser, knipste viel zu begeistert Fotos und schwärmte von dies und jenem. Die meiste Zeit sah er die gesamte Stadt bloß durch seine Kamera und schwärmte uns davon voll. Aber wie konnte man es da tatsächlich genießen, wenn es nur eine Linse mit einem Gestell war? Geranien in allen Farben wuchsen in den Blumentöpfen an den Fensterbrettern der Fachwerkhäusern, Kopfsteinpflaster das vor Feuchtigkeit glänzte, Laub das herum lag, streunende Katzen... Alles sah er als Abbild, aber nicht mit seinen eigenen Augen. Als er einen Hund fotografieren wollte, den eine alte Dame, die uns beinahe zahnlos, herzlich anlächelte und der um unsere Beine strich, nahm ich ihm die Kamera aus der Hand. "Hey?!" Er richtete sich genervt auf und sah mich vorwurfsvoll an. "Entschuldigen Sie ihn...", sprach ich die Frau an, die uns etwas verdutzt ansah, schnappte ihn am Arm und schleifte ihn hinter mir hier, die Kamera aus seiner Reichweite haltend. Quinn folgte uns mit seinen Händen in den Hosentaschen schweigend. Langsam kam er mir vor wie ein Schatten. Ein nervender Schatten. Jérôme stolperte, ich hielt ihn davon ab mit der Nase voraus auf die Steine zu stürzen und drehte mich in einer leeren, dunklen Gasse zu ihm um. Er sah mich verärgert an, der Zorn blitzte mir entgegen, doch ich ließ ihn bloß los. "Wenn du noch einmal ein Bild schießt, werfe ich dich in den Fluss, nachdem ich die Kamera vor deinen Augen zertreten habe!" Er verschränkte bloß seine Arme und starrte zu mir hoch, während er sich eine Haarsträhne aus den Gesicht blies. "Das würdest du nicht wagen.", sagte er bestimmt. Ich schlug ihm leicht mit dem Handballen auf die Stirn. Am liebsten hätte ich ihn geschubst. Sein Gesicht nicht mehr gesehen und wäre einfach ganz weit weg gegangen. "Willst du es darauf ankommen lassen?" Er gab ein Geräusch von sich, das klang wie eine wütende Schlange, aber verstaute die Kamera in seinem Rucksack. "Wieso halten wir uns eigentlich daran, was die Lehrer sagen?", maulte er weiter. Ich seufzte innerlich. Vielleicht würde ich ihn auch so früher oder später in den Fluss werfen, der sich rauschend und murmelnd seinen Weg durch das Städtchen bahnte. "du kannst ja alleine losziehen.", sagte ich patzig. Er grummelte etwas, bevor er plötzlich wieder begann begeistert an meinem Ärmel herum zu zupfen. Jetzt wusste ich es langsam zu schätzen, dass ich keine kleineren Geschwister hatte. "Können wir in den Laden?" Ich sah in die Richtung in die er zeigte, wenigstens klang er jetzt wieder halbwegs wie ein Teenager und nicht wie mein kleiner dreijähriger Bruder. "Ich wollte schon immer so eine Jeansjacke!" Die Jacke hätte auch mir gefallen, aber ich sagte nichts, während ich ihm folgte. "Ich warte draußen.", sagte Quinn knapp und starrte einem Mann mit Sonnenbrille un Anzug hinterher, der glatt bei Men in Black hätte mitspielen können. Er schleifte mich weiter in das Gewirr aus Kleiderstangen und Jeans, bevor ich mich aus seinem Griff befreien konnte. Der Laden sah aus, als wollte er auf exklusiv und teuer machen und doch roch er nach billigem Lufterfrischer und Kinderarbeit. "Hier ist sie." Er betrachtete sie kritisch, während er sich schon durch die Jacken an dem Metallständer wühlte. Ich starrte ein paar Mädchen böse in Grund und Boden, die mich zu neugierig anstarrten und rot anliefen, sobald sich unsere Augen trafen. Tuschelnd verschwanden sie in die Richtung der Kassen. "Hab sie." Er strahlte. "Aber ich hab nicht das richtige an, um sie anzuprobieren..." Er sah sich suchend um und ich seufzte. Vermutlich würde es doch nicht so schnell wie erhofft gehen. Ich hielt ihm auf gut Glück ein weites, schwarz weiß gestreifter Oberteil vor die Nase. Seine Augen wurden größer. "Wow! Das ist cool!" Sein Blick wanderte weiter zur Größe im Kragen. "Perfekt!" Er schnappte sich das Oberteil und krallte sich wieder meinen Arm. Er zog mich zu den Umkleidekabinen, obwohl ich am liebsten einfach wieder raus zu Quinn gegangen wäre. Wenigstens fand er gleich eine leere. Ich wollte mich gerade an die Wand lehnen, um zu warten, da zog er mich weiter. "Du musst mich beraten und das ist der kürzeste Weg.", erklärte er und zog die Türe hinter uns zu. Ich hörte seinen Atem, als er neben mir die Kleider an einen Kleiderhacken hängte. Irgendwie machte es mich nervös, aber zwang mich dazu ruhig stehen zu bleiben. Erst als er sich sein T-Shirt über den Kopf zog, wüsste ich nicht mehr wo ich hinsehen sollte und meine Ohren fühlten sich an, als wären sie kurz davor in Flammen aufzugehen. Er drehte sich vor dem Spiegel, als er das gestreifte Oberteil angezogen hatte. " Du hast echt einen guten Geschmack.", meinte er und es klang halb verwundert, halb wie ein Kompliment. "Deswegen bin ich für Mädchen ja auch so unwiderstehlich.", versuchte ich scherzhaft zu sagen, aber es klang eher bitter. Er sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an und griff an mir vorbei nach der Jacke, oben etwas weiteres zu sagen. Die Kombination zu der verwaschenen schwarzen Jeans und seinen Chucks stand ihm gut. Viel zu gut und ich fragte mich, weshalb er er sich sonst immer in solche hässlichen Kleider steckte, wo er in so etwas doch so viel besser aussah. Sein Lächeln wirkte traurig, als er sich im Spiegel betrachtete und ich mich um ein unberührtes Gesicht bemühte, was leichter gewesen wäre, wäre es nicht so eng. Aus irgendeinem Grund, konnte ich meinen Blick nicht von ihm und seinen zerzausten Haaren wenden, auch nicht als er sich wieder auszog. Seine Haut wirkte bräuner als sonst, in dem gelblichen Licht der Umkleidekabine und Schatten fielen über sein Gesicht, die Kanten und Ecken zeigten, die davor noch nie aufgefallen waren. Er hob seine eigenen Kleider vom Boden auf, nachdem er die, in denen er gerade so gut ausgesehen hatte wieder an die Kleiderbügel gehängt hatte. "Ich weiß selbst nicht, wieso ich das immer mache." Ich antwortete nicht und sah gebannt dabei zu, wie seine Haut wieder unter Stoffschichten verschwand. "Wenn ich doch weiß, dass ich sie mir sowieso nicht leisten kann..." Seine Stimme klang fest, aber er wich meinem Blick aus. Meine Augen huschten zu den Preisschildern. Insgesamt 85€. Das war gar nichts für mich. Ich hatte das fünffache in meinem Portemonnaie. Ich schnappte mir ohne groß nachzudenken die Kleider. "Warte hier." Ich ignorierte seinen überraschten Blick und schritt von den Umkleidekabinen, durch den Laden zu den Kassen. Die Kassiererin lächelte mich mit Kirschlippen an und zog das nervige Piepsding über die Strichcodes. "Sind die für dich?" Ich hasste es, wenn mich Leute, die offensichtlich jünger waren als ich mich duzten. "Nein, für meinen Freund." Überraschung huschte über ihr Gesicht und erst da ging mir auf, wie man das noch interpretieren konnte, aber ich machte mir nicht die Mühe mich zu verbessern. Sie nahm wieder vollkommen natürlich lächelnd das Geld entgegen, wünschte mir einen schönen Tag und drückte mir die Tüte in die Hand, nicht ohne mich mit ihren Fingerspitzen mein Handgelenk zu streifen. Ich drehte mich ohne sie noch einmal anzusehen um und rannte beinahe in Jérôme rein. "Was tust du?" Seine Augenbrauen wölbten sich kritisch über seinen Augen. Ich drückte ihm die leise raschelnde Tüte ins Gesicht. "Ich muss es doch unterstützen. Wenn du dich mal darum bemühst deinen Pennerlook abzulegen." Er öffnete wütend den Mund, aber ich ging bloß an ihm vorbei. "Du kannst mir das nicht einfach schenken!" Seine Schritte klackten hinter mir her. "Doch.", widersprach ich und sah schon den stahlgrauen Himmel und Quinns Rücken jenseits der automatischen Schiebetüren. Er drehte mich zu sich um. "Bring das zurück!" Er hielt mir die Tüte unter die Nase. "Nein." "Ich brauche deine Almosen nicht!" Ein paar Köpfe drehten sich zu uns um. Ich verdrehte die Augen. "Jetzt stell dich nicht so an." "Ich stelle mich nicht an, nur weil ich es nicht annehmen will!" "Kannst du es nicht einmal akzeptieren, wenn man versucht nett zu dir zu sein?" Seine Augen sprühten wütende Finken. "Es gibt einen Unterschied zwischen nett sein und bestechen!" Spätestens jetzt starrten uns alle an. "Wieso sollte ich dich bestechen? Es ist mir scheiß egal, ob du mich magst oder nicht." "Dann bemitleide mich eben nicht!" Ich fuhr mir genervt über die Stirn. So würden wir nicht weiter kommen. "Ich bemitleide dich nicht." Er stapfte unbeeindruckt auf die Türe zu. "Ich will nicht in deiner Schuld stehen!" Wie viele Argumente dieser Junge hervor bringen konnte, um kein Geschenk annehmen zu müssen. "Lad mich auf einen Kaffee ein und wir vergessen es." Die Tür glitt lautlos vor mir auf und ich hörte seine hastigen Schritte, kombiniert mit dem leisen Raschen der Tüte. "Und du glaubst ernsthaft ein Kaffee ist dasselbe wie...das hier?" Er holte zu mir auf und schwang die Tüte wieder vor meiner Nase. "Meinst du wegen des Preises?" Ich zog eine Augenbraue hoch und lief einfach weiter, ohne mich darum zu scheren, ob Quinn uns folgte oder nicht. "Ja! Das sind völlig unterschiedliche Dimensionen!" Ich drehte mich zu ihm um. "Jetzt hör mir zu! Jammer nicht rum! Für mich sind es keine Dimensionen! Es macht für mich keinen Unterscheiden, ob etwas achtzig oder achthundert kostet! Es spielt keine Rolle! Versteht du das? Also stell dich nicht so an, besorg mir einen Kaffee und sei endlich still!" Er starrte mich etwas verblüfft an. Vermutlich war es die längste Aneinanderreihung von Wörtern, die ich ihm bisher gegenüber geäußert hatte. Er lief rot an. "Willst du damit sagen, dass...dass du reich bist?" Ich verdrehte die Augen, wandte mich wieder ab und stapfte in die Richtung eines Cafés, das ich entdeckt hatte. Quinn und er folgten mir. Wie ermüdend die Diskussionen mit ihm waren.

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Endlich wieder ein neues Kapitel! Ich schäme mich dafür so lange nicht mehr upgedatet zu haben, aber was dieses Buch betraf, war meine Muse irgendwie ganz schön faul. Aber jetzt hat sie sich ja endlich einen Rück gegeben. ^^

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