Kapitel 34

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Am nächsten Vormittag besuchten wir wieder Elizabeth, die schon wieder recht munter drauf war. Vor ihrer Zimmertür teilte uns der freundliche Arzt von gestern jedoch mit, dass sie noch länger bleiben musste, weil er noch einige Tests machen wollte. Er habe festgestellt, dass ihr Herz in der Nacht ein bisschen unregelmäßig geschlagen hatte; nichts Dramatisches, aber bis morgen früh würde er es noch gern beobachten, um ein endgültiges Urteil fällen zu können.

Max' Sorgenfalte war noch tiefer geworden und in mir machte sich zum ersten Mal die Angst breit, dass es sich vielleicht doch um etwas Ernsteres handeln konnte, das man nicht einfach so loswerden konnte.

Dennoch war ich mit meinen Gedanken nicht ganz anwesend.

Immer wieder spulte ich zu den verrückten Dingen zurück, die mir in den Mauern von Hawthorne Manor begegnet waren.

Da war als erstes mein(e) Verfolger(in), der mich zum Radio gedrängt hatte – in der gruseligsten und merkwürdigsten Art und Weise, die es gab.

Dann natürlich das Radio selbst, das mich sieben Jahrzehnte in die Vergangenheit katapultiert hatte. Und, nicht zu vergessen, der Sarg, der im selben Raum wie das Radio stand und schon im Jahre 1940 existiert hatte.

Die merkwürdige Frau mit den langen grauen Haaren, die einfach so vor unseren Augen verschwunden war, fiel mir plötzlich wieder ein. Wie hatte ich sie bitteschön verdrängen können?

Das, was mich am meisten beunruhigte, war aber der mysteriöse Traum. Mit dem Mann, der zu einer Gemeinschaft von weißen Anzügen zu gehören schien und mir eine Pflanze in einem elektronischen Gerät gezeigt hatte.

Mich juckte es mehrfach in den Fingern, Elizabeth alles zu erzählen und nach einer Antwort auszuquetschen.

Vermutlich hätte ich das sogar getan, wenn da nicht dieser unfassbar müde Ausdruck in ihrem über Nacht gealterten Gesicht gelegen hätte. Ich hatte es einfach nicht übers Herz gebracht.

Auf dem Weg zurück formte sich langsam ein Plan in meinem Kopf, der mir vielleicht Antworten auf ein oder zwei meiner Fragen geben könnte.

Das Radio.

Wie immer war es die Anlaufstelle im Haus, die mich wie magisch anzog und um die sich alle mysteriösen Dinge zu weben schienen. Das Radio lag im Zentrum von allem. Ganz sicher.

Wie auf glühenden Kohlen schlang ich mich durch das Mittagessen und versuchte danach, möglichst schnell Max loszuwerden.

Es war gar nicht so leicht, doch als ich ankündigte, meine Kosmetiktasche endgültig auszupacken, war er endlich nicht mehr an meiner Gesellschaft interessiert.

Natürlich war es nicht gerade sozial, Max alleinzulassen, vor allem in einer Situation in der er sich befand.

Aber ich wollte jetzt wissen, was es mit dem ganzen Hokuspokus auf sich hatte.

Eilig stieg ich die Treppen hoch und joggte durch die Gänge.

Etwas keuchend stieß ich die Tür zu der Kammer auf und war ein wenig überrascht, dass alles noch genauso aussah, wie ich es Anfang der Woche zurückgelassen hatte, nach meiner mehr oder weniger erfolgreichen Zeitreise, die nur noch mehr Fragen aufgeworfen hatte.

Keine Gestalt saß auf dem Sarg.

Spinnweben waren in jeder Ecke, der Staub zentimeterdick.

Erleichtert atmete ich auf. Nichts war so, wie es in meinem Traum gewesen war. Es war wirklich nur ein Hirngespinst gewesen.

Mit zügigen Schritten durchquerte ich den kargen Raum. Da stand es.

Der rotbraune Holzkasten, die beigen Lautsprecher.

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWhere stories live. Discover now