Kapitel 48

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Entsetzt starrte ich ihn an. „Bin ich ein Mensch?", fragte ich entgeistert.

Nun lachte er und klang fast belustigt. „Natürlich. Wir sind alle Menschen. Wir haben nur einige Änderungen vorgenommen."

Ich wollte lieber gar nicht wissen, was das jetzt schon wieder zu bedeuten hatte.

Immer noch ließ ich den Fakt sacken, dass einer meiner Eltern ein Anzugträger war. Vermutlich mein Vater. Ganz bestimmt mein Vater. Ich hatte ihn nie kennengelernt, kannte ihn nur aus den Geschichten meiner Mum. So musste es sein. Mein Vater war ein verrückter Wissenschaftler, der es mit seinen Experimenten zu weit getrieben hatte.

„Kann ich – kann ich meinen Vater sehen?", verlangte ich.

Der Blonde schmunzelte mit gefühlskalten Augen. „Zurzeit nicht."

„Wie kommt es, dass Sie mir alles erzählen? Ohne dabei weggeschickt zu werden?"

„Sagen wir, ich war der Forschungsleiter. Und ich bin es geblieben."

Sprachlos rieb ich mir die Schläfen.

„Was soll ich nun genau tun?"

„Einfach zurückreisen. Vielleicht diesem lieben Herrn sein gewünschtes Buch vorbeibringen. Ein Auge auf einen gewissen Politiker haben."

„Was soll das bringen?", erwiderte ich.

„Es wird dir alles noch klar werden. In der Zukunft, nach dem Zeitpunkt in 1940, der gerade offen steht, wird sich dir eine Person offenbaren."

„Könnten Sie vielleicht deutlicher sprechen?"

„Alle Veränderungen lassen sich auf eine kleine Gruppe zurückführen. Und du musst sie stoppen."

„Hä?" Ich verstand nicht, was er sagte. Irgendjemand versuchte, die Vergangenheit zu sabotieren? Oder wäre die Vergangenheit vielleicht ganz anders verlaufen, wenn ich nicht eingegriffen hätte, oder in der Zukunft eingreifen würde? Meine Gedanken flossen zu langsam, um das Gesagte zu verarbeiten.

„Warum nennen Sie mir nicht einfach den Übeltäter?", forderte ich ihn heraus.

„Das kann ich nicht. Wenn ich es könnte, würde ich nicht um dein Vertrauen buhlen."

„Und wieso zwingen Sie mich dann nicht wieder?"

Nun wirkte er gequält.

„So viele Fragen, nicht wahr? Wir sind nicht die Antwort auf deine Ungewissheiten. Wir sind nur ein Stopp auf deinem Weg, eine Station, die dich mit den Grundlagen ausstatten kann. Wir haben dafür gesorgt, dass die Nebenwirkungen vermindert wurden. Ich gebe dir das Wichtigste mit, was du wissen solltest: deine Gabe ist nicht begrenzt. Sie ist nicht kontrolliert. Wir dachten, wir könnten sie beeinflussen. Das war ein Fehler. Du bist auf dich allein gestellt. Viel Erfolg."

Mit diesen Worten eines Kung-Fu-Meisters oder was auch immer  verblasste seine Gestalt und die Kammer in der Dunkelheit und ließ mich allein zurück im Nirvana.

„Hey!", rief ich in die Leere hinein. Meine Worte wurden verschluckt. Kein Echo kam zurück, geschweige denn eine Antwort. Das war es also, das waren alle Antworten, die mir gestattet waren. Der Typ dachte auch von sich, dass er mir nun massiv weitergeholfen hatte. Im Gegenteil. Er hatte mir verantwortungslos einfach eine Aufgabe übertragen, die er warum auch immer nicht selbst bewältigen konnte. Ich musste mich ihr jetzt stellen, obwohl ich keinen blassen Schimmer hatte, was er von mir erwartete. Verdammt.

Schweißgebadet schlug ich die Augen auf, nur um wieder von Schwärze umgeben zu sein. Hellwach starrte ich an die Decke des Himmelbetts und versuchte, alles zu verarbeiten.

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWhere stories live. Discover now