Nicht mehr wie vorher

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Was hatte er da nur geträumt? Louis war vollkommen neben der Spur und musste es vermeiden, Harry am nächsten Tag zu nahe zu kommen. Sein Herz raste, sobald er ihn sah und seine Handflächen waren so schwitzig, dass er sie nervös an der Innenseite seines Kittels abwischte.

Als Harry ihm wenige Wochen später mitteilte, dass Dr Ritz sich sehr über die Zeugnisse und das Empfehlungsschreiben gefreut hatte, fiel es Louis schwer, ihm in die Augen zu sehen, denn er hatte endlich erkannt, dass er sich tatsächlich in seinen Chef verliebt hatte. Wieso auch sonst würde er davon träumen, ihn zu küssen? Wieso dachte er ständig an ihn und wieso wünschte er sich ständig, sie wären häufiger allein? Es war eine dumme Situation in der er sich da befand und Louis wusste nicht so genau, wie er sich daraus wieder selbst befreien sollte. Sich Harry zu öffnen, kam gar nicht infrage, denn das gehörte einfach nicht in den Beruf. Gefühle mussten Zuhause bleiben und er sollte sich auf seine Arbeit konzentrieren. Immerhin hatte er nicht mehr so viel Zeit hier im Krankenhaus, denn in weniger als 8 Wochen, würde sein Praxissemester enden.

Dann würden er und Harry sich nicht mehr sehen und die Schwärmerei gab sich sicherlich von allein wieder.

Harry schien von alledem nichts zu bemerken und gab sich normal wie immer. Er ging mit Louis gemeinsam zum Yoga, wenn sie mal früher Feierabend hatten und zeigte ihm immer mehr Kniffe im OP. Dabei entging ihm, dass die Hände seines Assistenten ab und an zitterten und er sich nervös räusperte, wenn sie zu nah beieinander standen.
Niall, hatte es aufgegeben, Harry und Louis zu verkuppeln, nachdem er ihn einmal eindringlich darum gebeten hatte, nichts mehr zu unternehmen. „Ich bin in 8 Wochen wieder weg und vermutlich dann im Ausland. Es macht keinen Sinn, jetzt irgendetwas zu starten", hatte Louis an einem Abend in der Küche gesagt.

Ja, er würde das Krankenhaus bald verlassen und im Herbst nach Deutschland ziehen. Die inoffizielle Zusage für zwei Semester in Köln hatte er bereits schriftlich bekommen und war auch schon auf der Suche nach einer Wohnung, die er sich leisten konnte. „Vielleicht ist das ganz gut für dich. Einen Tapetenwechsel zu haben. Und in Köln gibt es wohl eine ganz ordentliche Schwulenszene", sagte Niall immer wieder in dem Versuch ihn aufzumuntern. Doch Louis war nicht daran interessiert, andere Männer kennenzulernen. Er wollte seinen Job gut lernen, das war alles.

Und er wollte Harry.

Ja, das wollte er auch und es war so verdammt schwer, sich daran zu erinnern, dass er nicht einmal wusste, ob von der anderen Seite her überhaupt Interesse an ihm bestand. Der Oberarzt war zu ihm sehr nett und Louis war sich sicher, dass er eine gewisse Vorzugsbehandlung genoss, allerdings schrieb er das eher seinen Leistungen zu. Ob Harry auf Männer stand, wusste er noch immer nicht. Doch was wäre, wenn er es herausfinden würde? Diese Frage hatte er sich in den vergangenen Wochen seit dem Abendessen schon oft gestellt und wusste die Antwort darauf ziemlich genau, obwohl sie ihm keineswegs gefiel und er es sich auch nur ungern eingestand.

Eine Beziehung anzufangen, wenn er drauf und dran war, nach Deutschland zu ziehen, war vollkommen sinnlos. Sowohl er, als auch Harry hatten einen vollen Terminkalender. Wenn dann auch noch ein potentieller Partner im Ausland mit einzuplanen war, würde das diesen sprengen und entweder litt dann die Beziehung oder der Job. Louis kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass er den Job nicht vernachlässigen würde. Sein ganzes Leben lang hatte er darauf hingearbeitet, Arzt zu werden, daher war das seine oberste Priorität.

So unterdrückte Louis die Gedanken, so gut es ihm möglich war, versuchte, Harrys Geruch nicht zu genüsslich einzuatmen, wenn dieser neben ihm stand und wenn er abends nicht einschlafen konnte, zählte er sich lieber die OP Abläufe nochmals vor, anstatt in Tagträumen über den dunkelhaarigen Mann mit Brille zu versinken. Das half zwar nicht so gut beim Einschlafen, aber es ging irgendwie.

Dass Harry ihn allerdings auch in seinen Träumen ab und zu verfolgte, konnte Louis nicht verhindern und so war es nicht möglich, seine Schwärmerei vollends aufzugeben, wenn er sich doch immer wieder heimlich in den Nächten mit dem wundervollen Mann traf und bei ihm genau das tun konnte, was ihm im wahren Leben nicht möglich war.

Seine Hand halten.

Ihn berühren.

Bei ihm sein.

Six Months • Part IWhere stories live. Discover now