Kapitel 42

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„Wie denn auch? Es dürfte in... naja, fünfzehn Jahren erscheinen", kicherte ich.

„Wovon handelt es?"

„Ach, es ist gar nicht mal so anders als „Der Zauberer von Oz". Es geht um eine magische Welt, in der eine kleine, unbedeutende Kreatur den Auftrag bekommt, sein ganzes Reich zu retten."

„Ist das nicht schon wieder das Klischee?"

„Ja. Aber es ist eine der ersten Umsetzungen der modernen Literatur. Die Bücher sind einzigartig."

„Sind Sie sich sicher?"

„Japp. Und wenn Sie mir weiterhin nicht glauben wollen, dann sehe ich mich gezwungen, Ihnen das Buch mitzubringen."

„Das fände ich ganz vorzüglich."

„Wollten Sie darauf etwa hinaus?", neckte ich ihn.

„Vielleicht", antwortete er geheimnisvoll.

Ich wurde langsam wieder ernst. „Hören Sie, Arthur, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Die Vergangenheit... sollte Vergangenheit bleiben. Es sollte sich so wenig wie möglich ändern. Und wenn ich Ihnen das Buch bringe..."

„Belle, verstehen Sie nicht? Die Vergangenheit ist schon längst nicht mehr die, die Sie zu kennen glaubten. Warum nutzen wir es dann nicht aus?"

„Ich habe Angst", gab ich zu. „Angst, mich selbst auszulöschen, die ganze Welt. Zumindest die, die ich kenne."

„Das brauchen Sie nicht. Glauben Sie mir, Ihr Geheimnis ist bei mir sicher. Ich werde immer so handeln, als ob ich nichts von einer Zukunft wüsste. Ich will nur verschwinden können, wie Sie. Bringen Sie mir doch das Buch, ich will ein Stück der Zukunft."

Wie konnte ich also anders? Wie sollte ich ihm das verwehren?

„Meinetwegen."

„Sie wissen gar nicht, wie glücklich mich das macht."

Die Situation wurde mir irgendwie wieder etwas unangenehm, ich wusste nicht, ob es an seinem merkwürdig fordernden Tonfall oder meiner mangelnden Zustimmung zu dem Projekt lag.

Wir plauderten noch ein wenig und ich verfiel langsam wieder seinem Charme. Zum ersten Mal seit so langer Zeit verspürte ich das Bedürfnis, zu lesen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich seit Tagen freiwillig offline war und mich in keine andere Fantasiewelt zurückziehen konnte. Mein geliebter Netflix-Account war schon seit meiner Ankunft verwahrlost. Ich fühlte mich lebendig, wenn ich mit ihm redete, so als würde wirklich zählen, was ich sagte. Das Gespräch war tiefgründiger als mit vielen meiner Klassenkameraden, die ich schon jahrelang kannte, nicht nur eine halbe Woche.

Wir verabredeten uns schließlich für den nächsten Morgen und ich beschloss, mithilfe des Radios die Rückreise zu versuchen, schließlich war es schon kurz vor Mitternacht.

„Wie soll das jetzt funktionieren?"

„Ehrlich gesagt, keine Ahnung", lachte ich. Das Geplauder hatte mich in eine Hochstimmung versetzt, die nun langsam abebbte. Irgendwie musste ich schließlich schaffen, zu meinem Leben in der Gegenwart zurückzufinden.

„Wie haben Sie es denn früher geschafft, vor meinen Augen zu verschwinden?"

„Das war etwas anderes", murmelte ich mir selbst zu. Mit einer plötzlichen Gewissheit spürte ich, dass ich wirklich zurück sollte. Man würde mich mittlerweile längst vermissen.

Das Radio war bei meinen letzten Reisen ausgestellt worden. Wieso versuchte ich das nicht? Das Radio war hier, es stand direkt vor meinen Augen.

Ohne zu zögern schaltete ich es an.

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWhere stories live. Discover now