Schöne Scheiße

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„Was ist passiert? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen", fragte Niall und öffnete die Wohnungstür, nachdem Louis geklopft hatte. Er antwortete nicht, sondern tappte an seinem Freund vorbei in die Wohnung und warf das Verbandszeug auf den Küchentisch. Mit dem Fuß kickte Niall die Wohnungstür zu und setzte sich Louis gegenüber, hielt ihm auffordernd die Hände hin und sah ihn bittend an. „Ich hole schnell eine Salbe aus dem Bad." - „Okay und dann sagst du mir, wieso du so traurig aussiehst." Eigentlich war Louis nicht danach, sich jetzt bei Niall auszuheulen. Zum einen, weil er genau wusste, dass er dann dem Iren gegenüber eingestehen musste, dass er die ganze Zeit recht gehabt hatte. Zum anderen, weil Niall dann natürlich auch enttäuscht sein würde, weil sein Traumpaar niemals zusammenfinden würde. Im Badezimmerschränkchen kramte er eine Heilsalbe aus der hintersten Ecke und kam dann damit in die Küche zurück. Die Blasen an Nialls Händen waren tief, weil er sich die Hornhaut an den Handballen abgerissen hatte und er sog zischend die Luft ein, als Louis die Stellen vorsichtig eincremte und dann anfing, sie zu verbinden. Er arbeitete vorsichtig und ohne Druck, sodass der Verband nicht zu fest war und Niall die Finger noch bewegen konnte und aussah wie ein Boxer. „Jetzt sag schon was los ist." Louis ließ sich mit der Antwort Zeit und seufzte dann: „Ich habe Harry im Krankenhaus gesehen. Er war auf der Entbindungsstation vor einem Kreißsaal und wurde gerade hereingebeten, als ich ihn gesehen habe. Niall, er ist Vater geworden." - „Fuck. Schöne Scheiße. Bist du sicher?" Sie schwiegen und sahen beide auf Nialls Hände, dann wurde Louis angestupst und Niall fragte: „Wieso betrifft dich das? Ich dachte, du wolltest nichts von ihm." - „Hab ich auch gedacht. Aber noch auf der Rückfahrt vom Klettern musste ich irgendwie daran denken, dass ich ihn wirklich nicht so unattraktiv finde, wie ich immer behauptet habe...das Leben ist doch gemein. Da habe ich mir gerade eingestanden, dass ich ihn mag und dann sowas." Frustriert vergrub Louis das Gesicht in den Händen, fuhr sich in die Haare und ballte die Faust.

Die Stuhlbeine kratzten über den abgeschabten Holzboden, Niall stand auf und er wurde in eine Umarmung gezogen. Dankbar, dass sein Freund jetzt keine Witze machte, erwiderte Louis die Umarmung und seufzte schwermütig. „Das ist wirklich ein doofes Timing...tut mir Leid Louis. Aber ich werde noch herausfinden, ob das wirklich sein Kind ist. Immerhin haben wir abgemacht, dass ich ein bisschen Recherche über Styles betreibe. Und bisher habe ich nichts über ihn herausgefunden." Beruhigend strich er Louis durch die Haare und seufzte dann nicht minder schwer. „Ihr wärt so ein tolles Paar gewesen...nachdem du erzählt hast, ihr würdet euch duzen, habe ich schon gedacht, dass ihr auf dem richtigen Weg seid. Was willst du jetzt machen?" - „Was soll ich schon machen? Ich arbeite weiter, wie bisher, gebe mein Bestes und versuche zu ignorieren, dass ich meinen Chef attraktiv finde. Sollte nicht allzu schwer sein. Bis jetzt hab ich es ja auch geschafft", murmelte Louis, machte sich von Niall los und stand auf. „Ich gehe ins Bett." Mit gesenktem Kopf ging er zu seiner Tür und drehte sich nochmal um, nur um von Niall ein müdes Lächeln zu sehen. In den blauen Augen seines Freundes konnte er sehen, dass er mit ihm fühlte und zuckte mit den Schultern, was soviel bedeuten sollte wie: „Wird schon wieder."

Dann ging er in sein Zimmer und warf sich in sein Bett.

Harry war Vater geworden. Dieser Gedanke war das einzige, was sein Gehirn zustande brachte. Alles andere schien unwichtig zu sein und wurde von dieser Neuigkeit komplett verdrängt. War es normal, dass man sich so leer fühlte? War das die Erkenntnis, dass er Harry niemals würde haben können? War es der Schock darüber, dass er jetzt erst erkannte, wie viel ihm Harry bedeutete? Oder die Tatsache, dass er ihn heute in einer so bewegenden und privaten Situation gesehen hatte, die ihn berührte? Sicherlich spielte alles zusammen eine Rolle. Das Leben war so ungerecht und hatte ein beschissenes Timing. Wieso hatte er beispielsweise nicht die Möglichkeit genutzt und Harry gefragt, wie es in seinem Liebesleben aussah, nachdem dieser ihn gefragt hatte, ob er schwul war? Eine Frage und er hätte es vielleicht erfahren, dann wäre der heutige Abend nicht ganz so schockierend gewesen. Aber nein, Louis musste ja ein Weichei sein und es nicht wagen.

Leise klopfte es an der Tür. „Ja?" Der Lichtschein aus dem Wohnzimmer fiel ins Zimmer und Niall kam herein. Er stolperte über einigen Krempel am Boden und kam dann zu ihm hinüber. „Ich hab dir einen Tee gemacht. Ich dachte, der beruhigt dich vielleicht, damit du in Ruhe einschlafen kannst. Immerhin hast du morgen ja frei und da ist guter Schlaf das A und O. Und du wirst sehen, dass Morgen schon wieder alles anders aussieht." - „Morgen ist er immer noch Vater. Was soll daran anders aussehen?", brummte Louis, nahm aber die Tasse entgegen, die Niall ihm reichte. In diesem Moment kam eine SMS an und das Handydisplay leuchtete grell auf. „Von Harry...", stellte Louis fest und wollte nach dem Handy greifen, doch Niall war schneller. Er öffnete die Nachricht und im Licht des Displays war gut zu erkennen, wie seine Augen hin und her huschten. „Hallo Louis, entschuldige, dass ich mich so spät noch melde. Ich hoffe du hast das Handy auf lautlos, ansonsten habe ich dich geweckt. Hatte noch was wichtiges zu tun und komme daher erst jetzt zum Schreiben. Niall und du könnt euch Morgen um 18 Uhr die Wohnung ansehen. Kommt bitte pünktlich in die 25 Eastern Rd. Es ist das Haus mit den blauen Regenrinnen. Der Makler erwartet euch dort. Gute Nacht. H – Na das klingt aber nicht so, als ob er Vater geworden ist. 'etwas wichtiges zu tun' das klingt mehr danach, als ob er noch Einkaufen war und nicht danach, als ob er ein Kind bekommen hat...ich find das noch raus, darauf kannst du dich verlassen Lou. Aber hey, wir haben einen Besichtigungstermin, ist das nicht toll?" Er gab Louis das Handy zurück und umarmte ihn fest. Louis sah sich die SMS nochmal genauer an und las sie selbst durch. Es klang wirklich nicht so, als ob gerade ein Kind auf die Welt gekommen war zumal er sich sicher war, dass Harry in dem Fall anderes im Kopf hatte, als sich um eine Wohnung für seinen Assistenten zu kümmern.

Auf der anderen Seite war er es als Arzt gewohnt, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun und vielleicht gehörte das auch einfach nur zu seiner Art.

Six Months • Part IWhere stories live. Discover now