Jeremy #12

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Ein Schlag ließ mich aus einem wirren Traum hochschrecken, der immer noch mit langen Fingern nach mir griff, aber umso mehr ich mich anstrengte mich zu erinnern, verschwamm er. Im fahlen Mondlicht, das durch das Fenster ein Viereck auf den Zimmerboden malte bewegte sich ein Schatten und richtete sich auf. Es war Jérôme. Anscheinend war er auf dem Stuhl eingeschlafen und umgekippt. Er regte sich, das Mondlicht fing sich in seinen Haaren und warf Schatten über seine Augen. Ich seufzte und setzte mich auf. Er sah mich an. "Kopf angeschlagen?" Meine Stimme klang ungewohnt in der Dunkelheit. Er schüttelte matt den Kopf. Es sah aus wie ein verwischender Schatten und ein paar schlaftrunkene Gedanken drückten gegen meine Schläfen, aber ich schob sie zur Seite. Sein Gesicht sah umwoben von den Schatten aus wie das eines Engels. Erst als er blinzelte und sich durch die Haare fuhr wurde mir bewusst, dass ich ihn angestarrt hatte. Ich schob es auf die Müdigkeit. "Kann ich ins Bett kommen?", nuschelte er; sein Blick noch verschleiert vom Schlaf. Die Worte schienen zu laut. Ich nickte knapp. Wärme schlug über mir zusammen. Er kuschelte sich unter leisem Rascheln neben mir ins Bett. Es war immer noch zu klein für uns und am liebsten hätte ich ihn gebeten sich anders herum hinzulegen. Aber ich hatte keine Lust während des Schlafens seine Füße im Gesicht zu haben. Also schwieg ich und versuchte in dem Grau sein Gesicht auszumachen. Aber er hatte schon seine Augen geschlossen und atmete wieder friedlicher. Ich legte mich hin und schloss ebenfalls für Augen. Kalte Klauen bohrten sich in meine Brust. Ich wusste nicht, ob es an den Eindrücken des Traumes oder der Finsternis um mich herum lag, die alles gefährlicher und größer erschienen ließ, so als würde in ihr etwas Unberechenbares lauern. Manchmal genoss ich das kribbelnde Gefühl, wenn ich in der Dunkelheit alleine war, aber gerade wünschte ich mir, ich könnte es einfach weg wischen. Ich zuckte erschrocken zusammen und riss die Augen wieder auf, als er sich an meine Schulter schmiegte. Er murmelte etwas, das wie Mom klang und seine Haare kitzelten mich an dem Ohren, am Hals und sogar an der Wange. Sie rochen nach Mandarine, was wahrscheinlich an seinem Duschgel lag und Haselnüssen. Der Geruch war schön. Irgendwie heimelig. Ich musste an die kalt weißen, sterilen Wände bei meinen Eltern denken. Den immer kühlen Marmorplatten und die großen Fenster, durch die aber bloß gerade so viel Licht zu fallen schien, dass das Weiß der Wände auch vollkommen zur Geltung kam. Ich schloss wieder die Augen. Wollte die Gedanken vertreiben. Sie waren nicht gut. Ich drehte mich auf die andere Seite, mit dem Gesicht zu der rauen Wand. Sein Kopf glitt mit einem Seufzen von meiner Schulter. Ich wollte meine Ruhe haben. Die Gedanken abstellen und einschlafen. Vielleicht sogar für immer. Diese Welt schien wie ein großer grauer Klumpen. Verdammt dazu vor sich hinzuvegitieren. Und ich mitten drin. Ich war gerade dabei meine Gedanken wieder in die schattenhafte Welt des Schlafs entgleiten zu lassen, als etwas gegen die Fensterscheibe stieß. Leise und wie ein fernes Klack aber es reichte, um mich wieder kerzengerade und hellwach im Bett sitzen zu lassen. Ich sah zum Fenster, woher das Geräusch gekommen war, es hatte wieder begonnen zu regnen, und verfluchte den Ast, der dagegen gestoßen war. Doch davor bewegte sich etwas, das um einiges zu flauschig aussah, um ein Ast zu sein. Vorsichtig, darauf bedacht Jérôme nicht zu wecken und auch nicht an seine eiskalten Füße zu kommen, schlich ich zum Fenster und schob es hoch. Wind und Regentropfen piecksten mir in die Wange. Elegant sprang eine Katze mit einem leichten Aufprall uns Zimmer und schmiegte sich mit ihrem kalten und nassen Fell gegen meine nackten Beine, von denen aus sich eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper zog. Ihre Augen glänzten in der Dunkelheit und ihr Schnurren klang wie ein Danke. Obwohl die Welt vielleicht ein grauer, undefinierbarer Klumpen war, gab es doch so viel schönes. Ich ging in die Knie, zog mein T-Shirt aus und rieb die Wassertropfen aus ihrem hellen Fell. Sie schloss die Augen, presste sich noch enger an meine Beine und schnurrte. Als ich mein T-Shirt in eine Ecke schmiss und sie streichelte, setzte sie sich hin und putzte sich, nicht ohne weiter zu schnurren. Dann stolzierte sie an mir vorbei, als habe sie das Interesse an mir verloren und legte sich am Fußende zusammengerollt auf die Bettdecke, unter der sich Jérômes Körper abzeichnete. Ich stand auf, atmete einen Moment die schneidend kalte Luft ein und schloss danach das Fenster. Ich versuchte wieder ins Bett zu gelangen, ohne ihr oder Jérôme einen Ellenbogen oder ein Knie irgendwo hin zu rammen. Zu meiner Überraschung gelang es ganz gut und als ich wieder in meine Decke gekuschelt dalag, drang das Schnurren an meine Ohren und ich spürte das Fell an den nackten Füßen. Es schien, als wäre sie genau in dem Moment gekommen, als sie gemerkt hatte, dass ich etwas brauchte, um nicht völlig verrückt in diesem Zimmer mit diesem Jungen zu werden. Ich seufzte zufrieden. Die Wärme der Decke umschloss mich und Jérômes Atmen ging tief und gleichmäßig genau wie das Schnurren. Vielleicht sollte ich ab morgen beginnen ihn entweder im Bett schlafen zu lassen oder konsequenter damit zu sein, dass er auf dem Boden bleiben sollte. Im Halbschlaf spürte ich weiche Tatzen über meinen Körper wandeln und ein Fellknäul kuschelte sich an meine Wange. Selbst wenn ich sie hätte wegschieben wollen, wäre ich viel zu erschöpft dazu gewesen und glitt in einen dunklen, beruhigenden Schlaf.

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Also Katzen werdet ihr wahrscheinlich in jedem meiner Bücher irgendwo mindestens einmal finden.

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