Teil 16 Andy

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Die nächsten Tage zeigten Dallas vor allem eins: dass er sich selbst viel zu wenig kannte. Wenn er geglaubt hatte, er könne seine Erlebnisse in Lanark dadurch vergessen, dass er sich bis über die Ohren in Arbeit stürzte, dann lag er falsch. Egal wie schön und spektakulär die Highlands und ihre Fotomotive auch waren, früher oder später kam der Moment, wo er sich in dieser Natur einfach nur winzig und irgendwie verloren vorkam. Er war allein und er hatte es satt, allein zu sein. Sein Team war in allem sehr hilfreich und verständnisvoll. Wenn er plötzlich einen launenhaften Umschwung bekam und weg oder weiter oder woanders hinwollte, stellten sie keine Fragen. Allenfalls bemerkte er, dass sie sich wissende Blicke zuwarfen. Aber was konnten sie schon wissen? Einmal sah Dallas ein kleines Mädchen mit roten Gummistiefeln in einer Pfütze spielen. Sie hatte Papierschiffchen gebastelt und ließ sie treiben. Was ihn daran zunächst faszinierte, war die Selbstvergessenheit, mit der sie spielte und ein Schiff nach dem anderen in den sicheren Untergang trieb. Und da war nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen ihr und Dugan, nur die Gummistiefel. Dallas fotografierte sie eine ganze Weile, bis ihre Mutter kam, um sie von der Straße zu holen. Sie schaute Dallas irgendwie vorwurfsvoll an und brachte die Kleine ins Haus. Da erst viel ihm auf, wie freakig das Fotografieren gewirkt haben musste. Janice hielt ihn davon ab, der Mutter zu folgen, um alles zu erklären. „Dann kommst du erst recht wie der Ober-Stalker rüber", erklärte sie nur und da hatte sie wohl Recht.

Ein anderes Mal fotografierte Dallas einen Hütehund, der nur noch drei Beine hatte, aber in seiner Aufmerksamkeit und Beweglichkeit einem gesunden Tier bestimmt in nichts nachstand. Er trieb die Schafe zusammen und hielt sie zusammen, ganz so, wie es ihm mit einer Pfeife angewiesen wurde. So wie das Tier aussah, war es möglicherweise ein Wolfsmischling und seine Augen blitzten manchmal auf, wie die von Dugan. Nachdem ihm dieser Gedanke gekommen war, packte Dallas eilig zusammen und ging mit den anderen ins Pub. Dort wollte er sich betrinken, bis er die Augen vergessen hatte. Zwei Stunden später war das fast so weit gewesen, doch als sie alle auf ihren Zimmern waren, ließ sich nicht überhören, dass Tariq und Janice im Nebenzimmer wohl doch endlich zur Sache kamen. Dallas fluchte, weil die Zimmer so hellhörig waren und schaltete den Fernseher an. Die BBC Nachrichten mit der Untermalung vom Nebenzimmer wirkten irgendwie surreal oder Dallas war wirklich zu betrunken für die Realität. Er begann, nach seinem Handy zu kramen und wählte Andys Nummer.

„Hallo, Andy hier." Das war seine Stimme, Dallas erinnerte sich sofort.

„Ja, hi, hier ist Dallas. Du hast mir deine Nummer gegeben. Rotes Haar..."

„Aber ja, ich erinnere mich an dich. Heißer Typ aus Edinburgh. Wann bist du in der Stadt?"

Dallas hatte sehr gehofft, dass es so laufen würde. Keine Komplikationen, nur zwei Männer, die auf Männer stehen und wissen, was sie wollen. „Übermorgen bin ich in Inverness. Wir sind auf der Rückfahrt."

„Cool. Kommst du zum Club oder soll ich gleich zu dir kommen?"

„Ich komme zum Club. Ich seh' dich gern tanzen."

„Da freu ich mich schon."

„Ich mich auch."

„Dann bis übermorgen."

„Ja, bis dann."

Dallas lehnte sich zurück und erinnerte sich an Andy. Lebenslustig und jung. Das war das Auffälligste an ihm. Andy hatte kein bisschen von der seltsamen Schwermut, die Dugan wie ein Mantel umschloss. Bestimmt würde es ihm gut tun, wenn sie sich trafen und tanzten und lachten und Sex hatten und es würde helfen, Dugan zu vergessen.

Highland SagaWhere stories live. Discover now