Teil43

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Als der Abend näher rückte, ging Dallas mit Robert und Tariq auf die Straßen, um ihnen ihre Positionen zu zeigen. Tariq würde an einer T-Kreuzung warten und mit Dallas in eine Sackgasse laufen, während Dugan im geparkten Wagen die Verwandlung vornahm. Dann würde er in die Sackgasse folgen und Robert würde die Polizei holen. Dugan nutzte die Zeit, um sich um die Kater zu kümmern. Die würden sie nach Lanark mitnehmen. Dort war genug Platz. Er wusste, dass die Kater verstanden hatten, dass er und Dallas Freunde von Andy waren und er hatte sie wissen lassen, dass Andy nicht zurückkommen würde. Er kraulte sie ein bisschen, denn natürlich trauerten sie auf ihre Art um Andy. Dann gab er ihnen Futter und begann, sich für den „Auftritt" am späten Abend vorzubereiten. Er ging ein paar Moves und Posen vor dem Spiegel durch. Irgendwie kam er sich dabei noch immer seltsam vor, seltsamer jedenfalls, als in Wolfsgestalt. Sein Körper schien zu ahnen, dass er sich heute noch verwandeln müsste. Dugan konnte ein Kribbeln in Armen und Beinen spüren und als er genauer hinsah, zitterten seine Hände etwas. Beruhig dich einfach, du hast nicht wirklich vor jemanden umzubringen. Du treibst sie nur vor dir her und kreist sie ein. Das alles war leichter gesagt als getan. Irgendetwas in Dugan rebellierte auch gegen die Idee, dass das Leben von Dallas dabei auf dem Spiel stehen könnte. Aber Dallas war groß und kräftig, der könnte zuschlagen, wenn es nötig war. Und er selbst? Ja, verdammt, wenn es darum ging, Typen abzuwehren, die unschuldige junge Männer totschlugen, ja, dann könnte Dugan das. Er ging ins Bad, an die kleine rote Tasche, in der sich noch zwei Joints befanden und nahm einen in die Hand. Sollte er ihn einstecken und im Club ein paar Züge nehmen? Das Zeug half gegen die Schmerzen bei der Verwandlung. Es würde auch seine Sinne etwas benebeln. Die Sinne des Wolfes ganz gewiss deutlich weniger als die des Menschen. Dugan entschied, dass er es nicht riskieren wollte und legte den Joint zurück. Die höchstmögliche Wachsamkeit war sicherlich dem Betäuben vorzuziehen. Als nächstes ging er nach oben zu Andys Schrank. Wenn die Schläger ihn und Tariq für den selben halten sollten, dann müssten sie sich wenigstens ähnlich anziehen. Natürlich hatte Andy nur ein Flash T-Shirt, aber da er eine Vorliebe für Comic- oder Band- T-Shirts hatte, fand sich da noch ein weiteres Shirt in gelb, wenn auch von den Sex Pistols. Die Typen würden sowieso nur den Rücken sehen, bis es dann zu spät war. Im Dunkeln wäre es auch egal, ob Tariq blaue oder schwarze Jeans trug. Da Tariq nicht wesentlich kleiner als Dugan war und auch schwarzes Haar hatte, müsste das für eine Täuschung während einer Verfolgung ausreichen. 

Zurück in Andys Wohnzimmer setzte Dugan sich zu den Katern, die es sich auf der Couch bequem gemacht hatten. Er streichelte Geronimo neben sich, während Cochise auf seinen Schoß kam und sich dort zusammenrollte. Beide schnurrten und Dugan nutzte diese Ruhe vor dem Sturm, um sich die Dinge in Erinnerung zu rufen, die er in dem Krankenzimmer kurz vor Andys Übergang wahrgenommen hatte, als er seine Stirn an die von Andy gelegt hatte. Das war hauptsächlich Verwirrung gewesen. Verwirrung, weil er gehen musste und nicht länger bleiben konnte. Ein Gefühl wie getröstet zu sein, denn er war nicht mehr allein. Schmerz, weil er wusste, dass Dallas da war und er ihn zurücklassen musste. Angst, weil er nicht genau verstand, was da mit ihm geschehen war. Stimmengewirr, Männergebrüll, Männer, die ihn beschimpften, die auf ihn eintraten und schlugen. Warum? Es roch nach Bier und nach Zigaretten und einer von denen trug Cowboystiefel. Ein anderer trug große Ringe, die Andys Wange zerschnitten. Einer von denen trug einen Schnauzbart und hatte schiefe Zähne... Dugan schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen. Diese Erinnerungen waren nicht seine eigenen und sie waren schrecklich. Er holte tief Luft. Er wollte nicht noch mehr davon. Das musste reichen, um die Typen ganz sicher zu identifizieren. Es waren vier. Chesterfield-Raucher, Cowboy, Ringträger und Hackfresse. 

Eine Weile saß er jetzt nur da und kraulte die Kater, dann überkam ihn eine Heißhungerattacke. Das war nur ein weiteres Anzeichen dafür, dass sich sein Körper für die bevorstehende Verwandlung bereit machte. Zum Glück hatte er genug eingekauft und ging in die Küche. Vier Schokoladenmuffins, ein Glas Erdnussbutter und einen halben Liter Vanilleeis später, hörte er endlich wie Dallas und die anderen beiden zurückkamen.

„Da seid ihr ja wieder", begrüßte Dugan sie im Eingang. Er legte Dallas direkt einen Arm um die Mitte. Sie waren quasi das erste Mal seit der Wiederkehr von Dallas für etwas mehr als zwei Stunden getrennt gewesen und schon war es Dugan wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen.

„So besitzergreifend?", flüsterte ihm Dallas ins Ohr und biss einmal, unbemerkt von den anderen, beinahe zärtlich ins Ohrläppchen. Dugan lächelte wissend. Dallas hatte ihn auch vermisst. 

„Wie sieht es um den Club aus?", fragte Dugan sogleich.

„Alles ruhig, das geht erst in ein bis zwei Stunden richtig los", gab Tariq an.

Robert nickte bestätigend. „Wir haben noch ein wenig Zeit. Aber Dallas hat uns unsere Plätze gezeigt."

„Sehr gut. Dann geht's bald los." Dugan spürte förmlich, wie sich das aufgeregte Kribbeln in seinen Gliedern verstärkte.

„Ist bei dir alles bereit?" Dallas schaute etwas besorgt, aber Dugan lächelte jetzt selbstsicher.

„Sehr bereit sogar. Tariq, im Wohnzimmer liegt ein gelbes Shirt für dich."

„Cool." Tariq ging direkt, um es anzuziehen, dann gingen alle nochmal in die Küche, machten kurzen Prozess mit den letzten Muffins und Sandwiches und wiederholten ein paar Details des Plans, bis Dallas auf die Küchenuhr deutete und sagte, es werde Zeit. Wie besprochen würde er sich als erster auf den Weg zum Club machen. Dugan ging mit ihm zur Tür. „Versprich mir, dass du kein unnötiges Risiko eingehst. Du tust gar nichts, bis ich komme und wir tanzen. Wenn du vier Typen siehst, einer mit Schnauzer, einer mit Ringen, einer mit Cowboystiefeln und mindestens ein Raucher, das sind sie."

„Woher weißt du das?"

„Von Andy."

Dallas schaute seinem Werwolf- Freund in die Augen. Ja, er wusste so etwas und er sagte die Wahrheit, egal wie seltsam die auch klang.

„Ich liebe dich und du vor allem, sei nicht leichtsinnig."

„Bin ich nie. In einer Viertelstunde komme ich nach."

Es folgte ein Kuss, der vor allem Glück bringen sollte und mit dem sie sich versicherten, dass sie sich an das halten würden, was sie gerade versprochen hatten. Dallas schloss die Augen und öffnete seine Lippen. Dugan jedoch küsste mit offenen Augen und mehr als geschärften Sinnen. Dallas roch so gut, er schmeckte noch besser, sein Atem rauschte in Dugans Ohren und er fühlte sich viel zu menschlich an, wenn menschlich auch gleichzeitig verletzlich bedeutete. Mit einem Mal schmeckte Dugan Blut. "Ssss", zischte Dallas, "was machst du?" Dugan zuckte erschrocken zurück. Er musste ihn an der Lippe gebissen haben.

„Ich..."

„Ist okay, ich weiß schon. Bis gleich." Dallas lächelte zum Abschied. Sein Haar sah roter aus als sonst oder es kam Dugan nur so vor.

"Bis gleich. Pass auf dich auf."


Highland SagaWhere stories live. Discover now