Kapitel 26

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Mich schauderte es bei der Vorstellung, diese Kammer zu betreten. Es war einfach ein unangenehmes Gefühl, das der Hirschkopf in mir auslöste. Ich wusste nicht, warum.

„Okay." Arthur holte tief Luft und stieß dann energisch die Türe auf.

Mein ganzer Körper spannte sich an, als ich einige Schritte vortrat. Arthur blieb hinter mir. Hätte ich gewusst, was sich in diesem Raum verbarg, hätte ich ihn auch nicht so einfach betreten.

Ein abscheulicher, muffiger Geruch stieg mir in meine Nase.

Und dann sah ich es.

In der Mitte der übersichtlichen Kammer stand ein großer Holzgegenstand, ein großer Kasten, der zum Ende des Raumes schmaler wurde.

Er war es. Der Sarg, der sich im Rosenzimmer befand.

Der Schock durchfuhr mich wie ein Blitz und ich musste mich abwenden. Dieses Teil schien mich immer wieder zu verfolgen.

Ich blickte direkt in Arthurs schockiertes Gesicht. Er war wie zu einer Salzsäule erstarrt.

„Belle...", setzte er an. Mein Gesicht verzog sich angeekelt. Arthur blieb stur und wandte sich nicht ab. Stumm zeigte er auf den Raum mit den blutroten Tapeten, der in meinem Rücken lag.

Mit seinen Augen symbolisierte er mir irgendetwas, was ich nicht deuten konnte.

Ich kam mir vor wie in einem schlechten Film.

Sanft, aber bestimmt legte er eine Hand auf meinen Rücken und zwang mich dazu, mich umzudrehen. Ich wollte nicht. Wollte nicht herausfinden, was es mit diesem Raum auf sich hatte. Ich wollte einfach nur aus diesem Zimmer verschwinden und vergessen, diesen Sarg nicht wieder sehen müssen.

Verzweifelt schloss ich meine Augen. Arthurs Stimme drang gedämpft zu mir und ein lautes Fiepen ertönte in meinen Ohren. Mir war so schwindelig...

Das hier war noch etwas anderes, kein Schwindel, keine Übelkeit. Ich wusste, dass es irgendwie mit dem Zeitreisen zusammenhing. Und mir ging es gar nicht gut.

„Belle!" Immer wieder hörte ich meinen Namen, es klang wie Max. Und irgendwie auch wie Arthurs weiche Stimme. Blinzelnd versuchte ich, irgendetwas zu erkennen. Ich spürte, dass jemand mich stützte oder besser gesagt aufrecht hielt, denn meine Beine fühlten sich so wabbelig an, dass sie fast versagten.

„Belle, schau hin!" Die Worte dehnten sich und spannten sich wie ein Gummiband. Mit einem Peitschen wurde das Gummiband losgefeuert und die Silhouette, die in meinem Augenwinkel war, verschwand augenblicklich.

Ich ließ mich in die Arme der Person fallen, zu erschöpft, mich auch nur irgendwie gerade zu halten. Es mussten nur wenige Sekunden vergangen sein, seitdem wir die Frau in der Bibliothek gesichtet hatten. Dennoch kam es mir so vor, als würden Jahre dazwischen liegen. Alles verschwamm und ich ließ los.

Frische Luft. Das war das erste, was ich bemerkte, als ich wieder zu mir kam. Eine leichte, regnerische Brise nordenglische Landluft.

Mir war übel und der Geschmack, den man bekommt, wenn man sich bald übergeben muss, war in meinem Mund.

22:39:57:11 Uhr. Samstag. 22.06.1940. Ich war über eine Stunde lang bewusstlos gewesen.

Ganz langsam öffnete ich meine Augen. Dämmerlicht flutete herein. Unter mir waren weiche Kissen, ich war zugedeckt. Alles drehte sich noch immer. Die Zimmerdecke. Diese schlichte, im Licht gräuliche Decke. Ich hielt mich daran fest. Mein Bauch rumorte unerträglich.

Wie war ich in diesen Zustand gekommen?

„Annabelle!" Eine erleichterte Stimme übertönte die Störgeräusche in meinen Ohren. An der Bettkante erschien eine dunkle Gestalt, die sich vor dem fast tiefblauen Fenster unmerklich abhob.

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWhere stories live. Discover now