Epilog

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„Du musst vorsichtig sein, was du zu ihm sagst. Er ist unberechenbar.", trichtert Liam seinem Gegenüber noch einmal ein. Die junge Frau sieht ihn ängstlich und mit weit aufgerissenen Augen an, bevor sie nickt. „Wenn er beginnt zu schreien, renn weg. Versuche nicht, tapfer zu sein und gehe nicht dem Drang, ihm zu helfen, nach."

„Ich werde das schaffen, ich muss ihm sowieso nur sein Mittagessen bringen.", redet sie sich ein und umfasst das Tablett in ihren Händen noch stärker. Sie atmet noch einmal tief durch und schenkt dem Pfleger ein halbherziges Lächeln, bevor er dreimal an der Tür vor ihnen klopft.

Nach einiger Zeit ertönt ein gedämpftes „Herein", das Signal für die Frau, das Zimmer zu betreten. Unsicher setzt sie sich in Bewegung, hört, wie hinter ihr die Tür ins Schloss fällt. Sie stellt das Tablett auf dem Tisch inmitten des Raumes ab und räuspert sich, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.

Wie in Zeitlupe dreht Harry sich um, wendet den Blick von dem Fenster und dessen wundervolle Aussicht ab. Er erblickt die Pflegerin und geht auf sein Mittagessen zu. „Hat sie schon angerufen?", fragt er nach, während er sich auf einen der beiden Stühle an den Tisch setzt.

„Wen meinst du?", entgegnet die Frau ihm verwirrt, runzelt ihre Stirn. Abrupt sieht Harry von dem gefüllten Teller auf und antwortet: „Na meine Verlobte. Normalerweise ruft sie an, wenn sie durch irgendetwas verhindert wird und mich nicht besuchen kann." Er nimmt einen Bissen von dem Salat und fügt mit vollem Mund hinzu: „Übrigens kannst du dich gerne setzen. Wenn May nicht hier ist, bin ich immer so einsam."

Zögernd befolgt die Pflegerin seine Bitte und stellt sich leise vor: „Du kannst mich gerne Alex nennen." „Freut mich, dich kennenzulernen, Alex.", lächelt Harry sie freundlich an, ohne jegliche Anzeichen von einem unberechenbaren Psychopathen, als der er abgestempelt wird.

„Weißt du, meine Verlobte hat früher immer versucht, dass ich gesünder lebe. Einen Monat lang musste ich mich vegan ernähren und habe meistens Salat gegessen. Ich war sozusagen ihr Versuchskaninchen bei diversen Experimenten, die sie in irgendeiner Zeitschrift gelesen hat.", erzählt er und starrt gedankenverloren auf sein Essen. Als Alex angespannt in ihrem Sitz herumrutscht, sieht er abrupt zu ihr und schüttelt den Kopf. Leise murmelt er: „Ich wünschte, dass sie mich wieder besuchen würde oder mich mit nach Hause nehmen würde. Ich vermisse sie."

Die Frau verschränkt ihre Hände auf der Tischplatte und fragt nach: „Wie lange hat sie dich nicht mehr besucht?" „Seit fünf Monaten. Vielleicht habe ich wieder etwas getan, das sie unglaublich verärgert hat, wie letztes Mal, als sie mich so lange ignoriert hat. Aber diese dummen Medikamente lassen mich so vergesslich werden, als hätte ich Alzheimer, sodass ich gar nicht weiß, weshalb sie sauer ist.", antwortet Harry und bestätigt ihre Vermutung.

Fünf Monate. So lange ist der Vorfall her, der direkt vor einer Kirche geschehen ist. „Frau wirft sich vor ihren Verlobten und wird kaltblütig erschossen.", so stand es damals in der Zeitung. In der Klinik ging das Gerücht um, dass Harry Styles wieder durchgedreht ist, als er die Leiche seiner Geliebten gesehen hat, weshalb er jetzt auch direkt vor Alex sitzt, nachdem er eingewiesen wurde.

„Aber trotzdem sie mich nicht besucht liebe ich sie. Sie haltet immer zu mir und macht mein Leben lebenswert.", lacht Harry leise und kaut auf seinem Salat herum. Für einen Moment verfinstert sich sein Gesichtsausdruck und er sieht Alex direkt in ihre Augen. Nachdem er das Essen geschluckt hat, lässt er sie wissen: „Ich hatte vor langer Zeit einen Albtraum. Vor exakt fünf Monaten habe ich geträumt, dass ich den Mörder meiner Familie gesehen habe, zusammen mit ihrem Stalker, ich glaube, er hieß Brendon Urie. Er wollte mich erschießen, weil May in mich verliebt ist und nicht in ihn. Und jetzt rate mal, was meine tapfere Geliebte gemacht hat."

Angespannt zuckt Alex mit den Schultern, obwohl sie die Antwort bereits weiß. „Sie hat sich vor mich geworfen, die Kugel hat ihr Herz durchbohrt, nicht meines. Selbst in meinem Traum opfert sie sich für mich, obwohl ich ihr einst gesagt habe, dass ich auf sie aufpassen werde, nicht umgekehrt.", beendet Harry seine Erzählung, Tränen drängen sich in seine Augenwinkel.

„Ich vermisse sie."

Plötzlich steht Alex auf, so schnell, das der Sessel nach hinten kippt und mit einem lauten Knall auf den Boden fällt. „Ich muss jetzt wieder gehen, bitte lass das Tablett einfach auf dem Tisch stehen. Bis bald, Harry.", lässt sie ihn wissen und dreht sich weg von ihm, damit er nicht sieht, wie sie weint, berührt von der Liebe, die er einer Verstorbenen gegenüber verspürt. Dass diese Person in seinen Augen auch noch lebt und ihn einfach nicht besuchen will, macht die Situation noch schmerzhafter.

Verwirrt sieht Harry ihr nach, wie sie die Tür öffnet. Bevor sie durch diese verschwinden kann, ruft er ihr nach:

„Bitte richte May aus, dass sie mich endlich besuchen soll, ich vermisse sie. Und bitte sag ihr, dass ich sie liebe."

Unfreeze / h.sWhere stories live. Discover now