Jérôme #17

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Man sah schon orange, rote Streifen über den Hügeln, als wir nach einer Mittagspause und ein paar kleineren Pausen, in denen Frau Schamm Äpfel aufgeschnitten hatte von dem Weg auf dem wir die ganze Zeit über gelaufen waren, auf einen kleineren gingen. Jeremy ging schweigend neben mir und ich konnte mich nicht daran erinnern, was er zuletzt gesagt hatte. Es kam mir wie Tage vor, dass wir gelaufen waren und doch war die Nähe, die man zur Natur empfand irgendwie schön. Durch die Bäume hindurch, die schon beinahe alle Blätter verloren hatten, erkannte man ein scheinbar zusammengefallenes, steinernes Gebäude. Die meisten atmeten erleichtert auf, als wir auf die kleine Lichtung vor dem Steinhaufen ankamen und Herr Schamm verkündete, dass wir da waren. Er redete noch weiter über Organisatorisches. "Kommst du mit?", flüsterte Jeremy. Ich sah ihn verwirrt und überrascht an. "Wohin?" Er nickte zu den Steinen, die langsam von den langen Schatten der Bäume verschluckt zu werden schienen. Ich sah mich um. Niemand schenkte uns Beachtung. "Wieso gehst du nicht mit Quinn oder Marco?", flüsterte ich zurück. Er verdrehte die Augen. "Wenn du nicht willst oder Schiss hast, kannst du es auch einfach sagen." Ich sah ihn schmollend an. "Darum geht es mir gar nicht." "Dann kannst du ja mitkommen." Seine Stimme klang langsam wie ein entnervtes Zischen. Ich nickte knapp. Er seufzte. "Wieso nicht gleich so?" Ich entgegnete nichts, sondern sah ihn bloß böse an, aber er war schon vorgegangen. Am liebsten hätte ich gerufen, dass er auf mich warten solle, aber ich wollte nicht entdeckt werden, wie ich ihm hinterher huschte. Er ging zielstrebig auf die Ruine zu, die von Weitem aussah, wie eine unwillkürliche Anhäufung von Steinen, zwischen denen sich Pflanzen verankert und Schatten verfangen hatten. Er ging so entschlossen auf den kleine Trampelpfad auf den noch stehenden, von zwei Steinsäulen gesäumten Torbogen zu, dass ich noch fragte, ob er hier schon einmal gewesen war. Man erkannte noch die Grundrisse der Kapelle und auch ein paar Fensterbögen waren noch übrig. Die verschlungenen, knorrigen Wurzeln von Bäumen hatten Steine gespalten und umschlungen. Ranken hingen von noch stehenden Stücken von Zwischenwänden oder Säulen herab. "Wow...", bekam ich heraus. Es war beeindruckend, wie das Licht auf den Steinen spielte und Schatten über alle huschen ließ. Ob man hier wohl noch alte Bleiverglasungen fand? Jeremy trat einen Stein durch das Rechteck des Raumes. Ich musste an meine Mutter denken und daran, wie sehr es ihr hier gefallen würde. Aber gleich darauf bereute mich es, da ich sie vermisste. Mit dem Satz "Du siehst sie ja bald" schob ich das Gefühl beiseite und folgte Jeremy, der über ein paar Felden gestiegen war. Dahinter lagen Schatten, die gefärhlich aussahen, so als würde etwas datin lauern. "Ich bin wirklich nicht gläubig...", sagte er halblaut. Ich hielt mich dicht hinter ihm, aber war mir nicht sicher, ob er tatsächlich zu mir sprach. "...aber hier hat man das Gefühl etwas zu spüren." Ich wusste genau, was er meinte. Es schien als könne man sich trotz der Trümmer und dem Staub und den Pflanzen noch die Atmosphäre der Kapelle wie ein Windhauch im Nacken spüren. Als würde sie aus der Vergangenheit nach einem greifen und läge noch müde vibrierend in der Luft. "Vielleicht ist das ja ein Leichenweg.", flüsterte ich ehrfürchtig. "Ein was?" Er sah mich strinrunzeln an und in seinem Gesichtsausdruck lag etwas, das wirkte, als bemerke er jetzt erst wieder, dass ich noch da war. Ich winkte ab. "Hab nur zu viel gelesen." Er zog missbilligend eine Augenbraue hoch, aber wandte sich dann bloß wortlos einem Trümmerhaufen zu, um mit der flachen Hand den Staub von der gerade Oberfläche eines Steines zu wischen. "Latein...", murmelte er leise und ich sah über seine Schulter. Unter der aufwendigen Ornamentik eines Eufeuastes stand in den Stein gemeiselt "ne aemuleris viros malos nec desideres esse cum eis quia rapinas meditatur mens eorum et fraudes labia eorum loquuntur" und in der letzten Zeile in fetter Schrift: "Salomo 24, 1-2" . "Das ist etwas aus der Bibel.", stellte er trocken fest. Er klang enttäuscht, als hätte er etwas anderes erwartet, aber wir waren schließlich in einer Kapelle. Seine Fingerkuppen strichen dennoch erneut über die Buchstaben. "Kannst du Latein?", fragte er schließlich. Ich schüttelte den Kopf und er richtete sich auf. Eine Erinnerung drang an die Oberfläche meines Bewusstseins. "Aber ich kann die Verse.", platzte ich heraus. Ich bemerkte den schrägen Seitenblick, den er mir zuwarf, aber wandte meinen Blick nicht von den Buchstaben. "Jaa?", fragte er langgezogen und genervt klingend. "Ich dachte du seist nicht gläubig.", sagte ich grinsend. "Ich kann trotzdem wissen wollen, was da verdammt nochmal steht.", zischte er verärgert und ich stellte fest, dass ich es zu sehr genoss ihn zu provozieren. Er war kein sehr geduldiger Mensch. "Folge nicht bösen Leuten und wünsche nicht, bei ihnen zu sein; denn ihr Herz trachte nach Schaden, und ihre Lippen raten zu Unglück.", zitierte ich die Verse. Aus dem Augenwinkel, sah ich sein Kopfschütteln. "Woher kannst du das auswenig?", fragte er kritisch. "Ich bin nicht getauft, aber früher oft mit meiner Mutter in die Kirche, weil es ihr etwas bedeutet und unser Priester war ein totaler Fan von Salomo." Er nickte, aber seine sich fast berührenden Augenbrauen wirkten immer noch kritisch. "Ich denke, ich habe genug gesehen.", stellte er dann fest und ging vor, zurück in die Richtung aus der wir gekommen waren. "Ist alles okay?", fragte ich beinahe besorgt, als ich wieder mit ihm auf einer Höhe war. "Natürlich." Es klang wie Sarkasmus, aber ich wusste nicht, ob es welcher war, da fast alles bei ihm zynisch klang. Wir traten aus den Mauern heraus, die sich sehnsüchtig gen Himmel reckten, als erhofften sie sich von ihm, dass er sie wieder aufbauen könnte. Jeremys Hände verschwanden in seinen Hosentaschen und er zog den Kopf zwischen seine Schultern. In seinem Blick lag ein blitzender, gefärhlich wirkender Funke, als würde er es gleich darauf anlegen mit jemand eine Schlägerei anzuzetteln. "Du weißt, dass du mit mir reden kannst?" Die Worte kamen einfach so über meine Lippen und bevor ich sie zurücknehmen oder entkraften konnte, funkelten mich seine Augen mich mordlustig an. Er konnte richtig gruselig sein. "Willst du mich verasrchen?" Ich spürte seinen Atem auf meinen Wangen. Er war unangenehm nahe, meine ganze Haut fühlte sich an, als sei sie unter Strom gesetzt worden, aber ich traute mich nicht mich zu bewegen, aus Angst eine Bewegung von ihm zu verpassen. "Wenn ich sage, dass alles in Ordnung ist, kannst du mir glauben und musst hier nicht noch den Seelenklempner raushängen lassen.", fauchte er giftig. Ich nickte. "Ist okay." Noch einmal blitzte er mich feinselig an, bevor er davon stapfte. Ich fühlte mich merkwürdig stehen gelassen und setzte mich zu den anderen, an das Lagerfeuer, das sie mittlerweile angemacht hatten.

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