Im Aufenthaltsraum

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Der Vormittag kam Louis vor wie ein ganzes Semester. 

Als er Mittagspause hatte, setzte er sich mit seinem Essen in den Aufenthaltsraum und rieb sich die Knie. Das lange Stehen war das komplette Gegenteil vom stundenlangen Sitzen in der Vorlesung und sein Körper war das nicht gewohnt. Sein Magen knurrte und er schlang sein Essen schneller herunter, als er es normalerweise getan hätte, doch wer konnte schon sagen, ob man seine Pause nicht gleich unterbrechen würde. 

In dem Aufenthaltsraum gab es eine kleine Küche, samt Spülmaschine. Gerade hatte er seinen Teller weggestellt, als die Tür aufging und sein Chef hereinkam. Er war mit einem anderen Arzt im Gespräch und die beiden warfen nur so mit Fachwörtern um sich. Mr Styles hatte am Nachmittag nur noch Visiten und Beratungsgespräche und deswegen die OP Kluft abgelegt. Der Kollege neben ihm trug einen Schlupfkasacks in dunklem Bordeauxrot und Turnschuhe an den Füßen. Er machte einen sportlichen Eindruck. „Willst du einen Sojajoghurt?", fragte der Kollege in Rot und öffnete den Kühlschrank. Mr Styles verzog das Gesicht: „Oh nee, ich brauch was Ordentliches, deinen Sojajoghurt kannst du alleine essen." Die beiden setzten sich zu Louis an den Tisch und fingen an zu essen. „Achja, Liam, das ist mein neuer Praxissemestler, Louis Tomlinson." Der Oberarzt deutete mit der Gabel, die er gerade aus der Schublade gekramt hatte, auf Louis und setzte sich neben ihn.

Der Kollege lächelte Louis freundlich und offen an und schüttelte seine Hand: „Hey, freut mich sehr, dich kennenzulernen. Ich bin Liam - Payne und arbeite in der Orthopädie in der Rehaabteilung. Du hast also dein Fachgebiet gefunden? Da hast du dir mit unserem Harry hier ja einen wunderbaren Mentor ausgesucht. Er ist einer der besten Ärzte, die du in Großbritannien finden kannst, wenn du ein Problem mit dem Knie hast." Harry – Dr Styles warf Liam Payne einen Blick zu, der deutlich zeigte, dass es ihm ganz und gar nicht passte, dass er ihn vor seinem Studenten beim Vornamen angesprochen hatte. 

Louis beschloss, diese kleine Sache zu übergehen und sagte: „Ja, genau deswegen wollte ich auch unbedingt herkommen. Ich freue mich, so viel wie möglich zu lernen. Es ist wirklich eine Ehre hier sein zu dürfen." Er lächelte den Orthopäden unsicher an und war sich dabei durchaus bewusst, dass sein Oberarzt ihn genau ins Auge gefasst hatte und zuhörte. Liam Payne schob sich einen Löffel Joghurt in den Mund und sagte dann: „Du wirst hier viel lernen. Doctor Styles ist gut aber es ist eine harte Schule. Vielleicht spornt es dich an, wenn ich dir sage, dass bisher erst zwei von zehn Studenten, ihr Semester bei ihm beendet haben. Alle anderen haben vorzeitig aufgegeben. Vielleicht bist du ja die Nummer Drei, die durchhält." Louis fiel auf, dass Liam das Wort Doctor nun extra betonte, um seinen Kollegen zufrieden zu stellen. „Wie sieht's aus, kommt ihr heute Abend in meine Yogastunde? Um 21 Uhr im Rehazentrum im ersten Stock." - „Vielleicht", antwortete der Oberarzt und runzelte die Stirn. „Ich hab noch ein paar Berichte zu schreiben. Wenn ich bis 21 Uhr fertig bin komme ich. Dein Yoga tut meinem Rücken immer ganz gut." Liam schraubte seinen Joghurt wieder zu und sah Louis an: „Aber du kommst doch sicher, oder?" - „Mr Tomlinson kommt dann, wenn ich ihn in den Feierabend entlassen habe. Sollte das heute rechtzeitig sein." 

Louis saß zwischen den beiden Männern und sagte nichts. So wie es klang, hatte er heute einen langen Tag durchzustehen. Oder Dr Styles machte ihm einfach ein bisschen Angst, damit er nicht auf den Gedanken kommen würde, dass die Arbeit im Krankenhaus würde ein Spaziergang werden.

Tatsächlich hatte er pünktlich Feierabend, doch zur Yogastunde schaffte er es trotzdem nicht mehr, weil er einfach zu müde war. Am Nachmittag hatten sie eine Visite nach der anderen gehabt und Dr Styles hatte Louis auch in seine Beratungsgespräche mit den neuen Patienten mitgenommen. Er sollte sich Notizen machen und als der im Bus saß, hatte er das Gefühl, sein Kopf würde gleich platzen vor zu vielen neuen Eindrücken. So kam es, dass er beinahe seine Haltestelle verschlief.

Müde betrat er die kleine Wohnung, die sich im zweiten Stock eines Eckhauses befand, welches direkt an einer stark befahrenen Kreuzung lag. Im Erdgeschoss gab es einen Schnellimbiss und die flackernden Lichter der Leuchtreklame huschten durch die kleine Wohnküche. Louis knipste das Licht an und hängte seine Jacke an die Tür, dann ließ er sich auf einen Küchenstuhl fallen und seufzte. Was für ein Tag. 

Die Tür neben ihm ging auf und Niall, sein Kumpel, der morgen ebenfalls sein Praxissemester starten würde, kam heraus. „Hey, da bist du ja schon", sagte er und setzte sich Louis gegenüber. „Schon?", ächzte Louis und deutete auf die Uhr. „Hast du gesehen, wie spät es ist? Ich hatte einen 12 Stunden Tag. Ich kann nicht mehr." - „Ach na hör mal. Im Grundstudium hatten wir doch auch häufig 12-14 Stunden Tage. Weißt du noch, als wir die Leichen seziert haben? Da waren wir...." - „Ich weiß", unterbrach Louis seinen Mitbewohner seufzend, „aber das ist was anderes. Ich weiß nicht, wie viele Kilometer ich heute zu Fuß zurückgelegt habe, dieses Hospital ist einfach nur riesig. Und mein Mentor, Dr Styles hat mich gleich in den OP mitgenommen. Ich musste eine Plastik zusammennähen...ich glaub, der mag mich nicht. Er hat mich gleich am ersten Tag ins kalte Wasser geworfen. Wenn das so weitergeht, dann bin ich in sechs Monaten ein Burn-Out Patient und kann gleich im Krankenhaus bleiben." Louis warf den Kopf in den Nacken seufzte. Niall sagte nichts, sondern sah Louis nur mit schiefgelegtem Kopf an. „Styles? Das ist doch dieser Kniespezialist zu dem immer alle wollen. Man Louis, beschwer' dich nicht, du bist bei dem renommiertesten Arzt gelandet, den es in deinem Fachgebiet gibt! Etwas besseres hätte dir nicht passieren können. Du musst alles aufsaugen, was er dir gibt...also nicht wörtlich gemeint natürlich...wobei, bei dir weiß man ja nicht." Niall, der wusste, dass Louis auf Männer stand hob fragend die Augenbrauen und Louis erwiderte den Blick leicht fassungslos. Wie konnte sein Mitbewohner nur denken, dass...."Bist du irre? Ich fange doch nichts mit Kollegen an. Schon gar nicht mit meinem Mentor. Wie krank ist das denn bitte?" - „Sieht er gut aus?", schoss Niall nach, ohne auf Louis' Aussage einzugehen.

Am liebsten hätte Louis 'nein' gesagt, doch das Problem war, dass er Harry Styles noch heute Morgen im Bus angebaggert hatte. Nicht direkt zwar, aber er war ihm aufgefallen, deshalb hatte er ihn angesprochen. Und wenn einem Jemand auffällt, dann doch nur, weil er einem optisch zusagt. Also ja; Dr Harry Styles sah gut aus. „Na was ist? Sieht er gut aus?", hakte Niall ungeduldig nach. Der konnte aber auch keine zwei Sekunden abwarten, bis man seine Gedanken sortiert hatte. „Ja, er sieht ganz gut aus." - „Wie alt ist er?" - „Man Niall, keine Ahnung. Ich hab ihn nicht gefragt. Ich schätze ihn so auf 34. Also sieben Jahre älter als ich." Zufrieden grinsend lehnte Niall sich in seinem Stuhl zurück: „Passt doch. Sag mal, willst du was essen? Ich hab dir was vom Mittagessen übriggelassen."

Sie redeten nicht mehr über den Beruf. Louis wollte nichts mehr davon hören, sonst würde sein Kopf vielleicht noch platzen. Er aß das, was Niall ihm herstellte und sie sprachen über ihre Wochenendpläne. Vielleicht gingen sie in die Kletterhalle oder kickten im Park. Sowohl Louis als auch Niall bewegten sich gerne und brauchten den Sport als Ausgleich zum Studium. Es tat gut, wenn man sich bewegt hatte und vollkommen fertig endlich zuhause unter die Dusche springen konnte. Doch wenn Louis seinen ersten Tag so Revue passieren ließ, dann war er sich nicht sicher, ob er in den nächsten sechs Monaten sonderlich viel Zeit für Sport haben würde. Vielleicht ging das auch den Kollegen so und das war der Grund, weshalb dieser Liam Payne Yogastunden für Mitarbeiter anbot.

Six Months • Part IWhere stories live. Discover now