Teil 5 Die Prophezeihung

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Der nächste Morgen wartete mit Sonnenschein auf Dallas, was gerade in dieser Gegend der Welt eine echte Seltenheit war und noch lange keine Garantie für insgesamt sonniges Wetter den ganzen Tag über. Gut gelaunt und halbwegs ausgeschlafen wickelte er sich in die Bettdecke und ging an sein Notebook. Er begann damit Orte und Sehenswürdigkeiten zu googeln, die für ihn vielversprechend aussahen. Dann wieder kam ihm der Gedanke, dass es nicht die Art von Ort war, die er eigentlich suchte, wenn er sie schon googeln könnte. Vielleicht fände man unbekannte Orte nur, wenn man gezielt die leeren Flecken von Google Earth aufsuchte oder am Ende eines Tages einfach irgendwelche Wege einschlug, die womöglich nur mit dem Allradwagen zu bewältigen waren. Das Letztere gefiel ihm von der Idee her. Wer weiß, was man da finden könnte. Als nächstes checkte er sein Handy. Colin hatte ihm eine Nachricht hinterlassen. Dallas war noch nie der Typ gewesen, der nach dem Schlussmachen nicht wirklich Schluss machte. Colin offenbar schon. Aus reiner Neugier hörte er sich die Nachricht an, nur um sich gleich darauf zu ärgern. Colin war offensichtlich betrunken, im Hintergrund lief irgendwelche Partymusik und irgendjemand, eine männliche Stimme, sagte, es sei keine gute Idee, der Anruf. Colin hinterließ trotzdem ein paar wüste Beschimpfungen. Duhh biss so ein blööder Aarsch, fikkk dich. Glaub jaaa nicch, dass duu nochmaal bei mir landen könnntesst, duuu herzzzloses Monsster, duuu beziehungsgestööörter Schotten-Aarsch... Dallas drückte den Rest weg und löschte den Kontakt. Dann überlegte er kurz, ob er sich bei Andy melden sollte. Sexy Andy. Er könnte fragen, ob er gut zur Arbeit gekommen war. Nein. Lieber würde er sich mit ihm verabreden, wenn sie wieder nach Inverness kamen. Und er war kein beziehungsgestörtes, herzloses Monster. Er war auf der Suche. Zehn Minuten später war er beim Frühstück mit dem Team.

Der Tag verlief so, wie sie es sich vorgenommen hatten. Janice briefte wie immer -zu lange, dann schlug Robert vor, das Fyrish Monument, eine sehr spektakulär auf einem Hügel gelegene Ruine, aufzusuchen. Damit waren alle einverstanden. Sie würden dorthin wandern müssen, wusste Robert, was etwa zwei Stunden dauern würde. Janice reagierte nicht begeistert. „Zwei Stunden?" „Wo bleibt dein Sinn für's Abenteuer?!" Tariq war offenbar ganz versessen darauf, Janice auf einem zweistündige Fußmarsch zu Diensten zu sein. Sie schaute noch immer kritisch und schien zudem auf eine Reaktion von Dallas zu warten. „Du solltest dir vorher ein paar feste Schuhe besorgen, die auch Regen aushalten", schlug er vor. „Bist du immer so- praktisch?", gab sie zurück und Dallas wusste nicht, ob das eine Kritik oder Einsicht oder gar zweideutig war. Sie schaute eher amüsiert als angenervt und wandte sich dann lächelnd an Tariq. „Wie wär's, wenn du mich begleitest?", bot sie an. Das war, soweit er beurteilen konnte, ein Punkt für Tariq. Dass es tatsächlich weibliche Taktik und der Versuch war, ihn eifersüchtig zu machen, kam ihm nicht in den Sinn. Nach dem Aufbruch sollte Robert erst zum nächsten Outdoor- Laden fahren, was bedeutete, wie Janice durch googeln herausfand, dass sie zurück nach Inverness müssten. Dallas fand das auch okay. Dann würde er allein zu diesem Monument wandern und sie könnten ihn dort abholen, wenn sie aus der Stadt zurück waren. Danach konnten sie immer noch weiter fahren bis zum Gasthof am Fuße des Ben Wywis, der auf der Route der BBC Locations lag. Robert sah nicht gerade sehr angetan aus von der Vorstellung, Tariq und Janice ohne Dallas in die Stadt zu fahren, aber die Vorstellung von Janice ohne feste Schuhe, schien ihm noch weniger zu gefallen. Als Dallas letztendlich am Ausgangspunkt des Wanderweges zum Fyrish Monument ausstieg, ließ Robert ihn wissen, dass er gut auf sich aufpassen solle und er selbst mit den Turteltäubchen in fünf Stunden zurück wäre. Dallas grinste, winkte noch einmal in den Wagen und machte sich dann auf. Allein. Das würde ihm sicher guttun. Er hatte einen kleinen Daypack dabei und seine Kameraausrüstung in einer Tasche und irgendwie freute er sich so richtig auf den Anstieg und das schottische Wetter, egal wie es weitergehen würde.

Es dauerte keine zwei Stunden, dann war er an dem Monument angekommen. Es war ein recht hohes, mächtiges Mauerwerk und er vermutete, dass es wohl die Reste einer alten Kathedrale wären. Allerdings sah es dafür, wenn man näher kam, zu neu aus und es gab auch keine weiteren Mauerreste. Dallas setzte sich erstmal für ein Picknick auf einen Felsen und genoss die Aussicht. Die Weitsicht war phänomenal und die endlose Landschaft um ihn herum gab ihm zum ersten Mal seit dem Anfang ihrer Reise das Gefühl, wirklich in Schottland angekommen zu sein. Er atmete tief durch und genoss mit jedem Atemzug die frische Luft. Dann holte er seine Kamera heraus und begann zu fotografieren. Zur einen Seite sah man die Förde von Cromarty, deren Wasser das Licht reflektierten, zur anderen Seite sah man in der Ferne die Erhebung des Ben Wyvis, der aussah, als läge dort schon etwas Schnee. Erst nach einer ganzen Weile bemerkte Dallas, dass er nicht mehr allein war mit seiner Kamera. Eine Frau in einem roten Anorak hatte seinen Picknickplatz eingenommen und wartete offenbar ab, bis sie ihm nicht mehr ins Bild laufen würde. Sie hatte ein paar Walking-Stöcke dabei und einen Collie an der Leine. Der schien sich für Dallas' Rucksack zu interessieren. „Danke für's Warten", rief Dallas ihr zu, „ich bin fertig." Sie nickte und ließ den Collie von der Leine, der jetzt für sich das Monument erkundete. Dallas ging zu der Walkerin. Als er näher kam, fiel ihm auf, dass sie nicht mehr jung war und so fand er es ganz erstaunlich, dass sie allein mit dem Hund hier unterwegs war. „Sie sind wohl keine Touristin, Ma'm."

Highland SagaWhere stories live. Discover now