Kapitel 31

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Eine Welle der Erleichterung, aber auch der Verwirrung überspülte mich. Ich war nicht verrückt. Das war alles nur in meinem Kopf.

Wie zur Hölle war er dann aber hier her gekommen? Oder war er auch nur ein Hirngespinst in diesem Albtraum?

„Du kennst mittlerweile das Radio. Ich weiß, dass du die Zeitreisen magst."

Schuldig blickte ich ihm direkt in die Augen.

„Nur es gibt ein Problem damit. Es funktioniert nicht mehr so gut. Die Kopfschmerzen, der Schwindel – bei dir ist es alles extremer. Aber wir brauchen dich, es ist in unserem Sinne, dass du nach 1940 reist, glaube mir. Du musst es reparieren, Belle, und ich zeige dir wie."

Okay. Das war komisch. War alles geplant gewesen? Mein Ausflug in die Vergangenheit? Von dieser komischen Organisation? War Elizabeth eventuell sogar eingeweiht und hatte mich deshalb nach Hawthorne gebeten?

„Für wen arbeiten Sie?", fragte ich, wandte meinen Blick nicht von seinen dunkelbraunen Augen ab.

„Das ist nicht deine Angelegenheit", legte er fest.

Ich widersprach. „Eindeutig schon. Wenn ich für Sie und Ihren komischen Haufen auch nur einen Finger krumm machen soll."

„Annabelle, du verstehst mich nicht. Ich – wir wollen dir helfen. Und durch das Reparieren des Radios können wir dir helfen. Willst du Arthur wiedersehen? Die kleine Lizzie?"

„Woher wissen Sie-..."

„Wir sind nicht die Bösen", fiel er mir ins Wort. Sein Tonfall war energischer geworden.

„Aber wenn du uns nicht helfen lässt, wird der nächste Ausflug in die Vergangenheit dich umbringen. Und das ist das Letzte, was wir wollen. Du musst deine Aufgabe erfüllen."

„Was für eine Aufgabe?"

„Du redest mir zu viel. Schweig!" Zorn lag in seinen Augen.

Ich wollte etwas erwidern, bekam aber keinen Ton heraus, so sehr ich es auch versuchte.

Krampfhaft fasste ich mir an die Kehle, aber kein Mucks entwich ihr.

„So. Viel besser. Und jetzt schau mir zu!"

Er ging zum Radio, ich folgte ihm gezwungenermaßen, mittlerweile schien er auch meine Beine zu kontrollieren.

Mit gekonnten Bewegungen schraubte er die Rückseite ab. Innen war kein Kabelgewulst, wie ich es erwartet hatte, sondern...

Ich musste mir die Augen reiben. Es war eine Pflanze. Sie sah aus wie ein winziger Baum.

„Überrascht?", fragte der merkwürdige Fremde. Ich nickte, meiner Stimme beraubt.

„Das ist kein gewöhnliches Radio", prahlte er, so als würde er über sein eigenes Kind reden.

„Die Pflanze braucht Nahrung. Sie hat zu lange schon in diesem Kasten gesessen, von der Umwelt abgeschottet. Nein, kein Sonnenlicht und auch kein Wasser. Die Pflanze will Zeit. Deine Zeit."

Das klang verrückt. Und ich war nicht sicher, ob ich das gutheißen konnte. Was auch immer es bedeutete.

Der Mann musste meinen erschrockenen Blick gesehen haben.

„Es tut nicht weh", lachte er und wirkte auf mich ein wenig wahnsinnig. „Sie braucht nicht viel, ein Tag reicht ihr für die nächsten Hundert Jahre. Du gibst ihr einen Tag deines Lebens und kannst solange du willst kontrolliert Zeitreisen. Du wirst selbst zurückkommen können. Das einzige was du tun muss, ist deine Hand auf ihren verdorrten Stamm legen. Zähle exakt zehn Sekunden, und ziehe deine Hand weg. Ansonsten wird sie dich verschlingen."

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWhere stories live. Discover now