Eine Chance

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Harry schlief gut, Louis hingegen wachte immer wieder auf, sobald er ihn versehentlich berührte.

Sein Körper und Geist schienen gegeneinander zu kämpfen. Der Körper wollte Harry berühren und es dabei so beiläufig wie möglich aussehen lassen, es genießen und sich mit Freude daran erinnern können. Doch der Geist war anderer Meinung und wollte Herzschmerz verhindern, weshalb er ihn immer wieder zurückzucken ließ. Frustriert über sich selbst, wachte Louis ständig auf, musterte Harry im Halbdunkeln und verfluchte den Tag, an dem er sich entschieden hatte, sich beim St Elizabeth Hospital zu bewerben. Ohne Brille sah Harry auch sehr attraktiv aus und Louis sah, wie seine Augen hin und her zuckten. Was er wohl träumte? Seine Lippen waren leicht geöffnet und er schnarchte ganz leise. Fast wie eine Katze, die schnurrte, wenn man sie streichelte. Louis rieb sich die Augen, wandte den Blick aber kein einziges Mal von Harrys Gesicht ab um keinen Moment zu verpassen. Er würde ihn nie wieder beim Schlafen beobachten können, soviel war sicher und deswegen, kostete er es aus.

Wie einen guten Wein, den man sich nur einmal im Leben leisten konnte.

Irgendwann übermannte ihn jedoch die Müdigkeit und er sank auf sein Kissen zurück, nah genug an Harry, um seine Wärme zu spüren. Weit genug entfernt, um ihn nicht zu berühren.

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Das Klingeln von Harrys Wecker riss sie beide wenig später aus dem Schlaf. „Oh Gott, es ist viel zu früh...", nuschelte Louis und streckte sich. „Wem sagst du das?" Harrys Stimme war ganz kratzig und er gähnte herzhaft, bevor er sich hinsetzte und nach der Brille tastete, die irgendwo neben der Matratze auf dem Fußboden lag. „Ich bin zu alt, um vor einem wichtigen Termin was zu trinken...", stellte er fest, klappte umständlich die Brillenbügel auseinander und setzte sie sich auf die Nase. „Hast du einen Fön? Ich würde gerne zumindest meine Haare sortieren, bevor ich im Krankenhaus ankomme. Zähne putzen kann ich dann dort", erkundigte er sich bei Louis. „Ja klar. Ich komme dann auch gleich mit, oder?" - „Natürlich. Du bist mein Assistent, da kommst du auf jeden Fall mit." Also beeilte sich Louis, zu Duschen und zog sich schnell um, während Harry sich die Haare in seinem Schlafzimmer mit Wasser und dem Fön wieder in die richtige Richtung frisierte.

In Nialls Zimmer war es noch still und nur ein gleichmäßiges Schnarchen war zu hören. „Ich will auch Spätschicht haben...", murrte Louis, als sie gemeinsam an der Tür vorbeigingen und ließ Harry den Vortritt ins Treppenhaus. Frühstücken würden sie im Hospital, denn die Küche war ja noch nicht angeschlossen.

Der Morgen war frisch und es hatte die ganze Nacht geregnet, einige Pfützen auf den Straßen waren noch übrig. Harry fuhr auf direktem Weg ins Hospital und stellte den Wagen wieder in der Tiefgarage auf dem Parkplatz für die Oberärzte ab.

In der Eingangshalle, zogen sie sich noch jeweils eine Tasse Kaffee aus einem Automaten.

„Was sind das denn für Kollegen, die heute herkommen?", fragte Louis, als sie im Lift auf dem Weg nach Oben in den Aufenthaltsraum waren. „Zwei aus Indien, einer aus den USA und ein Deutscher. Alles Spezialisten auf ihrem Fach und sie kommen für zwei Tage her, um sich mit mir über neue Techniken, Materialien und Verfahren zu unterhalten. Das könnte für dich sehr interessant werden Louis. Alle nehmen Assistenzärzte zu sich. Vielleicht kommst du ja mit einem ins Gespräch für dein Auslandsjahr. Das ist eine wirklich gute Chance." Daran hatte Louis noch gar nicht gedacht und es durchfuhr ihn eiskalt.

Er hatte gar keine Unterlagen dabei, die er den Ärzten vorlegen könnte, sollten sie an ihm interessiert sein!

Wieso hatte Harry das nicht schon früher gesagt, dann hätte er gewusst, wie wichtig dieser Besuch war und sich entsprechend vorbereitet. Vielleicht konnte er in der Mittagspause nochmal zurück in die Wohnung und die Unterlagen holen. Oder er rief Niall an und bat ihn darum, vorbei zu kommen und sie ihm zu bringen. Wobei er auf die Schnelle gar nicht sagen konnte, wo in den ganzen Umzugskartons sich seine Unisachen befanden.

„Louis", riss ihn Harry aus seinen Gedanken. Sie hatten noch zwei Stationen, bis sie auf ihrer Etage ankommen würden und waren allein im Lift. Harry trat an ihn heran, legte ihm beide Hände auf die Schultern und blickte ihn eindringlich an, dann sagte er: „Tu mir einen Gefallen. Sei nicht immer so nervös. Ich sehe an deiner Körpersprache, dass du dir jetzt schon einen Kopf machst, nur weil ich erwähnt habe, dass diese Ärzte eventuell für dich infrage kämen." Louis schluckte. Harry war viel zu nah und er konnte nicht anders, als seinen eindringlichen Blick zu erwidern. Er nagelte ihn regelrecht fest. Louis öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ihm fiel nichts ein. „Die Kollegen sind morgen auch noch da. Wenn du ihnen Unterlagen, deine Zeugnisse oder etwas dergleichen persönlich bei ihnen vorlegen möchtest, dann kannst du das morgen tun. Entspann dich bitte. Ich will kein Nervenbündel neben mir stehen haben. Sei du selbst, dann machst du alles richtig. Außerdem vergisst du einen wichtigen Punkt." - „Welchen denn?", fragte Louis und in dem Moment öffnete sich die Lifttür. „...dass ich auch noch da bin und sicherlich nichts Negatives über dich sagen werde", sagte Harry, drückte ihm kurz die Schultern und ging dann vor ihm aus dem Aufzug.

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Bisschen kurz. Sorry

Six Months • Part IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt