Jérôme #23

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Ich ließ den Gummi über die Pappe des Plakats gleiten und stellte es neben meinem Schreibtisch in die Ecke. Ich drehte mich zu dem kleinen CD-Player um, der immer rauschte, wenn man ihn anstellte und schaltete ihn ein. If you want me to stay schallte los ich ging in die Küche. Ich starrte die kreisende Milch an, während sie in der Mikrowelle ihre Runden zog.

Mein Körper fühlte sich schwer an, als sei ich unglaublich müde und zugleich kribbelten meine Fingerspitzen nervös. Jeremy war gegangen und meine Mutter arbeitete noch, während ich hier war und meine Gedanken unruhig kreisten. Wie kam es dazu, dass Jeremy mich aus heiterem Himmel gefragt hatte, ob ich mit ihm zu diesem Fest wollte? Bei der Vorstellung dort aufzutauchen, in einem Anzug, in dem ich mich fühlte wir ein Anderer und all diesen Menschen in ihrer sorgenlosen Welt, wurde mir schlecht. Aber vielleicht hatte Jeremy recht und ich würde jemanden treffen, der mir für meine Zukunft nützlich seinen könnte.

Ich schloss meine Augen und vergrub mein Gesicht in meinen Händen, die entfernt nach Erde rochen. Wieso lud er gerade mich ein? Er hatte erwähnt, dass die anderen, die in deren Augen ich ein Niemand war, bloß wegen seines Geldes mit ihm befreundet seien. Aber wie kam er dann darauf, ausgerechnet mich zu fragen? Er hatte schließlich auch noch Kyle. Außerdem traute ich ihm zu, dass er sich auch alleine gegen ein paar wangekneifende Omas und schnurrbarttragende Opas behaupten konnte. Es war schließlich Jeremy. Er besaß nicht bloß diese Ausstrahlung, die jedem sagte, dass man ihn lieber in Ruhe lassen sollte. Er war auch in diesem Umfeld aufgewachsen.

Ich zuckte zusammen, als sich die Mikrowelle piepsend zu Wort meldete und ich nahm die Tasse heraus und rührte einen Löffel Honig unter.

Was wären wir überhaupt? Freunde war vermutlich zu viel gesagt. Wir hatten eine Woche miteinander ausgehalten und jetzt müssten wir die Präsentation zusammen machen. Am Anfang war ich davon ausgegangen, dass er bloß so nett war, um sich eine gute Note zu sichern. Es war schließlich leichter mit jemand eine gute Präsentation zu erstellen, wenn man sich versteht und wenn das nur aufgesetzt war.
Aber wenn man das demjenigen bloß vorspielte, lud man ihn für gewöhnlich nicht auf ein Gartenfest ein und bietet ihm dann noch an, ihm einen Anzug zu leihen.
Und vor allem, was war er für mich? Zwar wurde mir übel bei dem Gedanken auf einer Feier mit lauter alten, reichen Menschen zu sein, aber gleichzeitig überwog die Wärme in meinem Bauch, bei dem Gedanken, dass er dabei sein würde, dass er mich überhaupt eingeladen hatte.
Und ich erinnerte mich nur allzu gut an das ziehende Gefühl in meiner Brust, während der Zeit in der ich Luft für ihn gewesen war. Die Sehnsucht ihn außerhalb der Schule zu sehen, wir entfernt von den Lehrern, dem Schulstoff und all den Schülern, mit denen wir anscheinend gleich wenig anfangen konnten. Überhaupt die Vorstellung mit ihm zu sprechen, seine Hand zu berühren, durch seine Haare zu fahren hatte etwas in mir ausgelöst, das sich süß und bitter zugleich angefühlt hatte. Als würde mich der bloße Gedanke an eine solche Situation von innen ausleuchten, aber das Versäumnis, dass sich ein solcher Moment vielleicht niemals ergeben würde seine heiße Klauen in mein Inneres schlagen. Was war das nur?

Ich setzte mich mit der Tasse zwischen meinen Händen im Schneidersitz auf die Couch, nachdem ich Musik angeschaltet hatte.
Ich wollte mit ihm über so vieles sprechen, so viel von ihm erfahren und zugleich hatte ich Angst, dass die Faszination und Neugier damit so plötzlich wieder verschwinden würde, wie sie aufgetaucht war. Vielleicht stellte sich heraus, dass er langweilig und oberflächlich wie die ganzen restlichen Menschen auf unserer Schule war.
Ich nippte an meiner Tasse und schmeckte die gesüßte Milch. Für einen Augenblick fühlte ich mich in meine Kindheit versetzt, wo jedes Problem mit einer warmen Tasse Honigmilch und einer Folge "Paddington Bär" gelöst worden war.

Wieso konnte es nicht immer noch so einfach sein?
Wieso musste man versuchen Menschen zu verstehen, sich auf die einzulassen und versuchen sich nicht von ihnen umbringen zu lassen, während man nicht einmal wusste, wie man ihnen gegenüber stand?
Ich schaltete den Fernseher an und versuchte J.D. und Dr. Cox wenigstens für eine Stunde meine Gedanken verstreuen.

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Endlich ein neues Kapitel. Puh. Hatte wegen meines schlechten Gewissens schon schlaflose Nächte.

Und ich habe mehr Absätze gelassen, da jemand meinte, das sei besser zum Kommentieren und in diesem Kapitel auch ein Zeitsprung ist.

× Messed & Broken Hearted ×Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt