Teil 29 Inverness

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Es verging keine Stunde, dann fuhren die beiden bereits im Landrover auf der Straße nach Inverness. Keiner von beiden hatte konkret irgendeinen Plan, aber das würde sich finden, da waren sie sicher. Dallas war noch immer völlig neben sich, also fuhr Dugan. Nach einer weiteren halben Stunde hielt er es für an der Zeit, dass sie sich darüber verständigten, was genau Dallas mit ‚dahin' gemeint hatte.

„Sagst du mir, wo wir eigentlich genau hin wollen?", fragte er mit einem kurzen Blick zu seinem Beifahrer, der gedankenverloren aus dem Seitenfenster starrte.

„Wie?" Dallas löste den Blick von der vorbeiziehenden Landschaft und schaute herüber.

„Sollen wir bei der Polizei anfangen? Oder beim Krankenhaus?"

„Ich will zu Andy", stellte Dallas kurz und knapp fest. Also zum Krankenhaus.

„Alles klar. Ich weiß, wo das ist." Dugan würde keine andere Meinung äußern, nicht bei dem Zustand, in dem Dallas sich befand. Allerdings war er nicht wirklich sicher, ob das die beste Idee war. Was, wenn man sie dort gar nicht zu Andy durchlassen würde? Was könnten sie sagen? Wohl kaum die Wahrheit, oder? Dallas hatte genau zweimal einen One-Night-Stand mit Andy und er selbst war dabei, um seinem Freund beizustehen? Würde man ihre Personalien überprüfen, wenn sie sich als Andys Brüder ausgaben? Sollte Dugan die Laird of Lanark- Karte ziehen? Vielleicht wäre die Polizei die bessere Wahl. Wenn sie dort die Aussage von Dallas aufgenommen hatten, könnte jemand von denen mit zum Krankenhaus kommen... Auf keinen Fall wollte Dugan daran denken, dass Dallas nur knapp einer Attacke derselben Angreifer entkommen war.

„Das ist alles meine Schuld", begann Dallas plötzlich.

„So ein Unsinn. Wie kommst du darauf?"

„Wenn die Typen uns nicht nach dem Club zusammen auf der Straße gesehen hätten, dann wären sie wohl nicht auf die Idee gekommen."

Dugan glaubte nicht, was er da hörte. „Das ist doch nicht dein Ernst. Wenn man euch auf der Straße zusammen sieht, ist das kein Grund auf euch loszugehen."

„Nein, natürlich nicht, aber der Auslöser dafür."

„Woher hättet ihr wissen sollen, dass euch solche Schwulenhasser verfolgen?"

Dallas schien kurz zu überlegen. „Keine Ahnung. Ich meine nur, wenn wir nicht so offensiv geflirtet hätten, dann wäre das vielleicht nicht passiert. Außerdem hatte ich dieses ätzende Gefühl, ihn nicht allein lassen zu dürfen. Ich habe ihm meine Schlüssel gegeben und er wollte in meiner Wohnung in London für 'ne Weile untertauchen."

„Und da ist er gar nicht angekommen."

„Nein. Dabei hatte ich gehofft, das sei der Grund, warum er keine Nachricht schickt. Er ist unterwegs... Ich war so dumm!"

„Nicht immer gleich mit dem Schlimmsten zu rechnen, ist noch lange nicht dumm", versuchte Dugan zu trösten. Aber jetzt verstand er natürlich, dass Dallas nicht nur geschockt war, sondern sich auch noch Vorwürfe machte. Was ihm nicht ganz klar war, war, was ihm Andy eigentlich bedeutete. Er war ganz klar mehr als nur ein One-Night-Stand. Dugan zögerte mit der Frage, die sich gleich darauf erstmal erledigt hatte, denn Dallas stellte das Radio an. „Ich brauche Musik", erklärte er und Dugan ließ es gut sein.

Als sie Inverness erreichten, fiel Dallas ein, dass er nicht mal Andys Nachnamen kannte. So würde man sie bestimmt nicht zu ihm lassen. Das Einzige, was ihm dazu einfiel war, erst bei Andys Wohnung vorbeizufahren. Dort würden sie mehr herausfinden. Als sie dort anhielten, zerschlug sich der letzte Rest Hoffnung, dass Dallas sich vielleicht getäuscht hatte. Auf der Klingel stand A. Fraser, aber niemand öffnete und eine Nachbarin, die aus dem Fenster schaute, rief ihnen zu, dass der Mann, der dort wohnt, im Krankenhaus sei. Wenn sie seine Freunde wären, dann sollten sie sich besser um die Katzen kümmern. Dallas holte tief Luft. Das war eindeutig. Er schaute Dugan an und der schlug vor, dass sie sich aufteilten. „Du fährst mit dem Taxi zum Krankenhaus und ich komme nach, sobald ich die Katzen gefangen habe."

Dallas nickte. Das klang vernünftig, auch wenn er nicht recht wusste, wie Dugan Katzen fangen würde. Aber er kannte sich ja mit Tieren gut aus. „Es sei denn, du möchtest da nicht allein hin, dann holen wir die Katzen später." Dallas nickte zweimal. Dugan kannte sich mit ihm noch besser aus als mit Tieren. Dann fuhren sie zum Krankenhaus, ohne viele Worte. Warum das so war, war schwer zu sagen. Vielleicht war es die Vorahnung dessen, was sie dort erwarten würde, vielleicht war es das Ablassen vom letzten bisschen Hoffnung, dass Dallas sich getäuscht haben könnte und es Andy gut ging. Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude überkam Dallas das seltsame Gefühl, dass er nicht richtig atmen konnte, so als würde ihm der Hals zugeschnürt. Er musste ein paarmal tief Luft holen, um sich zu vergewissern, dass es Einbildung war. Dugan bemerkte das natürlich, schaute ihn prüfend an und sprach ihm Mut zu. „Kopf hoch, vielleicht ist es nicht so schlimm", füsterte er und gab Dallas einen kleinen Kuss auf die Wange. Daraufhin gingen sie zum Eingang und an die Rezeption, wo man ihnen den Weg zu Andys Station, der Intensivstation wies. Bei dem Wort Intensivstation glaubte Dallas, dass sich sein Magen gleich umdrehen würde, aber Dugan zögerte keinen Moment, bedankte sich für die Auskunft und sah ihm direkt in die Augen. Die Tatsache, dass sich sein Freund so zusammennehmen konnte, gab auch Dallas jetzt wieder Mut. Auf dem Weg zur Station kamen sie an einem Wasserspender vorbei und er zapfte zwei Becher Wasser, einen für sich, einen für Dugan. So müssten sie bereit sein. Bereiter würde er selbst jedenfalls nicht werden.

Bei der Station angekommen wandten sie sich an eine verantwortliche Krankenschwester, die alles andere als einen erfreuten Eindruck machte. „Gehören Sie zur Familie?", fragte sie.

„Nein, aber wir möchten einen Freund besuchen, wenn das möglich ist", antwortete Dugan auffallend posh und affektiert, bevor Dallas noch reagieren konnte.

„Der Patient ist in einem kritischen Zustand und wir können Sie nur hineinlassen, wenn Sie zur Familie gehören."

Das klang vernünftig und unvernünftig zugleich. Dallas holte tief Luft. „Hören Sie, es ist wirklich wichtig. Anthony bedeutet mir sehr viel und ich muss wissen, wie es ihm geht."

„Tut mir leid, so sind die Vorschriften. Wenn Sie nicht gehen, rufe ich den Sicherheitsdienst..."

„Aber das ist doch gar nicht notwendig", fiel Dugan ihr ins Wort und machte langsam einen Schritt auf sie zu, wobei er Augenkontakt mit ihr aufnahm. Auf seltsame Weise hörte die Frau auf zu blinzeln und sah Dugan an. Für einen Moment sah sie noch aus, als wolle sie etwas sagen, aber dann bekam sie einen leeren, abwesenden Ausdruck in ihren Augen. Dugan schien nur abzuwarten, ob etwas passierte. Er gab Dallas ein Handzeichen, das ihm sagte, er solle weder etwas sagen, noch etwas tun. Dann begann er langsam und überdeutlich zu sprechen. 

„Sie wollten uns gerade zu Anthony Fraser bringen", sagte er und Dallas fand, es klang wie eine Beschwörung. 

„Ich wollte...", stammelte sie unsicher. 

„...uns gerade zu Anthony Fraser bringen", vervollständigte Dugan. Da nickte sie, drehte sich um und ging den Flur entlang. Dugan schaute zu Dallas und sie folgten ihr. Der Letztere war schwerst beeindruckt von dem, was da eben passiert war. 

„Was war das?", flüsterte er zu Dugan, „hast du sie etwa hypnotisiert?"

Dugan zwinkerte ihm zu. Also ja. Dallas holte tief Luft. Letztendlich war es ja egal, wie sie zu Andy kamen und wenn es dafür irgendwelche Werwolf- Superkräfte brauchte- na dann eben so. 

Highland SagaWhere stories live. Discover now