Teil 22 Der Wolf

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Als Dallas sich wieder einigermaßen gefasst hatte, öffnete er den Käfig und trat heraus. Er ging neugierig zum Fenster, aber natürlich war dort nichts zu sehen, außer dem Vollmond. Was mach' ich hier bloß, kam ihm in den Sinn. Aber die Antwort wusste er. Er war seinem eigenen Instinkt und dem Rat von Andy gefolgt, weil er eben nicht ganz dicht war. Das brachte ihn zur nächsten Frage, wie könnte ich das meiner Familie erklären? Hier fiel ihm wirklich keine Erklärung ein. Ihm wurde kalt und er schloss das Fenster und wandte sich zum Raum. Da sah er, dass Miss Fitzgibbons in der Tür stand. Sie wirkte nicht mehr so aufgelöst wie zuvor, aber sie hielt ein Tablett und Dallas konnte sehen, dass ihre Hände zitterten. 

„Kommen Sie rein, er hat mich nicht gefressen." Das klang voll dämlich!

Sie schien das nicht zu kümmern. „Das sehe ich. Das war auch nicht zu erwarten." Sie deutete auf den Käfig. „Eher dachte ich, dass Sie vielleicht nach der Polizei rufen." Sie versuchte eine Art aufmunterndes Lächeln und stellte das Tablett auf den Schreibtisch. Ihr Zögern verriet, dass sie auf eine weitere Reaktion von Dallas wartete. Das erste, was ihm einfiel, war, nach mehr Informationen zu fragen. 

„Wo kommt dieser Käfig her?" 

Er war nicht sicher, ob das eine gute Frage war, aber das Ding war ihm nicht geheuer. Fitzgibbons hatte allerdings kein Problem mit der Antwort. „Der ist schon länger hier als ich, seit dem neunzehnten Jahrhundert. Sein Urgroßvater hat ihn in einem Raum hinter der Wandvertäfelung versteckt. Sehen Sie." Sie öffnete eine bisher unsichtbare, geheime Tür. Dahinter war ein kleiner Raum, der Platz für den Käfig bot und Dallas beschlich das ungute Gefühl, dass der Raum noch mehr zu verbergen hatte. Er schaute sich um, aber da waren nur leere Haken an den Wänden. 

„Was war hier noch?", rutschte ihm heraus.

„Da bin ich selbst nicht sicher. Vielleicht Handschuhe oder Helme, Ketten, sowas eben..."

„Shit."

Sie hob nur eine Augenbraue und schloss die Tür wieder.

„Es ist also wirklich so, wie die Leute im Ort erzählen", begann Dallas neu, „die McLanarks verwandeln sich in Wölfe. Immer schon?"

„Das weiß keiner, außer Master Dugan selbst vielleicht. Ich verstehe das so, dass es nicht jeden Jungen in der Familie trifft. Aber es trifft nur die Jungen und sie müssen lernen, damit umzugehen. Dafür ist der Käfig."

Dallas reichte das fürs Erste. Er spürte, wie seine Knie weich wurden. Fitzgibbons schien das zu bemerken und wechselte jetzt das Thema. 

„Wie wär's mit Tee und einer Stärkung in der Küche? Master Dugan wird erst zurückkommen, wenn der Mond untergeht. Das ist heute so gegen zwanzig nach vier."

Dallas wunderte sich kurz über die exakte Aussage, aber man musste sich wohl an die Zeiten gewöhnen, wenn man mit einem Werwolf lebte. Wenn man mit... Ja, er hatte das wirklich gedacht. Also war es möglich, musste es ja sein, denn ausgestorben waren die McLanarks ja eindeutig nicht. Stillschweigend folgte er der Haushälterin in die Küche, wo auch Mr. Fitzgibbons am Tisch saß. Er schaute prüfend zu Dallas, war aber sofort zufrieden mit dem, was er sah. 

„Tja, Laddy, jetzt weißt du es", sagte er dann nur und begann, eine Tasse mit Tee zu füllen.

Dallas hätte jetzt auch etwas Stärkeres als Tee genommen, setzte sich und nahm die heiße Tasse fest in seine Hände. Das tat gut. Er nahm einen Schluck, dann kam ihm die nächste Frage in den Sinn. „Wie lange geht das schon so?"

Die Geschwister sahen sich an, dann antwortete sie. „Es begann in der Pubertät. Und wie alles andere auch, kam es nicht von heute auf morgen. Es begann mit Schlafwandeln, was wohl das erste Zeichen ist. Dann kamen krampfartige Zustände bis zur Ohnmacht und Fieberattacken, schließlich, mit kaum mehr als sechzehn Jahren, die erste Verwandlung."

Dallas sagte nichts, er versuchte sich vorzustellen, wie das für Dugan gewesen sein musste. Wenn er an sich selbst dachte, dann kam mit der Pubertät die Gewissheit, dass er auf Jungs und nicht auf Mädchen stand. Zum Glück hatte er sich auch von einem ungelenken, zu blassen, von Wachstumsschüben geplagten Bengel in einen attraktiven, kräftigen, jungen Mann weiterentwickelt. Er hatte sowas wie sein Gleichgewicht gefunden. Um wie viel verstörender musste diese Zeit für Dugan gewesen sein, der feststellen musste, dass er nicht ganz menschlich war? Der dieser Verwandlung ausgesetzt sein würde, für den Rest seines Lebens?

„Noch einen Tee?" Fitzgibbons schenkte nach. Dallas hatte nicht bemerkt, dass er schon ausgetrunken hatte.

„Wie wird man mit so etwas fertig?", fragte er dann.

„Indem man keine Wahl hat", antwortete der alte Fitzgibbons. „Wenn du etwas für Master Dugan tun willst, Laddy, dann musst du es heute tun. Wenn du glaubst, dass du klarkommst, mit dem was er ist, dann bleib. Sonst gehst du besser und kommst nicht wieder." Der Alte blickte ihn ernst an.

Dallas nickte. Er sah das genauso. „Die Entscheidung ist längst gefallen", brachte er dann heraus, „die Leute aus meinem Team haben diese Geschichten erzählt und ich habe ihn mit den Wölfen gesehen und seine Augen und wir hatten eine wilde Nacht. Im Grunde wusste ich es und bin doch zurückgekommen. Mein Verstand hat sich nur gegen die Wahrheit gewehrt."

„Ich bin froh, das zu hören", sagte jetzt Miss Fitzgibbons und schaute erleichtert auch zu ihrem Bruder. Der nickte mit einem Lächeln und schob Dallas einen Teller mit Keksen hin. Dallas griff zu und fühlte sich zum ersten Mal seit vielen Tagen erleichtert. Was machte das schon aus, wenn sich sein Partner an zwei oder drei Nächten im Monat in ein wildes Tier verwandelte, wenn er in den anderen Nächten ganz ihm gehörte?

Nichts.

?!?!

Highland SagaTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang