Househunting

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„Und du bist sicher, dass sie seine Schwester war?" - „Niall, wie oft willst du das denn noch sagen? Sie hat von „Mum" und „Zuhause" gesprochen. Sie muss seine Schwester sein, eine andere Lösung gibt es nicht", antwortete Louis genervt und rieb sich die Augen. Sie waren schon ganz trocken, weil er seit Stunden auf den PC Bildschirm starrte. Niall saß ihm gegenüber auf dem Bett und wandte den Blick kein einziges Mal von ihm ab. „Und was wirst du jetzt unternehmen?", fragte er und Louis seufzte. „Naja ich seh erstmal nach, welche WG noch einen Mitbewohner braucht und dann nehme ich das erstbeste, das ich finden kann. Weitersuchen kann ich ja immer noch vor Ort." Er wollte gerade eine vielversprechende Anzeige anklicken, als Niall den Laptop kurzerhand zuklappte. „Hey! Was sollte das?", fragte Louis genervt und sah auf. „Ich hab diese Frage auf Harry bezogen. Was willst du unternehmen? Du hast freie Bahn, du musst nur noch herausfinden, worauf er steht, das dürfte ja wohl nicht allzu schwer sein, oder? Und wenn du bei ihm nicht ankommst, dann bist du in einigen Wochen sowieso weg. Das klingt doch vielversprechend. Was meinst du dazu?" Louis seufzte und beugte sich vor, sodass er und Niall genau auf einer Augenhöhe waren, dann sagte er langsam und sehr deutlich: „Mein lieber Niall. Ich halte davon gar nichts, denn ich sehe nicht ein, wieso ich jetzt alles daran setzen sollte, bei Harry zu landen, wo ich bald weg bin. Es fordert zu viel Zeit und Energie, die ich jetzt einfach nicht aufbringen kann. Außerdem, was soll ich machen, wenn Harry tatsächlich auf mich stehen sollte? Ihn in einigen Wochen einfach wieder abservieren? Das wäre mehr als unfair." Daraufhin sagte Niall erstmal gar nichts, sondern schob lediglich die Unterlippe vor. „Aber ihr wärt so toll zusammen...", nuschelte er und blinzelte ihn wie ein kleines Hundebaby an. „Es gibt auch noch andere auf dieser Welt", sagte Louis abschließend, schob ihn von seinem Laptop und klappte ihn wieder auf.

Vor seinem besten Freund gelang es ihm überraschend gut, so zu tun, als hätte er mit der ganzen Idee abgeschlossen. Doch seinem Inneren konnte er nichts vormachen und dieses Ziehen in der Magengrube wurde von Tag zu Tag intensiver, je näher das Ende des Praxissemesters rückte.

Im Internet hatte Louis mehrere WGs gefunden, die ihm zusagten und die er sich leisten konnte. Alle waren in guter Entfernung vom Krankenhaus gelegen und auch die Preise waren halbwegs erschwinglich. Er verfasste mehrere freundliche Mails und hoffte auf eine Zusage, denn eine Wohnung im Ausland zu suchen, empfand er als äußerst stressig. Er konnte ja nicht einfach mal hinfliegen und sich das ansehen, sondern musste sich auf die Beschreibungen und die Fotos verlassen und hoffen, dass man ihn nicht über den Tisch zog. Allerdings hatte er mit seiner ersten Wohnung hier in Birmingham eigentlich schon das Allerschlimmste erlebt und schlechtere Wohnungen waren kaum möglich, daher fühlte sich Louis recht sicher, was seine neue Bleibe anging.

Harry schien seinen Umzug ebenfalls schon im Kopf zu haben, denn er erkundigte sich an einem sehr ruhigen Nachmittag danach, wie denn die Wohnungssuche gelaufen war. „Ganz gut. Ich habe zwar noch keine Zusage bekommen, aber ich bin optimistisch. Das wird schon." - „Wenn du möchtest, dann kann ich dir auch beim Suchen helfen", bot Harry an. Er stand an der Kaffeemaschine und sah dabei zu, wie sich seine Tasse füllte. „Ich freue mich ja wirklich für dich, dass du eine so gute Chance in Deutschland bekommen hast, aber ich würde dich auch sehr gerne hier behalten", sagte er und sah Louis fast schon ein wenig traurig an. „Leider gestattet mir die Klinikleitung nur Studenten für ein halbes Jahr aufzunehmen, sonst hätte ich dir wirklich mehr angeboten. Du bist der erste Student, mit dem ich mich auch auf einer menschlichen Ebene wirklich gut verstehe..." Er ebbte ab und nahm sich seinen Kaffee, dann setzte er sich Louis gegenüber und sah ihn eine Weile an. Fast schien es so, als würde er noch etwas sagen wollen, doch die richtigen Worte schienen ihm nicht einzufallen. Stattdessen nahm er einen Schluck und sagte dann: „Die Frau gestern, war übrigens meine Schwester Gemma." - „Ja, das hatte ich mir schon fast gedacht", sagte Louis und fragte sich, wieso Harry ihm das erzählte. „Ich dachte nur, du könntest vielleicht denken, dass ich meine Partnerinnen ins Krankenhaus bestelle oder so. Das ist nicht wirklich mein Fall. Ich habe auch gar keine Partnerin. Aber das ist ja auch eigentlich überhaupt nicht wichtig und ich frage mich grade, wieso ich dir das eigentlich erzähle." Er nahm noch einen Schluck und kicherte dann ein wenig unsicher, bevor er aufstand und sagte: „Ich muss mich noch um meine Akten kümmern. Kannst du bitte heute noch die Nachsorgeberichte und die Röntgenaufnahmen zusammenheften und mir ins Büro bringen? Das wäre sehr nett von dir." - „Klar mache ich..." Harry war schon halb aus der Tür, als Louis sich endlich ein Herz fasste. Er musste an Nialls Satz denken – wenn du nicht bei ihm ankommst, bist du ja sowieso bald weg – ja sein Freund hatte recht und er musste es jetzt einfach wissen. „Harry!", sagte er laut und der Arzt wandte sich in der Tür schnell um. Fast so schnell, als hätte er erwartet, dass Louis ihn nochmal ansprach. „Ja?" - „Also, wenn du mir gerade durch die Blume sagen wolltest, dass du nicht auf Frauen stehst, dann ist das vollkommen okay für mich." Laut ausgesprochen klang dieser Satz vollkommen bescheuert und Louis hätte ihn am Liebsten aus der Luft gepflückt und zurückgenommen. Ein wenig geschockt über ihren gegenseitigen Mut, sagen sie einander an, dann lächelte Harry leicht: „Ja, ich glaube das wollte ich unterbewusst einfach mal loswerden...freut mich, dass es okay für dich ist. Das hatte ich allerdings schon erwartet. Immerhin bist du ja auch...nicht an Frauen interessiert." - „Ja...bin ich..." Harry stand da, in der Hand noch seine Kaffeetasse und tippte nervös mit dem Zeigefinger auf den Rand. Die Luft war so dünn, dass man kaum noch atmen konnte. Louis spürte einen kleinen Niall, der auf seiner Schulter saß und ihm regelrecht ins Ihr brüllte: „FRAG IHN NACH EINEM ABENDESSEN! LOS MACH SCHON!" Doch Louis erhob sich nur und ging dann auch zur Tür. „Freut mich, dass wir das geklärt haben", sagte er und dann gingen beide ihrer Arbeit nach.

Er hätte ihn fragen sollen und das Risiko eingehen müssen, eine Absage zu kassieren. Auf der anderen Seite wusste Harry schon länger, dass er schwul war und hätte ihn genauso gut um ein Date bitten können. Das hatte er aber nicht getan. Vielleicht war er einfach nicht interessiert. Nur weil zwei Kollegen zufällig dieselbe sexuelle Orientierung hatten, musste das ja nicht bedeuten, dass sie automatisch zusammen passten oder sich verliebten. Sonst müsste sich ja jeder normale Mann in jede Arbeitskollegin verlieben und das war ja auch nicht der Fall.

Six Months • Part IWhere stories live. Discover now